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Das gemeinsame Ziel: Hürden abbauen

Symposium gibt Impulse für bessere Gesundheitsversorgung von Menschen mit Flucht- oder Zuwanderungserfahrung

Es ist ein öffentlich wenig beachtetes Thema: Die Gesundheitsversorgung von geflüchteten oder zugewanderten Menschen. Mit einem Symposium und der Verleihung des ersten Transkulturellen Preises hat Vitos nun das Augenmerk auf dieses Thema gelenkt. Mehr als 100 Teilnehmerinnen und Teilnehmer waren bei der Fachveranstaltung am Vitos Standort in Marburg dabei.

Etwa 100 Teilnehmende aus ganz Deutschland sind zum Symposium an den Vitos Standort in Marburg gekommen.

Etwa 100 Teilnehmende aus ganz Deutschland sind zum Symposium an den Vitos Standort in Marburg gekommen.

Es herrscht gespannte Stille im Festsaal von Vitos Gießen-Marburg als Dr. Matthias Bender die Preisverleihung anmoderiert. Zehn Bewerbungen für den Transkulturellen Vitos Preis waren eingegangen. Initiativen, Vereine und auch Einzelpersonen hatten sich um den Preis beworben, der mit 3.000 Euro dotiert ist. Dr. Bender, Ärztlicher Direktor des Vitos Klinikums Kurhessen, stellt sie alle ausführlich vor. Er nimmt sich Zeit, um zu erläutern, wie sie sich für die Gesundheit von Menschen einsetzen, die es in unserer Gesellschaft besonders schwer haben: Menschen mit Flucht- oder Migrationsgeschichte. Das Engagement ist vielseitig – es reicht von Sportförderung über Beratungsangebote für Asylsuchende bis hin zu Krisenintervention für Menschen, die von Flucht und Krieg traumatisiert sind. Oftmals sind die Angebote nur deshalb möglich, weil Ehrenamtliche einen Teil der Arbeit schultern. „Wir haben die Bewerbungen sorgsam geprüft und sind sehr beeindruckt von dem vielfältigen Engagement, das es hier in Hessen für Migrantinnen und Migranten gibt. Wir danken ganz herzlich für die Einreichungen und die geleistete wertvolle Arbeit“, sagte Dr. Bender, der zur Bewertungskommission für die Auswahl des Preisträgers gehörte. Bender erläuterte, woher die Idee zum Transkulturellen Vitos Preis stammte: Die transkulturelle Ambulanz Hadamar hatte 2010 einen Förderpreis initiiert, der neunmal an lokale Initiativen und Personen verliehen wurde, die sich in besonderer Weise um die interkulturelle psychiatrische Arbeit verdient gemacht hatten.

Frankfurter Verein FATRA erhält Preis

Die Wahl der Kommission, die in den vergangenen Wochen die Bewerbungen geprüft hatte, fiel auf den Frankfurter Verein FATRA. Mit der Verleihung des Transkulturellen Preises würdigt Vitos dessen jahrzehntelanges Engagement für Flüchtlinge und Folteropfer.

Dr. Barbara Wolff, Vostandsvorsitzende von FATRA, nimmt den Preis entgegen.

Dr. Barbara Wolff, Vostandsvorsitzende von FATRA, nimmt den Preis entgegen.

FATRA bietet vielfältige Hilfen für Menschen, die unter den seelischen Folgen von Krieg, Folter, Verfolgung und anderen schweren Menschenrechtsverletzungen leiden. „Der Preis ist eine Anerkennung für die wertvolle Arbeit, die der Verein seit fast 30 Jahren leistet“, sagte Reinhard Belling, Vorsitzender der Vitos Konzerngeschäftsführung, bei der Preisverleihung. Menschen mit Fluchterfahrung seien häufig traumatisiert. Dennoch gebe es für sie hohe Hürden, um eine geeignete psychiatrische oder psychotherapeutische Hilfe zu erhalten – unter anderem, weil das Wissen über Hilfsangebote fehle oder die Sprachbarriere den Zugang zur Versorgung erschwere. „FATRA setzt mit seinem Angebot sehr niedrigschwellig an, klärt auf, vermittelt und leistet sogar Krisenintervention. Ohne diese Arbeit würden viele Flüchtlinge womöglich nie oder erst spät Hilfe erhalten“, betonte Belling.

„Wir sind froh, mit diesem Preis eine Anerkennung und Unterstützung für unsere Arbeit zu erhalten. Fast noch wichtiger ist aber, dass der Transkulturelle Vitos Preis das Augenmerk auf die Gesundheitsversorgung von Menschen mit Fluchterfahrung lenkt“, sagte Dr. Barbara Wolff, Vorstandsvorsitzende von FATRA.

Interkulturelle Öffnung ist für Vitos zunehmend wichtig

Warum stiftet Vitos einen Preis für die bessere Gesundheitsversorgung von Menschen aus anderen Ländern und Kulturen? – Die interkulturelle Öffnung ist für Vitos schon seit Jahren von zunehmender Bedeutung. Mindestens 20 Prozent der Patientinnen und Patienten, die Vitos in der Erwachsenenpsychiatrie behandelt, bringen eine Flucht- oder Zuwanderungsgeschichte mit. Wiederum etwa die Hälfte von ihnen hat keine oder kaum Kenntnisse der deutschen Sprache. Sprachliche und auch kulturelle Verständigungsprobleme erschweren es diesen Patientinnen und Patienten, von der Behandlung zu profitieren.

Staffelübergabe: Reinhard Belling (2. v. r.), Vorsitzender der Vitos Konzerngeschäftsführung, und Dr. Matthias Bender verabschieden beim Symposium Prof. Eckhardt Koch als Konzernmigrationsbeauftragten und begrüßen seine Nachfolgerin Dr. Barbara Bornheimer.

Staffelübergabe: Reinhard Belling (2. v. r.), Vorsitzender der Vitos Konzerngeschäftsführung, und Dr. Matthias Bender (r.) verabschieden beim Symposium Prof. Eckhardt Koch als Konzernmigrationsbeauftragten und begrüßen seine Nachfolgerin Dr. Barbara Bornheimer.

In manchen Fällen fehlt Wissen über das deutsche Gesundheitswesen oder das Hilfs- und Behandlungsangebot. „Manchmal erschwert auch eine kulturell bedingte Scham die Behandlung oder es gibt gar keine Vorstellung davon, dass ein Leiden psychische Ursachen haben kann. Hinzu kommt, dass es gerade Menschen mit Fluchterfahrung schwerfällt, Vertrauen zu fassen. Denn sie haben ja häufig Traumatisierendes erlebt“, schildert Prof. Eckhardt Koch, Initiator des Symposiums und bis Jahresbeginn Vitos Konzernmigrationsbeauftragter. Bei der Fachtagung wurde er offiziell aus dieser Funktion verabschiedet und seine Nachfolgerin, Dr. Barbara Bornheimer, eingeführt.

„Sie haben einen wertvollen Beitrag dazu geleistet, dass wir Hürden in der Behandlung abbauen konnten“, sagte Belling anlässlich der Verabschiedung von Prof. Koch. Als Beispiele nannte er die Einführung eines hausinternen Dolmetscherdienstes bei Vitos oder Angebote wie die interkulturelle Psychoedukation. Letztere trägt dazu bei, dass Patientinnen und Patienten mit Migrationsgeschichte ein besseres Verständnis ihrer Erkrankung und Informationen zu Behandlungsmöglichkeiten erhalten.

Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter gewürdigt

Wurden für ihr Engagement als Dolmetscherinnen gewürdigt: Ayse Kaya (li., Vitos Gießen-Marburg) und Helia Borhani (Vitos Hochtaunus).

Wurden für ihr Engagement als Dolmetscherinnen gewürdigt: Ayse Kaya (li., Vitos Gießen-Marburg) und Helia Borhani (Vitos Hochtaunus).

Vitos hat einen Dolmetscherdienst aufgebaut, der aus drei Säulen besteht: Zum einen aus externen Dolmetscherinnen und Dolmetschern. Zum anderen gibt es die Möglichkeit zum Video-Dolmetschen. Die wichtigste Säule ist jedoch der hausinterne Dolmetscherdienst. Er besteht aus Mitarbeitenden, die für diese Aufgabe geschult werden und sich bereit erklären, im Bedarfsfall hinzugezogen zu werden. Sie sind wertvolle Mittler, denn sie übersetzen nicht nur, sondern bringen auch ihre kulturelle Prägung ein. Gleichzeitig arbeiten sie zumeist selbst in der psychiatrischen Pflege und Behandlung und können damit entsprechend professionell mit den Patientinnen und Patienten umgehen. Etwa 400 Mitarbeitende sind derzeit bei Vitos als hausinterne Dolmetscher tätig.

Im Rahmen des Symposiums wurden nun zwei von ihnen für ihr besonderes Engagement gewürdigt: Ayse Kaya (Vitos Gießen-Marburg) sowie Helia Borhani (Vitos Hochtaunus). Weil sie gemeinsam mit Ayse Kaya eine Intervention für hausinterne Dolmetscher aufgebaut hatte, um ihnen die Möglichkeit zum Erfahrungsaustausch zu bieten, erhielt auch Dana Gottschow eine Würdigung. Ebenfalls gewürdigt wurde Dr. Valentina Veneto Scheib (Vitos Klinik Bamberger Hof), die einen Kriterienkatalog für interkulturelle Arbeit und interkulturelle Intervision erstellt hatte.

Weiterführende Informationen: 

Fotos: Vitos / Fotografin: Melanie Weiershäuser