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„Die Krise holt das Beste aus uns heraus“

Die Intensivstation der Vitos Klinik für Neurologie Weilmünster während der Pandemie

Arbeiten im Ausnahmezustand: Das ist für viele Einrichtungen des Gesundheits- und Sozialwesens in Zeiten der Pandemie fast schon zum Alltag geworden. Für die Intensivstation der Vitos Klinik für Neurologie Weilmünster gilt dies einmal mehr. Seit Monaten schon sind die Kolleginnen und Kollegen dort enormen Belastungen ausgesetzt. „Was unsere Mitarbeiter hier leisten, ist unglaublich“, sagt Klinikdirektor PD Dr. med. Christoph Best. Er schildert in diesem Erfahrungsbericht, wie er und sein Team die vergangenen Monate erlebt haben.

Als die Pandemie hier in Deutschland losging, waren wir vorgewarnt: Es gab zu diesem Zeitpunkt bereits Länder mit weit höheren Infektionszahlen, überlasteten Kliniken und hohen Sterberaten. Meine Kollegen und ich haben die Bilder aus Italien gesehen und uns gesagt: Soweit darf es bei uns nicht kommen. Das war für uns ein Antrieb, uns möglichst gut auf diese Krise vorzubereiten. Auch aus der Politik kam frühzeitig die Zielvorgabe, weitere Intensivkapazitäten zu schaffen. Das haben wir auch getan und sechs Betten aufgestockt: Wir können nun bis zu 21 Intensivbetten zur Verfügung stellen. Während der Pandemie sind durchschnittlich 17 Betten belegt, in Spitzenzeiten 19. Zuvor waren auf unserer Intensivstation im Durchschnitt 12 Betten belegt.

Behandlung der Covid-19-Patienten kann sehr aufwendig sein

Mehr Betten auf der Intensivstation zur Verfügung zu stellen, heißt für uns vor allem: Wir benötigen zusätzliches Personal. Mit jedem weiteren Bett, mit jedem weiteren Beatmungsplatz, steigt der Personalbedarf erheblich. Das gilt insbesondere für diese Pandemie. Denn die Behandlung der Covid-19-Patienten kann – je nach Krankheitsverlauf – sehr aufwendig sein. Auch die Schutzvorkehrungen, die wir treffen müssen, damit das Virus sich nicht verbreitet, sind mit einem enormen Aufwand verbunden.

Intensivstation der vitos Klinik für Neurologie Weilmünster

Enorm anstrengend: Das Arbeiten in voller Schutzausrüstung auf der Intensivstation.

Sowohl Patienten, die an Covid-19 erkrankt sind, als auch die Verdachtsfälle sind isoliert untergebracht. Vor jedem der Patientenzimmer haben wir eine Schleuse eingerichtet. Dort legen unsere Mitarbeiter eine Schutzausrüstung an. Das An- und Ablegen kostet viel Zeit. Ein zweiter Mitarbeiter bleibt in der Schleuse, um zum Beispiel Material reichen zu können, das kurzfristig benötigt wird. Manchmal arbeiten die Behandler oder Pflegekräfte auch zu zweit am Bett. Zum Beispiel, wenn ein Patient gedreht werden muss.

Für unsere Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter ist diese Arbeit körperlich sehr anstrengend und unheimlich zeitaufwendig. Entsprechend hoch ist der Personalbedarf. Stemmen können wir das nur, weil wir andere Stationen geschlossen haben und Personal aus anderen Bereichen der Klinik für die Intensivstation rekrutiert haben. Wir haben eine von zwei Stationen unserer Frührehabilitation geschlossen, außerdem die Schmerztherapie und das Schlaflabor. Dann haben wir Personal aus dem gesamten Haus umgeschichtet: Alle, die Erfahrung mit der Arbeit auf einer Intensivstation hatten, haben wir dort nun eingebunden. Außerdem alle Assistenzärzte, die Ergo- und Physiotherapeuten und Pflegekräfte mit Erfahrung in Intermediate Care, also in der Intensivüberwachungspflege.

Der normale Betrieb unserer Klinik läuft während der Pandemie weiter, wenn auch eingeschränkt. Alle Patientinnen und Patienten, die dringend eine Behandlung benötigen, versorgen wir weiterhin. Für andere Patienten, deren Behandlung nicht ganz so dringlich ist, haben sich die Wartzeiten verlängert. Unsere Erfahrung aus der ersten Welle der Pandemie ist, dass Menschen trotz Symptomen nicht zu uns in die Behandlung kommen, weil sie Angst vor einer Ansteckung mit dem Coronavirus haben. Sie kommen selbst dann nicht, wenn sie deutlich krank sind, also beispielsweise einen Schlaganfall hatten. Dass Menschen in dieser Pandemie medizinisch nicht versorgt sind, ist für mich als Arzt schwer hinnehmbar.

Intensivstation der vitos Klinik für Neurologie Weilmünster

Etwa 60 Patienten mit schweren Covid-19-Krankheitsverläufen haben die Mitarbeiter/-innen auf der Intensivstation behandelt.

Während der ersten Welle der Pandemie hatten wir keinen einzigen bestätigten Fall einer Coronavirus-Infektion. Das hat uns Zeit verschafft, die wir dafür genutzt haben, uns möglichst gut vorzubereiten. Wann werden welche Medikamente verabreicht? Wann wird beatmet? – Für solche Fragen haben wir Leitlinien entwickelt und alle Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter entsprechend geschult. Außerdem haben wir Teamleiter in der Pflege eingeführt. Das hat sich sehr bewährt: Sie sind eine wichtige Schnittstelle zwischen den Berufsgruppen und informieren die Bezugspflege über den Fortgang der Behandlung.

Die zweite Welle hat die Situation für uns gänzlich verändert. Bis Mitte Januar wurden etwa 134 Patienten in unserer Klinik behandelt, die entweder an Covid-19 erkrankt waren oder bei denen der Verdacht einer Infektion bestand. Auf der Intensivstation haben wir etwa 60 Patienten mit schweren Covid-19-Krankheitsverläufen behandelt.

Für das Team der Intensivstation ist diese Situation mental belastend. Wir behandeln hier auch sonst schwer kranke Patienten. Dass es um Leben und Tod gehen kann, gehört dazu. Eine Situation wie die jetzige haben wir aber noch nie erlebt – im Moment stirbt jede Woche ein Patient an Covid-19. Das ist manchmal schwer auszuhalten.

Die Arbeit mit Angehörigen hat sich verändert

PD Dr. med. Christoph Best

Versucht in der Pandemie neue Perspektiven für sich und sein Team zu finden: PD Dr. med. Christoph Best.

Auch die Arbeit mit den Angehörigen hat sich verändert: Unsere Intensivstation ist als angehörigenfreundlich zertifiziert. Wir legen sonst großen Wert darauf, dass die Angehörigen jederzeit zu Besuch kommen können. Sie können das Team immer ansprechen und wir binden sie – sofern sie das möchten – in die Behandlung und Pflege mit ein. Wegen der Pandemie können wir Besuche nur noch in sehr wenigen Ausnahmefällen zulassen. Wir tun, was wir können, indem wir zum Beispiel Video-Besuche ermöglichen. Für die Angehörigen ist es trotzdem schrecklich, keinen Beistand leisten zu können.

Ich persönlich versuche, immer wieder Perspektiven zu entwickeln. Es bringt nichts, täglich auf das Infektionsgeschehen zu blicken und sich von wechselnden Meldungen aus der Ruhe bringen zu lassen. Wir stellen uns eben, so gut es geht, auf die Pandemie ein. Selbst für schlimme Szenarien haben wir inzwischen Lösungen entwickelt. Zum Beispiel für den Fall, dass unsere Beatmungskapazitäten nicht ausreichen sollten. Im Augenblick können wir maximal 21 Beatmungsplätze auf der Intensivstation zur Verfügung stellen. Grundsätzlich ist es allerdings möglich, mehr als einen Patienten an ein Gerät anzuschließen. Wir haben dieses Szenario sowohl mit Herstellern als auch mit der Ethik-Kommission einer Universität durchgesprochen. Anschließend haben wir uns entsprechende Ersatzteile besorgt und diesen Fall simuliert, indem wir zwei Freiwillige an ein Beatmungsgerät angeschlossen und mittels Maske beatmet haben. Das hat funktioniert. Auch CPAP-Geräte, die in der Behandlung von Schlafapnoe zum Einsatz kommen, könnten wir umbauen und damit Covid-19-Patienten beatmen. Das ist natürlich Katastrophen-Medizin – aber der Gedanke, dass wir auch in der schlimmsten denkbaren Situation handlungsfähig wären und keinen Patienten sterben lassen müssen, hat mich ungemein beruhigt.

Es ist einfach toll, was die Kolleginnen und Kollegen auf der Intensivstation hier tagtäglich leisten. Sie tragen die Last der Pandemie. Es ist eine extreme Situation und ich erlebe, wie viele meiner Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter daran wachsen. Sie bringen sich mit Ideen und Lösungsvorschlägen ein. Kollegialität, Leistungsbereitschaft und Kreativität sind enorm hoch. Die Krise holt das Beste aus uns allen heraus. Das ist wirklich toll. Je länger die Krise dauert, umso schwieriger ist es für uns alle aber auch.

Vitos Klinik für Neurologie Weilmünster

Als eine der größten neurologischen Akutkliniken Deutschlands behandelt die Vitos Klinik für Neurologie Weilmünster jährlich etwa 3.500 Patienten mit akuten und chronischen neurologischen Erkrankungen jeder Art. Die Schwerpunkte der Klinik liegen auf der Untersuchung und Behandlung von akuten Schlaganfällen, entzündlichen Nervenerkrankungen, insbesondere Multiple Sklerose, Epilepsie, Demenz, Parkinson, chronischem Schmerz, Schwindel und Schlaferkrankungen sowie einer konservativen Therapie von Wirbelsäulenerkrankungen.

Für Schlaganfallpatienten steht eine zertifizierte Spezialstation bereit (Stroke Unit). Bei einer lebensbedrohlichen neurologischen Erkrankung ist die Versorgung der Patienten auf einer Intensivstation gewährleistet. Für neurochirurgische Eingriffe gibt es einen OP-Saal. Ebenso gehört eine Frührehabilitationsstation zum stationären Versorgungsangebot. Menschen mit chronischen Schmerzen finden Hilfe bei der multimodalen Schmerztherapie.

Mehr über die Vitos Klinik für Neurologie Weilmünster erfahren Sie hier [1].