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Camera Obscura – Fotos aus der Konservendose

Fotoprojekt bei Vitos Herborn

„Nach meiner Ansicht kann man nicht behaupten, etwas gesehen zu haben, bevor man es fotografiert hat.“ -Emile Zola-

Alles steht bereit, gespannt und neugierig blicken die Patienten in den abgedunkelten Raum. Was ist zu sehen? Viele leere Konservendosen. Rotes Licht. Wannen mit Wasserbad, Entwickler- und Fixierlösung. Es riecht interessant.

Für einen Moment weicht die Neugierde der Skepsis.

Aus gewöhnlichen Konservendosen sollen Fotografien entstehen? Niemals!

Fotografieren mit Konservendosen

Tatsächlich ist das Fotografieren mit Konservendosen möglich und sogar eine der ältesten Techniken der Welt.

Selbstgebaute Kamera aus einer Flaschenverpackung

Selbstgebaute Kamera aus einer Flaschenverpackung

Die Lochkamera, auch „Camera Obscura“ genannt, war der erste „Fotoapparat“ unserer Zeit. Was man dazu braucht? Ganz einfach: eine „Camera“, lateinisch für Gewölbe, und „Obscura“, lateinisch für dunkel (sinngemäß Dunkelheit).

Wir brauchen also einen abgedunkelten Raum. In unserem Fall ist das eine mit schwarzem Papier ausgefüllte Konservendose, in die ein Fotopapier eingelegt wird. Das Gewölbe, also die Konservendose, muss vor nicht gewünschter Lichteinstrahlung geschützt werden. Die Ausnahme bildet ein winziges, kaum wahrnehmbares Loch, durch das die gezielte Belichtung erfolgt. So entsteht ein Abbild des zu fotografierenden Objekts.

Etwas Neues wagen

Sich überwinden, etwas Neues zu wagen? Nicht immer ganz einfach. Neues wird oft auf Distanz gehalten. Ängste, fehlende Sicherheit und das daraus entstehende Unbehagen können Gründe sein, warum wir uns dem Neuen und Ungewohnten verschließen.

Die Teilnehmer des Fotoprojekts „Camera Obscura“ mit Ilan Wolff haben bisher nur mit digitaler Fotografie hantiert. Selfie hier, Gruppenbild da, schnell zur Verfügung und auf allen medialen Gerätschaften sofort abrufbar.

Was macht das mit uns? Wo bleibt die Spannung? Wo die Zeit? Und welche (therapeutische) Rolle spielt der Prozess des Fotografierens?

Mit der Überschrift „etwas Neues wagen“ ist alles gesagt. Die Patienten tragen sich freiwillig für das Projekt ein. Wer wagt es und wer nicht? Wer bleibt trotz des klinischen Settings, das an sich bereits für Mut und Veränderung steht, doch in seiner „Comfort Zone“ zurück?

Fotokünstler Ilan Wolff

Fotokünstler Ilan Wolff

Zwölf Patienten der Vitos Klinik für Psychosomatik Herborn und zehn Patienten der Vitos Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie Herborn haben sich auf das Projekt eingelassen, welches bereits im letzten Jahr erfolgreich gestartet ist.

Das Geheimnis ist die Reflexion des Lichts

Belichtungszeit bedeutet, das abgeklebte kleine Loch in ständiger Beobachtung zu Lichtverhältnissen (Sonne, Wolken, Licht, Schatten) zu öffnen, und zum richtigen Zeitpunkt wieder zu schließen. Hier heißt es, auf die Erfahrung des Künstlers Ilan Wolff zu vertrauen, der unterstützend zur Seite steht. Aber auch eigenes Experimentieren mit Belichtungszeiten hat bei den Teilnehmern spannende Werke hervorgebracht. Nachdem das Foto also durch Licht, Schatten und die daraus resultierende Reflexion entstanden ist, kann das Fotopapier der Dose entnommen und in Teamarbeit entwickelt werden. In einem weiteren Schritt werden die entstandenen Negativbilder mit wenigen Handgriffen in das eigentliche Foto verwandelt, das sogenannte Positivbild.

Was bedeutet eigentlich der (therapeutische) Prozess des Fotografierens?

Jetzt geht’s los! Die Konservendosen sind vorbereitet, die Patienten lauschen aufmerksam und voller Spannung den Worten von Ilan Wolff. Jeder geht mit mindestens fünf Dosen an den Start. Jetzt heißt es: Motivsuche.

Die Welt aus einem anderen Blickwinkel sehen

Die Welt aus einem anderen Blickwinkel sehen

Die Patienten gehen eigenständig durch die Natur des Parkgeländes von Vitos Herborn. Zu beobachten, sind langsam schreitende, die Gegend durchstreifende Teilnehmer. Vorsichtig und aufmerksam, wie Raubkatzen auf der Jagd. Große Augen zeigen sich: Welches Motiv? Welcher Blickwinkel? Welche Haltung kann ich einnehmen?

Fantasievoll

Fantasievoll

Ausnahmslose Beschäftigung mit Motivwahl, Position und Lichtverhältnissen lassen keinen Raum für Belastungen, kreisende Gedanken oder Schmerzen. Alles dreht sich um das Hier und Jetzt, um die perfekte Ausrichtung der Lochkamera. Zeit und Raum spielen keine Rolle mehr. Geduld, Konzentration und genaue Beobachtung treten an ihre Stellen. Die Patienten nehmen die kleinen Dinge wahr, was im Alltag oft verloren geht. Ein brüchiger und morscher Baumstamm wird auf einmal zum Set einer kontrastreichen Fotografie. Grashalme und alte Gebäudekomplexe bekommen Aufmerksamkeit geschenkt und werden in einem neuen Licht wahrgenommen. Die Teilnehmer werden im Laufe des Projekts mutig und frei, betrachten Objekte und Naturszenerien plötzlich aus völlig anderen Blickwinkeln. Sie ändern selbst die eigene Position, um weitere Perspektiven auszuprobieren – eine fundamentale Erfahrung für das Leben.

„Die Magie der Fotografie“ – Leitspruch und Konzept des Künstlers Ilan Wolff

Die Magie der Fotografie ist über das gesamte Projekt hin spürbar, von Beginn an bis zum Schluss. Sobald die ersten Ergebnisse an der Wäscheleine hängen, ist ein Raunen zu vernehmen. Die fertigen Bilder sind ebenso wichtig, wie der erlebte (therapeutische) Prozess, also der Weg zu den Resultaten.

Stolz, Selbstbewusstsein und überraschte Blicke dominieren die Schlussbetrachtungen.

Die für die Patienten wertschätzende und für die Öffentlichkeit zugängliche Ausstellung am Ende der Woche bringt das Projekt „Magie der Fotografie“ mit Ilan Wolff zu einem runden Abschluss.