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Ein Tic wie jeder andere?

Tic-Störungen sind keine Erkrankung der Neuzeit. In der Literatur finden sich Beschreibungen schon seit der Antike. Wo im damaligen Jahrhundert die Ursachensuche noch auf den Einfluss der Götter beschränkt war, beschrieb der französische Neurologe Gilles de la Tourette 1885 die Tic-Störung. Heute steht fest, dass es sich um eine neuropsychiatrische Erkrankung handelt, die überwiegend bereits im Kindes- und Jugendalter auftritt.

Was ist ein Tic?

Bei einem Tic handelt es sich um rasche, unwillkürliche, sich wiederholende, nicht rhythmische Bewegungen und/oder Lautäußerungen. Tics setzen meist plötzlich und ohne offensichtlichen Zweck ein. Sie werden von den Patienten als unvermeidbar empfunden. Bei dieser Erkrankung sind entweder einzelne Muskeln oder funktionelle Muskelgruppen betroffen. Eine zeitweise willentliche Unterdrückung ist möglich. Jedoch sind die Zunahme der inneren Anspannung und ein meist nachfolgender Rebound, im Sinne einer gesteigerten Tic-Aktivität, die Folge. Auch im Schlaf kann der Tic auftauchen, jedoch in abgeschwächter Form.

Tics sind ein Ventil der Seele

Bei einer Tic-Störung gibt es gelegentlich eine Art „Vorgefühl“. Das kann ein Kribbelgefühl, eine gewisse Anspannung oder ähnliches sein. Häufig werden diese von Patienten als äußerst unangenehm erlebt. Durch Tics versucht sich die Seele ein Ventil zu suchen. Letztendlich verschaffen sie jedoch nur eine vorübergehende Entlastung. Insbesondere unter emotionaler Anspannung ist eine Zu- oder Abnahme möglich. Die Häufigkeit und Intensität der Tics sind kurz-, mittel- aber auch langfristigen Schwankungen unterworfen.

Ursache und Entstehung

Bei einer Tic-Störung handelt es sich um eine Störung bestimmter neuronaler Regelkreise zwischen Hirnrinde und tiefer gelegenen Arealen. Bei der Entstehung spielt die Vererbung eine wichtige Rolle. Doch auch nicht-genetische Faktoren gilt es zu berücksichtigen. Unspezifische Faktoren, wie niedriges Geburtsgewicht, Stress in der Schwangerschaft, Schwangerschaftserbrechen und chronische Konfliktsituation können mit ursächlich für eine Erkrankung sein. Eine Infektion mit Streptokokken mit nachfolgender Schädigung bestimmter Hirnregionen wurde ebenfalls als eine Ursache diskutiert.

Eine Tic-Störung tritt meist bereits im Vorschulalter auf. Acht bis zehn Prozent der Grundschulkinder leiden unter Tics. Dabei sind Jungen häufiger betroffen als Mädchen. Übergänge in chronisch-motorische Formen gibt es bei fünf bis zehn Prozent der Kinder.

Einteilung: motorisch und vokal

Tic-Störungen können sich in ihrer Symptomatik unterscheiden. Man teilt hier in „motorisch“ und „vokal“ ein.

Motorisch-einfach: Blinzeln, Stirnrunzeln, Augenbrauen hochziehen, Kopfwerfen, Schulterzucken etc. Hier sind kleinere Muskelgruppen betroffen.

Motorisch-komplex: Berührungen, Springen, Klatschen, Wurfbewegungen, Selbstverletzung. Beispiele hierfür wären schlagen oder obszöne Gesten. Hier sind größere und meist mehrere funktionelle Muskeleinheiten betroffen.

Vokal-einfach: Räuspern, Bellen, Husten, Schniefen, Grunzen, Schnalzen, Fiepen, einfaches Lautieren.

Vokal-komplex: Wiederholung von Wörtern, Sätzen, eigene Laut- und Wortproduktionen, obszöne Wörter, Nachsprechen von Wörtern/Sätzen anderer, Wiederholen eigener Silben/Wörter. Häufig in wechselnder Lautstärke.

Dauer und Beginn von Tic- und Tourette-Störungen

Auch in der Dauer unterscheiden sich Tic-Störungen. So gibt es vorübergehende Erkrankungen, die bis zu einem Jahr dauern. Chronische-motorische oder -vokale Tic-Störungen dauern dagegen länger als ein Jahr. Sie haben ein symptomfreies Intervall unter zwei Monaten und beginnen vor dem 18. Lebensjahr. Neben diesen Einteilungen gibt es auch noch die Tic-Störungen, auf die die genannten Kriterien nicht alle zutreffen. Hier kann der Beginn der Erkrankung beispielsweise auch nach dem 18. Lebensjahr liegen.

Bei einer Kombination von vokalen und motorischen Tic, die nicht zwangsläufig gleichzeitig auftreten müssen, handelt es sich um das Tourette-Syndorm. Auch dieses beginnt meist vor dem 18. Lebensjahr.

Besonderheiten des Tourette-Syndroms

Bei dem Tourette-Syndrom handelt es sich um eine Kombination aus motorischen und vokalen Tics, die jedoch nicht gleichzeitig vorkommen müssen. Die Erkrankung beginnt meist mit einfachen motorischen Tics. Vokale Tics tauchen oft später auf. Das Tourette-Syndrom beginnt typischerweise vor dem zehnten Lebensjahr. Bei Jungen ist es zudem drei bis viermal häufiger als bei Mädchen. Eine Abschwächung mit zunehmendem Alter ist dabei möglich, wobei die stärkste Ausprägung zwischen dem zehnten und 14. Lebensjahr liegt.

Wann ist eine Behandlung sinnvoll?

Tic-Störungen sollten behandelt werden, wenn sie

Die Familie wird durch unterschiedliche Faktoren belastet, nämlich die

Aber: Eine Ablehnung der Behandlung ist begründbar. Nach gegenwärtiger Kenntnis ist zwar der Verlauf beeinflussbar, aber nicht die Ursache und die langfristige Prognose. Eine gänzliche Heilung von chronischen Tic-Störungen ist wahrscheinlich nicht möglich.

Lösungsansatz: Psychotherapie

Bei der Psychotherapie gibt es verschiedene Therapieansätze. So ist die Verhaltenstherapie nachweislich wirksam bei Tics, Zwängen und ADHS. Ein tiefenpsychologisches Verfahren ist bei Tic- und Tourette-Störungen allerdings nicht sinnvoll einzusetzen. Eine Familientherapie kann Erfolge in der Genesung bringen.

Ein großes Problem bei der Behandlung kann die Motivation des Patienten sein. Durch die medikamentöse Behandlung kann es zu einer reduzierten oder ein vollkommenes Verschwinden der Symptomatik kommen. Dies entbindet den Patienten jedoch nicht von einer Therapie, da die Erkrankung nicht geheilt ist. Zudem sind viele Patienten relativ jung und manche Eltern wollen deshalb gar keine Behandlung. Oft werden Tic-Störungen als „Ein Tic wie jeder andere“ angesehen.

Der Erfolg der Therapie ist somit größtenteils abhängig von Alter, Motivation, Selbstkontrollfähigkeit und Mitarbeit des Patienten.

Training der Reaktionsumkehr

Therapie ist manchmal harte Arbeit und muss vom Patienten gewollt sein. Dann kann er von Psychotherapeuten Techniken lernen, um seine Tics zu beeinflussen.

  1. Selbswahrnehmungstraining – Selbstbeobachtung („Tic Tagebuch“), Frühwarnzeichen, wie das „Vorgefühl“ erkennen.
  2. Entspannungstechniken, z. B. Progressive Muskelentspannung
  3. Training inkompatibler Reaktionen – Für jeden Tic wird eine spezifische Gegenbewegung in der Therapie erarbeitet und eingeübt, bei vokalen Tics zum Beispiel Atemübungen.
  4. Kontingenzmanagement – Ziel ist die positive Verstärkung der einzelnen Behandlungsschritte, da der Patient sich immer wieder mit seinem Tic auseinandersetzen muss. Beispiel kann hier eine soziale Verstärkung durch das Umfeld sein.
  5. Selbstmanagement/Transfer in den Alltag durch Selbstinstruktion:

Weitere Informationen finden Sie auch auf www.tourette.de [1] oder www.iv-ts.de [2].