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Lernende Mitarbeiter im lernenden System

PEPP – PsychVVG

Der Gesetzgeber kündigte für 2013 eine Reform des Krankenhausfinanzierungsgesetzes und ein neues Psychiatrie-Entgeltgesetz an. Weder Krankenkassen, Verbände, InEK (Institut für das Entgeltsystem im Krankenhaus) oder Krankenhäuser wussten, was auf sie zukommen würde. Gleichwohl versuchten sie, die Zukunft zu entschlüsseln, um sich darauf vorzubereiten. So entstand der neue Beruf des Psychiatrie-Medizincontrollers. Ein Praxisbericht.

Am Anfang stand die Vorbereitung

Vitos ist mit über 3.500 Betten und Plätzen in Hessen der größte Anbieter für die ambulante, teil- und vollstationäre Behandlung psychisch kranker Menschen. Der Umstieg der Vitos Gesellschaften in das neue Psychiatrie-Abrechnungssystem forderte daher schon früh eine umfassende Vorbereitung. Schnell war klar, dass die Herausforderung eines Umstiegs ohne den Eintritt in das digitale Zeitalter, ohne digitale Patientenakte oder zumindest stark verbesserte digitale Hilfsmittel/Software, kaum zu bewältigen sein würden.

Fachgruppen konstituierten sich, um die Anforderungen an ein umfassendes Dokumentations- und Abrechnungssystem zu definieren. Gleichzeitig nutzten sie die Gunst der Stunde, um von einem möglichst papierlosen Krankenhaus wenigstens schon einmal zu träumen. Nach einem fast zwei Jahre dauernden Prozess konnte ein neues Krankenhausinformationssystem (KIS) installiert werden, das heute bereits einen Großteil der Bedürfnisse abdeckt.

Anschließend mussten Mitarbeiter geschult und Multiplikatoren vor Ort gefunden werden. Letztere sollen den Informationsfluss auch in der Zukunft sichern. Und die Hoffnung wuchs, dass eine der größeren Hürden auf dem Weg ins PEPP-Zeitalter erfolgreich bewältigt worden war. Leider stellte sich im Laufe der nächsten Jahre heraus, dass im Oktober 2010 (Zeitpunkt der Einführung der digitalen Patientenakte in zwei Gesellschaften) zwar ein Meilenstein erreicht war. Die eigentliche Arbeit hatte jedoch noch gar nicht wirklich begonnen – und würde vermutlich nie aufhören.

Medizincontroller – nun auch für den Fachbereich Psychiatrie

Psychiatrie-Medizincontroller gab es auf dem deutschen Arbeitsmarkt bislang nicht. 2010 wurden in der Vitos Akademie 20 Mitarbeiter über ein eigens konzipiertes Weiterbildungsangebot von externen Fachreferenten über ein Jahr lang berufsbegleitend geschult. Die Mitarbeiter kamen aus verschiedenen Vitos Gesellschaften und unterschiedlichen Berufsfeldern. Die gemischte Gruppe hatte unterschiedliche Voraussetzungen und Affinitäten, aber ein Ziel. Sie wollten fundiertes Wissen zum Thema Medizincontrolling in allen Facetten erwerben. Aus ihren Reihen konnte jede Gesellschaft anschließend mindestens einen Medizincontroller für die neuen Aufgaben gewinnen. Das Medizincontrolling in der Psychiatrie war geboren. Und mit ihm wuchsen die Bedürfnisse nach Zahlen, Daten und Fakten aus dem medizinischen Bereich. Denn nun waren nicht nur, vorausgesetzt die IT-technischen Voraussetzungen und das Know-how vor Ort waren vorhanden, Auswertungen möglich, die über die Daten des § 21er-Datensatzes hinausgehen. Die Daten konnten jetzt auch miteinander in Beziehung gebracht werden, da viele Informationen und Zahlen jetzt digital integriert vorlagen.

Transparenz der eigenen Daten

Ein Ziel des neuen Krankenhausfinanzierungsgesetzes, mehr Transparenz in die „Blackbox Psychiatrie“ zu bringen, war somit ein naheliegendes erstes Ziel, das auch die Gesellschaften vor Ort verfolgten. Drei Häuser wagten den Sprung ins kalte Wasser und bereiten seit 2011 ihre Daten als InEK-Kalkulationskrankenhäuser bzw. bereits seit 2010 als Prä-Test-Häuser regelmäßig auf.

Die Anforderungen des InEK sind hoch, die technischen Voraussetzungen der Softwareanbieter selten zufriedenstellend, der Ressourcenaufwand vor Ort immens. Man rechnet, vergleicht, macht die medizinischen Leistungsdaten passend für die Zusammenführung mit den Abrechnungsdaten aus einem anderen System. Denn es muss zusammengebracht werden, was nicht zusammengedacht war.

Und die gesuchte Transparenz der eigenen Daten? Geringer als erhofft. Für die konkrete tägliche Arbeit mit dem Patienten sind sie nur mittelbar relevant. Zur Steuerung des betriebswirtschaftlichen Geschehens In-Time unbrauchbarer als befürchtet.

Die Herausforderung

Eine wichtige Aufgabe des Medizincontrollings bestand zu Beginn darin, in multiprofessionellen Teams alle relevanten Prozesse zu betrachten, zu beschreiben oder entsprechend neu zu definieren, in denen es zukünftig eine Rolle spielen musste. Hinzu kamen die Ausarbeitung eines Kennzahlenkataloges sowie eines entsprechenden Berichtswesens. Das sind Arbeiten, die auch heute noch regelhaft evaluiert und optimiert werden müssen.

Trotz übergreifender Fachgruppen – sowohl konzernweit als auch gesellschaftsintern – gab, und gibt es aus heutiger Sicht noch immer Aufgaben, die noch zusätzlich in den Bereich des Medizincontrollings verlagert werden sollten bzw. dort gut angesiedelt wären. Die Leitung des Patientenmanagements, das derzeit überwiegend am Finanzmanagement angedockt ist, wäre hierfürein Beispiel. Die Überschneidungen sind hier gerade bei der konkreten Abrechnung dermaßen groß, dass man eigentlich nicht mehr von Schnittstellenarbeit reden kann. Ähnlich ist es beim Budgetmanagement. Doch das wird noch ein wenig dauern. Sachargumente werden sich durchsetzen, manchmal allerdings nur sehr langsam.

Kurz: Alles steht oder stand auf dem Prüfstand – von der Patientenadministration über das gesamte Abrechnungsgeschehen bis hin zu vielen Prozessen, auch auf Stationsebene. Und es finden nach wie vor viele Prozessverlagerungen statt, um möglichst effiziente Strukturen zu etablieren und gleichzeitig die Qualität durch Homogenisierung in unseren Häusern nicht nur zu sichern, sondern weiter zu steigern.

Flexibilität – wichtiger denn je

Flexibilität bei Prozessverlagerungen statt Planung? Ja, Planungen sind notwendig. Sie sollten jedoch schnell und unbürokratisch vor dem Hintergrund neuer Erkenntnisse verändert und angepasst werden können. Ausprobieren, neue Prozesse testen, Verlagerungen zwischen Berufsgruppen und flexibel sein im Rahmen der Neuausrichtung an ein neues Entgeltsystem, sind nicht nur wichtige Bausteine zum Gelingen des Umstiegs, sondern auch Garant des Erfolges. Manchmal jedoch braucht man auch einfach nur Geduld.

Vermittlung, Gestaltung, Begleitung

Betrachtet man die Probleme und Stolpersteine bei den zu bewältigenden Aufgaben, ist immer zu bedenken, dass nichts ohne entsprechend versierte Mitarbeiter geht. Je eher und erfolgreicher man möglichst alle mit ins Boot bekommt, desto besser. Hier liegt im Rahmen des budgetneutralen Umstiegs auch die Chance für die Medizincontroller. Sie können sich neben der eigenen Professionalisierung in viele Bereichen als Schnittstelle etablieren. Sie können als Dolmetscher zwischen den Welten Betriebswirtschaft und medizinisch-therapeutischen Arbeit fungieren und gleichzeitig strategische Verantwortung mit übernehmen.

Durch Verstehen zum Verständnis

Die MDK-sichere Dokumentation (MDK – Medizinischer Dienst der Krankenversicherung) basiert auf den innerklinischen Dokumentations- und -Kodierprozessen sowie dem medizinischen Fallabschluss. Sie sind bei Vitos Dreh- und Angelpunkt bei routinemäßigen Schulungen, Klinikkonferenzen und Gesprächen. Die Anforderungen an alle im therapeutischen Bereich tätigen Mitarbeiter auf Stationsebene, aber auch an Verwaltungsmitarbeiter, sind gestiegen und fordern von ihnen eine hohe Motivation. Nur selten können sie anderweitig entlastet werden, beispielsweise dann, wenn das Medizincontrolling zusätzliche Aufgaben des MDK-Managements übernimmt. Umso wichtiger ist es, dass die Kollegen auf Stationsebene verstehen, warum sie etwas und wie sie es dokumentieren sollen. Mit Fingerspitzengefühl und der notwendigen Fachkompetenz gelingt hier dem Medizincontrolling und den klinischen Kodierfachkräften die Gratwanderung zwischen den Bedürfnisfronten.

Ein nicht zu unterschätzender Faktor im Rahmen der Compliance vor Ort ist auch, dass die Mitarbeiter der verschiedenen Bereiche durch Nutzung unsere digitale Patientenakte untereinander eine höhere und schnellere Informationssicherheit haben. So verzichten wir vollkommen auf OPS-Codes an der Oberfläche. Vielmehr schreibt und berechnet unser System diese Codes im Hintergrund auf Basis der zuvor über den sogenannten (jährlich durch das Medizincontrolling zu aktualisierenden) Hausleistungskatalog definierten Leistungen. Das multiprofessionelle Team auf Stationsebene rückt so in der gemeinsamen Dokumentation zusammen. Die Aktenführung ist nicht mehr getrennt von der Kurvenführung, sondern für alle Berechtigten gleichzeitig einsehbar. Jeder hat für seinen Bereich die gleiche Verantwortung.

Durch seine Fachkompetenz gewinnt das Medizincontrolling an dieser Stelle schnell große Bedeutung als Ansprechpartner rund um alle Fragen zu Kodierung und Abrechnungsmöglichkeiten. Denn hier laufen vor der Abrechnung für die medizinische Fallfreigabe alle Fäden wieder zusammen. Das dürfte ein Grund dafür sein, dass Vitos mit seinem MDK-Management in der Regel erfolgreich ist.

Reorganisation, Neustrukturierung, Prozessverlagerung

Prozessverlagerungen und Reorganisation sind vor Ort zum Teil schmerzvolle Prozesse. Nicht immer können Mitarbeiter unter dem neuen Psychiatrie-Entgeltsystem weiterhin die gleichen Aufgaben wahrnehmen wie bisher. Manchmal fehlen zusätzliche Ressourcen, ihre Aufgaben verdichten sich oder werden verlagert. Das MDK-Management belief sich früher beispielsweise auf fünf bis zehn Fälle pro Jahr, die meist verwaltungstechnisch von der Patientenverwaltung mit versorgt wurden und den entsprechenden Behandler unmittelbar mit einbezogen. Bei einer MDK Prüfquote von inzwischen durchschnittlich 10 Prozent aller Fälle und einer geänderten Prüfverfahrensvereinbarung ist dies kein Nebenjob mehr, sondern erfordert ein hohes Maß an Know-how. Je höher dies ist, desto stärker können die Behandler entlastet werden. Das Medizincontrolling übernimmt hier an vielen Stellen zusätzlich den notwendigen, aber dennoch eher ungeliebten bürokratischen Aufwand.

Schnittstellen

Die Aufgaben und Prozesse des Budgetmanagements, der Wirtschaftsplanung und die Ergänzung zum Finanzcontrolling stehen immer wieder auf der Prüfliste. Hier geht es regelmäßig um die Definition der entsprechenden Schnittstellen. Offene Fragen werden geklärt, Sachverhalte beleuchtet und transparent gemacht sowie ggf. Prozesse verlagert. Um eines braucht dabei niemand fürchten: Die Arbeit wird nicht weniger – im Gegenteil!

Die Auswirkungen des PEPP-Systems sind tief greifend!

Psychiatrie-Medizincontroller sind nicht nur an der Erarbeitung der Budgetunterlagen beteiligt. Sie sind mitverantwortlich bei den Budgetverhandlungen und leisten ebenfalls ihren Beitrag zur Erstellung von Wirtschaftsplan und Jahresabschluss. Von diesen Prozessen sind sie im Wesentlichen betroffen, da die Integration des Medizincontrollings hier inzwischen unumgänglich ist. Natürlich erfordert dies bei aller Fachkompetenz entsprechende Ressourcen. Denn ein Problem, das wir noch nicht lösen konnten, ist: Der Tag hat nur 24 Stunden.

Ausblick

Neue und weitere Reformen des Bundesministeriums für Gesundheit und ihre Auswirkungen bleiben abzuwarten. Vor allem der geplante Ersatz der Psychiatrie-Personalverordnung durch ein neues Planungsinstrument wird in Zukunft noch größere Fragen in Zukunft aufwerfen.

Gut trainiert jedoch durch die letzten Jahre, als Kalkulationskrankenhäuser, als PEPP-Prä-Test-Haus und als Optionshäuser werden wir auch diese Herausforderung sicherlich meistern – mit Planung und einem Höchstmaß an Flexibilität.

Headerbild: © iStockphoto.com_AlexRaths