Fachsymposium der Vitos Kinder- und Jugendklinik für psychische Gesundheit Hanau beschäftigte sich mit der Bedeutung für Versorgung und Prävention
Diskriminierung kann in unterschiedlichen Formen auftreten. Angefangen bei Ausgrenzung und Herabwürdigung bis hin zu Gewalt. Solche Erfahrungen können bei Kindern und Jugendlichen zu Stress und Schwierigkeiten im Umgang mit Gleichaltrigen und auch zur Entstehung psychischer Erkrankungen führen.
Das erste Fachsymposium der Vitos Kinder- und Jugendklinik für psychische Gesundheit Hanau beschäftigte sich deshalb mit diesem Thema. Klinikdirektorin Dr. Eftichia Duketis erklärt im Interview, wo uns Ausgrenzung und Diskriminierung im Klinikalltag begegnen und welche Bedeutung sie für die Versorgung und Prävention haben.
Bei der ersten Hanauer Fachtagung standen „Ausgrenzung und Diskriminierung“ im Mittelpunkt. Meinen Sie damit, dass sich die Kinder untereinander aufgrund von Herkunft, sozialem Hintergrund, sexueller Identität und Orientierung oder ähnlichem ausgrenzen – „dissen“, wie es jugendsprachlich heißt?
Dr. Eftichia Duketis: Diskriminierung unter Kindern und Jugendlichen kann sich auf verschiedene Weise zeigen: durch Ausgrenzen im Sinne von Ignorieren und Meiden durch Altersgenossen; durch verbale Angriffe, Mobbing/ Cybermobbing und Spott bis hin zu körperlichen Angriffen. Die können sich auf verschiedene Arten von Unterschieden beziehen, wie eben von Ihnen genannt.
Niemand von uns ist letztlich ganz vorurteilsfrei. Vorurteile entwickeln sich unbewusst in den Köpfen, unter anderem durch die eigene Erziehung, durch die Umgebung und durch Medien … Und auch wir Fachleute sind natürlich nicht davor gefeit.
Erleben Kinder aufgrund ihrer psychischen Erkrankung oft Ausgrenzung?
Duketis: Leider ja. Das Verhalten und das Auftreten eines Kindes mit psychischer Erkrankung kann missverstanden oder von anderen falsch interpretiert werden. Kinder und Jugendliche können von Gleichaltrigen gemieden werden oder sogar aktiv gemobbt. Das beeinträchtigt das Selbstvertrauen der Kinder, was wiederum die Beschwerden der psychischen Erkrankung verstärken kann. Es kann auch dazu führen, dass Eltern und auch Betroffene aus Angst vor weiterer Stigmatisierung Hemmungen haben, Hilfe in Anspruch zu nehmen.
Wie gehen Sie bei Ihrer Arbeit mit Ausgrenzung und Diskriminierung um?
Duketis: Mit Aufklärung. Diskriminierung basiert in der Regel auf eigenen Fehlannahmen und nicht auf Informationen. Das Umfeld, also sowohl Eltern als auch Lehrer/-innen, werden in die Beratung aktiv einbezogen und aufgeklärt, beispielweise bei einer psychischen Erkrankung oder auch zur Bedeutung einer transidenten Entwicklung, also die Unstimmigkeit zwischen dem zugewiesenen und dem gefühlten Geschlecht – letzteres ist im Übrigen keine Krankheit.
Wie kann man den jungen Patient/-innen im Umgang mit Diskriminierung helfen?
Duketis: Psychisch kranke Kinder und Jugendliche mit Diskriminierungserfahrung ziehen sich oft zurück und schämen sich. Sie neigen zur „Selbstdiskriminierung“- erleben sich als kaputt und minderwertig. Gespräche in sicherer Umgebung über die eigenen Erfahrungen mit Ausgrenzung, aber auch die Vermittlung von Wissen über psychische Erkrankungen sind hier sinnvoll. Wir helfen auch Patient/-innen dabei, Unterstützungssysteme in der Familie, unter Freunden und in der Schule aufzubauen, die in schweren Zeiten helfen können.
In der Klinik steht die Vermittlung von Techniken zur Stressbewältigung, zu mehr Selbstbestimmung und zur Stärkung des Selbstvertrauens im Vordergrund.
Viele Kinder mit Migrationshintergrund haben bereits Krieg, Flucht und möglicherweise Ausgrenzung in ihrer alten und/oder neuen Heimat erfahren müssen. Ist das bei Ihrer täglichen Arbeit ein ganz neues Themenfeld?
Duketis: Kinder und Jugendliche mit Fluchterfahrung, die psychiatrische Hilfe benötigen, sind kein neues Themenfeld in der Kinder- und Jugendpsychiatrie. Im Gegenteil, seit vielen Jahren sehen wir Kinder und Jugendliche, die vor Kriegen, Verfolgung oder anderen bedrohlichen Situationen geflohen sind. Viele machen auf der Flucht selbst traumatische Erfahrungen. Diese Betroffenen können eine Vielzahl von Erkrankungen und Beschwerden entwickeln, von Anpassungsproblemen im neuen Umfeld über Angsterkrankungen bis zu einer posttraumatischen Belastungsstörung.
Spielen die Herkunft und die Kultur bei Ihrer Arbeit und bei der Art der Therapie auch eine Rolle?
Duketis: Ja. Wir brauchen Verständnis und Interesse an kultureller Vielfalt – also an Unterschieden an Bräuchen und Werten. Und das erfordert auch eine gewisse „interkulturelle Kompetenz“ beim Behandlungsteam. Das heißt auch, sich aktiv Informationen zu anderen Kulturen einzuholen.
Sprachliche und kommunikative Herausforderungen, falls vorhanden, müssen wir überwinden – zum Beispiel durch Behandler/-innen mit nicht-deutscher Erstsprache in unseren Ambulanzen. Bestimmte kulturelle Praktiken können in den Therapieprozess integriert werden – immer in Abstimmung mit Patient/-innen und Familien. Die reale Lebenssituation des Patienten beziehen wir mit ein.
Ein wichtiger Teil für Therapeutinnen und Therapeuten ist auch, sich eigener Vorurteile bewusst zu sein, beziehungsweise sich diese bewusst zu machen. Letztlich liegt der Fokus kultursensibler Arbeit darauf, sicherzustellen, dass die Versorgung individualisiert, respektvoll und effektiv ist. Und zwar unabhängig von der kulturellen Herkunft.
0 Kommentare Kommentieren