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Chronische Depression

CBASP setzt auf die Verbesserung zwischenmenschlicher Fertigkeiten

Bei Vitos in Gießen fand das 9. Internationale CBASP Family Netzwerktreffen statt: Expert/-innen nahmen das Therapiemodell und die Anwendung in der Praxis unter die Lupe.

Chronische Depressionen gelten als schwer behandelbar. Aber: Es gibt Wege, wie Betroffene lernen können, mit ihrer Erkrankung besser umzugehen. Einer davon ist das Cognitive Behavioral Analysis System of Psychotherapie, kurz CBASP.

CBASP ist ein noch recht junger Therapieansatz und der bisher einzige, der speziell für chronisch depressive Menschen entwickelt wurde. Jetzt haben Expertinnen und Experten aus der ganzen Welt beim 9. Internationalen CBASP-Family Netzwerktreffen auf dem Gelände der Vitos Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie Gießen ihre Erfahrungen damit ausgetauscht. Virtuell dabei war auch der US-amerikanische Psychologieprofessor und CBASP-Entwickler James P. McCullough.

Der gezielte Einsatz einzelner Elemente aus dem CBASP-Programm (Stichwort Modulare Psychotherapie) war Thema des Symposiums, das Prof. Dr. Michael Franz, Ärztlicher Direktor des Vitos Klinikums Gießen-Marburg, auf Wunsch des CBASP-Dachverbands in Gießen ausgerichtet hatte. An einigen Kliniken werden bereits solche Elemente in therapeutische Konzepte eingebaut – so auch bei Vitos in Gießen und Marburg.

Entwicklungsblockade durch Traumatisierung

CBASP ist eine Form der Verhaltenstherapie, die den Fokus auf die Beziehungsfertigkeiten von Menschen legt. Es basiert auf der Annahme, dass bei chronisch Depressiven in diesem Bereich eine Art Entwicklungsblockade vorliegt – z. B. als Folge von Verlusterfahrungen, emotionaler Vernachlässigung oder Misshandlungen in der Kindheit. Durch solche traumatisierenden Erfahrungen ist die erfolgreiche, zielführende Interaktion von Personen mit ihrer Umwelt gestört. Heißt: Betroffenen fällt es schwer, im sozialen Zusammenleben ihre Ziele und Wünsche zu erreichen.

Auch Prof. James P. McCullough hat in der Kindheit solche Erfahrungen gemacht, wie er beim CBASP-Family Netzwerktreffen Gießen erstmals berichtete. Als junger Mann hatte er zudem selbst mit Depressionen zu kämpfen. Im Laufe der Jahre erkannte er, dass sein eigenes Tun direkte Auswirkungen darauf hat, wie sich andere Menschen ihm gegenüber verhalten.

Der Schlüssel liegt in der Interaktion

In seiner beruflichen Laufbahn habe er gesehen, dass chronisch depressive Menschen oft jahrelang mit Therapeut/-innen über ihre Probleme reden, dies aber kaum etwas an ihrer Situation, das heißt, an ihrem konkreten Handeln, ändert, so McCullough. Der Schlüssel musste also anderswo liegen. Diese Überlegung brachte ihn zur Entwicklung des CBASP-Programms.

Wie das Programm konkret aussieht, fasst Prof. Dr. Michael Franz zusammen:

Herr Prof. Franz, wie funktioniert CBASP?

Prof. Franz: „Bei CBASP geht es zunächst um prägende Beziehungen, in der Regel in der Kindheit, also meist zu Eltern oder ähnlichen wichtigen Bezugspersonen. Diese Prägungen wirken im Fall von emotionalen Traumata wie ein Stempel, den die Betroffenen später in jede Interaktion mit relevanten Bezugspersonen einbringen. Vereinfacht gesagt, wiederholen sie die kindlichen Erfahrungen, indem sie die frustrierende Erfahrung gegenüber ihrer damaligen Bezugsperson wiederherstellen.

Neben der Aufklärung über die Störung gibt es für die Patient/-innen ein zentrales Ziel: Zu erkennen, welche Wirkung ihr Verhalten in bestimmten Situationen auf andere hat. Der Kiesler-Kreis und die Situationsanalyse sind deshalb wichtige Elemente des Programms. Das heißt: Situationen, die für die Betroffenen immer wieder problematisch sind, betrachten sie gemeinsam mit dem Therapeuten oder der Therapeutin genauer. Dann erarbeiten sie Strategien, wie eine Verhaltensänderung zu positiveren Erfahrungen führen kann.“

Was unterscheidet CBASP von anderen Therapien?

Prof. Franz: „Die Therapeut/-innen nehmen dabei eine besondere, oft sehr aktive Rolle ein. Sie nutzen ihre Beziehung zu den Patient/-innen, um deren Verhalten zu reflektieren – manchmal auch konfrontativ. Sie bringen sich als Gegenüber manchmal sehr stark persönlich ein, indem sie den Patient/-innen zeigen, was deren Worte oder Taten gerade bei ihnen auslösen. So lernen die Patient/-innen zwischen eigenen Verhaltensmustern beziehungsweise Erwartungen und dem Verhalten der Umwelt zu unterscheiden. Das sind sogenannte interpersonelle Strategien. Auf diese Weise helfen wir den Betroffenen, Verhaltensmuster, die immer wieder zu belastenden Situationen führen, zu hinterfragen und zu verändern. Und damit auch, ihr Leben anders zu gestalten.“

Wird CBASP auch bei Vitos angewandt?

Prof. Franz: „Am Vitos Klinikum Gießen-Marburg setzen wir in ganz vielen Bereichen auf einen modularen Ansatz in der psychiatrischen Behandlung. Das bedeutet: Wir nehmen einzelne Methoden aus verschiedenen Therapieschulen heraus und setzen sie da ein, wo sie den Patient/-innen am effektivsten helfen. Das machen wir auch mit CBASP so. Auf den Depressionsstationen der Vitos Kliniken für Erwachsenenpsychiatrie wenden wir Elemente daraus an. An beiden Standorten haben wir engagierte Teams, die sich mit eigenen Ideen zur praktischen Umsetzung einbringen.“

Haben Sie ein Beispiel für ein solches CBASP-Modul?

Prof. Franz: „An unserer Klinik in Gießen hat das multiprofessionelle Stationsteam ein innovatives Gruppenangebot zum Kiesler-Kreis-Modell etabliert. Dieses beschreibt, wie sich menschliche Verhaltensweisen permanent gegenseitig beeinflussen. Wenn ein Mensch zum Beispiel sehr dominant auftritt, wird sich das Gegenüber meist unterwürfig verhalten. Dabei kommt es aber darauf an, ob die Dominanz feindselig geäußert wird oder freundlich-führend – die Reaktion wird in beiden Fällen eine ganz andere sein.

Dieses Verhaltensmodell bringen wir unseren Patient/-innen in Gießen in verschiedenen Interventionen und Ebenen nahe, vom Einzelgespräch über die Gruppe bis hin zu Spielkarten, die vom Stationsteam selbst entwickelt wurden.“

Warum ist ein Austausch unter den Anwender/-innen, wie jetzt beim CBASP Netzwerktreffen, so wichtig?

Prof. Franz: „Zu erfahren, wie andere auf der ganzen Welt das Therapieprogramm umsetzen und welche Erfahrungen sie machen, ist unglaublich bereichernd. Wir behandeln in unseren Kliniken Menschen, die alle individuelle Persönlichkeiten sind und immer wieder von gesellschaftlichen Entwicklungen beeinflusst werden. Deshalb müssen wir auch unsere Therapiemethoden stetig weiterentwickeln. Bei einer Veranstaltung wie dem Netzwerktreffen kann jeder von jedem lernen – das ist das Wertvolle daran.“

Mehr Infos zur Behandlung von Depressionen an der Vitos Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie Gießen: https://www.vitos.de/gesellschaften/vitos-giessen-marburg/einrichtungen/vitos-klinik-fuer-psychiatrie-und-psychotherapie-giessen/behandlungsschwerpunkte/depressionen [1]