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Opiate in der Schmerztherapie

Opiate haben in der Schmerztherapie eine lange Tradition. In Deutschland wurde den Schmerztherapeuten in den 1980er und 1990er Jahren der Vorwurf gemacht, sie würden zu wenig Opiate einsetzen und ihre Patienten so im Stich lassen. Das ließen wir Ärzte uns nicht zweimal sagen und von nun an gab es den Slogan, freudig unterstützt von der Pharmaindustrie: „Kein Patient muss mehr Schmerzen haben“. Differenziert setzten wir schwache und starke, kurz- und langwirksame Opiate für kurze Zeit oder als Dauertherapie ein. Rückenschmerz, Tumorschmerz, Fibromyalgie, Postzosterneuralgie – alle bekamen Opiate, wenn es keine Kontraindikationen gab.

Sind Schmerzpatienten legal substituiert?

Als ich mich Anfang der 2000er Jahre mit meiner Freundin Lis traf, hatten wir ein interessantes Gespräch. Sie arbeitete als Ärztin in der Methadonausgabe und ich betrieb zu der Zeit eine Schmerzambulanz. Stolz berichtete ich ihr über meine Therapien mit Opiaten und über die Patienten. Als sie von ihren Patienten berichtete, tat sie mir leid. So schwierige Menschen, so unglückliche Biografien, so viel Ärger. Als ich sie darauf ansprach grinste sie nur und sagte: „Deine sind auch nicht anders!“ Da war ich beleidigt. Meine gutbürgerlichen Patienten seien nicht anders als ihre Ex-Junkies? „Ja“, meinte sie „Deine sind genauso substituiert wie meine mit den gleichen biografischen Traumen“.

Schmerz gehört zum Leben

Fast 15 Jahre später muss ich ihr Recht geben. Weit vorausschauende Freundin! Die Opiate haben unseren Patienten kein Heil gebracht und erst recht keine Heilung. Nach wenigen Wochen mussten wir meistens die Dosis steigern, die half wieder für ein paar Wochen. Dann wechselten wir das Opiat und alles begann von vorne. Auf Kongressen wurden uns laufend neue Opiate vorgestellt, die schmerztherapeutisches Glück verhießen. Die habilitierten Referenten wurden jedes Jahr von einer anderen Firma bezahlt und legten sich überzeugend ins Zeug. So langsam dämmerte es uns, dass Schmerz zum Leben gehört und der eingangs erwähnte Satz Unsinn ist.

Was hatten wir angerichtet?

Nun hatten wir fleißig Opiate eingesetzt und haben unsere Patienten nicht wie versprochen schmerzfrei bekommen. Dafür stellten wir fest, dass sie sich mit den legal verordneten und von der Krankenkasse bezahlten Medikamenten meist unwissentlich betäubten. Auch sie wollten unbewusst die Realität nicht ansehen, vergangenes oder aktuelles Leid vermeintlich abschütteln und das Gefühl der Geborgenheit wenigstens mit der Chemie erleben. Sie waren sicherlich nicht auf einen „Kick“ aus. Aber ohne klaren Blick und ohne Kenntnis der eigenen Vergangenheit weiß man auch nicht, wo man steht. Ob wir weitere, bisher noch nicht erkannte Schäden mit der Langzeitverordnung angerichtet haben, wissen wir nicht.

Was tun?

Heute entgifte ich fast alle chronischen Schmerzpatienten von Opiaten, wenn sie zu uns in die Schmerztherapie der Vitos Klinik für Neurologie Weilmünster kommen. Die, denen die Opiate doch helfen, kommen nicht zu mir. Je nach dem eingenommenen Opiat leiden die Menschen unter mehr oder weniger ausgeprägtem Entzug. Natürlich müssen sie psychotherapeutisch begleitet werden, damit die nun nicht mehr unterdrückten Gefühle ihre Berücksichtigung finden und Leid gelindert werden kann.

Nie mehr Opiate?

Es wäre falsch, potente Medikamente wie Opiate zu verteufeln. In der Anästhesie sind sie unabkömmlich und in der Akutbehandlung auch. Aber da, wo sie bei chronisch Schmerzkranken nur kurze Zeit helfen, wo eine rasche Dosissteigerung eintritt und womöglich auch kurzwirksame Opiate zum Einsatz kommen, sollten alle Alarmglocken klingeln. Der Einsatz von Opiaten bei akuten Schmerzen muss engmaschig vom Arzt verfolgt werden, um ein Abgleiten in die Abhängigkeit oder eine Chronifizierung zu erkennen. Da Tumorpatienten heute zum Glück oft länger überleben, sehen auch sie die dauerhafte Einnahme von Opiaten kritisch. Auch sie wollen einen klaren Kopf haben, um ihr Leben zu genießen. Heute wissen wir, dass bei jedem chronischen Schmerzpatienten biografische Brüche, Traumen, Verletzungen, Kränkungen und Überforderungen vorliegen. Meistens ist das Leid gepaart mit einer geringen Selbstfürsorge. Und dafür müssen wir Schmerztherapeuten uns interessieren, auch wenn es viel Zeit kostet. Wünschenswert und wahrscheinlich letztlich auch billiger wäre es, wenn die sprechende Medizin mehr Beachtung fände und dies auch in der Vergütung ihren Niederschlag fände. Wir könnten uns dann auf das Heilen besinnen.

Am 23.03.2017 war ich zu Gast in der HR-Sendung „Service Gesundheit“ und berichtete dort zum Thema Multimodale Schmerztherapie.

Hier geht´s zum Beitrag: Service Gesundheit [1]