Sport ist gut für unsere körperliche und psychische Gesundheit – das ist bekannt. Doch welche Rolle spielt Bewegung, um bei depressiven Erkrankungen wieder „auf die Beine“ zu kommen? – Eine große, findet Dr. Johannes Krautheim, Oberarzt der Schwerpunktstation Depressionen an der Vitos Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie Gießen. Ein Sportprogramm ist hier deshalb fester Teil der Therapie. Die Gründe dafür erklärt er gemeinsam mit Psychologin Leonie Wolf und Bewegungstherapeutin Hannah Hartmann im Interview.
Welche Wirkung hat Bewegung auf die Psyche?
Dr. Johannes Krautheim: Die Auswirkungen von Bewegung auf Depressionen sind in den letzten zwei Jahrzehnten stark beforscht worden. Positive Effekte zeigten sich sowohl für Kraft- und Koordinationsübungen, als auch für Ausdauersport.
Leonie Wolf: Dies lässt sich vor allem anhand unserer biologischen Stressreaktion nachvollziehen, in der Bewegung eine maßgebliche Rolle spielt und unter anderem dem Abbau von Stresshormonen dient. So sorgt Bewegung etwa dafür, dass eine Erholungsphase eintreten und das System nach Beanspruchung „herunterfahren“ kann. Gerade der regelmäßige Ausdauersport hat sich hier vielfach ähnlich effektiv erwiesen wie bekannte Antidepressiva. Interessanterweise finden sich auch ganz ähnliche Veränderungen im Gehirn bei der Einnahme von Antidepressiva und Ausdauersport.
Wie nutzen Sie diese Wirkung in der stationären Behandlung?
Hannah Hartmann: In der Bewegungstherapie auf unserer Depressionsstation haben wir ein eigenes antidepressives Ausdauertraining entwickelt. Wir nennen es „Beat the Blues“ und arbeiten damit sehr erfolgreich mit den Patienten zusammen. Es handelt sich um ein tägliches Training für 30 Minuten mit anderen Patienten.
Krautheim: Die Grundidee war, dass wir mit dem Bewegungsprogramm eine antidepressive Therapiemethode sahen, deren „Nebenwirkungen“ ein gesünderer Körper und eine längere Lebenserwartung sind. Die Frage, die wir uns im Vorfeld gestellt haben, war jedoch: Wie bekommen wir Menschen, die unter Antriebsstörungen, Freudverlust und Hoffnungslosigkeit leiden, dazu, das zu bewältigen?
Hartmann: Und dabei hilft ein teambasierter Ansatz: Das Training findet täglich als Therapiegruppe direkt auf Station statt und wird durch Mitarbeiter/-innen aus der Pflege begleitet. Die Bewegungstherapeutin führt wöchentlich eine zusätzliche Therapiegruppe mit den Beteiligten durch und in jeder ärztlichen Visite wird mit den Patienten der Evaluationsbogen hierzu ausgewertet.
Welche Erfahrungen machen Sie damit?
Hartmann: Es ist immer wieder beeindruckend zu sehen, wie das Programm wirkt: Die Patienten reflektieren, dass sie positive Effekte auf ihre Depression spüren. Darüber hinaus gewinnen sie durch körperliche Veränderungen und den Stolz, es geschafft zu haben, auch an Selbstbewusstsein.
Krautheim: Häufig nutzen wir das antidepressive Ausdauertraining als Ergänzung zur Medikation, in vielen Fällen inzwischen jedoch auch als Alternative. Wenn es die Krankheitsschwere zulässt, vereinbaren wir oft einen ersten Therapieversuch mit dem Training und im zweiten Schritt erst die Medikation. Ein Angebot, von dem vor allem junge Frauen mit bestehendem Kinderwunsch Gebrauch machen.
Haben Sie abschließend ein paar Tipps für Betroffene, die diese im Alltag einfach umsetzen können?
Wolf: Motivationsarbeit in dieser Sache kennt wahrscheinlich jeder von sich selbst. Wir nehmen uns etwas vor und halten es nicht durch. Hierbei kann hilfreich sein: Eine Gruppe bilden und mit anderen gemeinsam eine „Challenge“ organisieren. Außerdem immer auf das schauen, was man schon erreicht hat, und nicht zu anspruchsvoll einsteigen – lieber täglich ein wenig, als einmal im Monat bis zur Erschöpfung. Und: Nach Pausen durch zu viel Stress oder Erkältung – immer wieder von neuem beginnen!
Zu den Personen:
- Johannes Krautheim ist Vorsitzender des Bündnisses gegen Depression in Gießen (www.buendnis-depression-giessen.de) und Oberarzt der Schwerpunktstation Depressionen (Station 9) an der Vitos Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie Gießen
- Hannah Hartmann ist Bewegungstherapeutin an der Vitos Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie Gießen
- Leonie Sophia Wolf ist Psychologische Psychotherapeutin an der Vitos Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie Gießen
Weitere Informationen zur Schwerpunktstation Depressionen an der Vitos Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie Gießen finden Sie hier.
Fotocredit: Bündnis gegen Depression, Vitos
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