Die subjektive Seite der Schizophrenie

Die subjektive Seite der Schizophrenie

„Der Begriff der „personalisierten Medizin“ spielt in der aktuellen Diskussion der Medizin eine wichtige Rolle in ganz anderem Kontext. Wie sehr ist der Mensch vorhersagbar aus seinem Genom? Ist die Biologie der Schlüssel zur Verbesserung von Behandlung? So weit, dass die Medizin personalisiert würde? Personalisiert, Persönlichkeit, das Persönliche hat natürlich auch die andere Seite, die aus der Vielfältigkeit des Lebens eine Vielfältigkeit von Bedürfnissen entstehen lässt. Alles sind zentrale Aspekte für Entwicklung, Therapie und Recovery und die subjektive Seite. Wie ist es möglich, die Bedürfnisse besser zur Grundlage der Behandlungen zu machen und auf ihrer Basis Therapieziele zu definieren? Wo liegen die Grenzen der Selbstbestimmung – nimmt man die Menschenrechte als Basis?“

Das war der Einladungstext zu der trialogisch ausgerichteten Tagung Anfang des Jahres an der Berliner Charité. „Persönlich und bedürfnisorientiert, Prävention und Behandlung nach Wunsch und Evidenz?“ sind auch Themen, mit denen wir uns bei der Arbeit mit den Patienten täglich aufs Neue beschäftigen. Ein guter Grund, die verschiedenen in Berlin geäußerten Perspektiven noch einmal zu rekapitulieren.

Spannungsfelder

Ausgehend von der Schizophrenie, aber mit Blick auf schwerwiegende psychiatrische Störungen insgesamt, wurde das Spannungsfeld zwischen Leitlinienorientierung und Modularisierung versus maßgeschneiderter, am Patienten orientierter, psychiatrischer Behandlung ausgeleuchtet. Behandler und Patienten ringen um den einzuschlagenden Prozess: den vom Patienten gewünschten und akzeptierten und zugleich den vom Behandler zu verantwortenden therapeutischen. Dafür braucht es neben Geduld und Neugier auch die Bereitschaft, den Patienten, seine Situation und seine Symptome zu verstehen. Und manchmal verlangt das auch einen »breiten Rücken«, so Prof. Jürgen Gallinat, Ärztlicher Direktor der Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie des UKE Hamburg. Statt einer defensiv die eigene Absicherung in den Vordergrund stellende Behandlungsplanung sei eine notwendig, die die Ziele und Wünsche des Patienten intensiv miteinbezieht.

Dr. Liselotte Mahler, Oberärztin an der Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie der Charité, stellte dazu das Weddinger Modell vor. Dabei finden alle Behandlungsplanungen mit dem Patienten ohne weitere Vor- und Nachbesprechung im Team statt.

Seit Jahren werden psychotherapeutische Interventionen in den Leitlinien als wesentlicher Bestandteil der Psychosentherapie aufgeführt. Aber sie wurden bisher noch kaum realisiert, so Dr. Iris Hauth, seit Kurzem Vorsitzende der DGPPN. Ende 2014 wurde die ambulante Richtlinien-Psychotherapie bei Psychosen endlich in den Katalog der Kassenleistungen aufgenommen.

Prof. Heinrich Kunze, vormaliger langjähriger Direktor der Psychiatrischen Klinik Merxhausen, trug einen Abriss der Entwicklungen, gemessen an der Psychiatrie-Enquête von 1975, vor. Er hat die optimistische Einschätzung, dass die definitive Einführung des PEPP-Systems immer noch verhinderbar sei.

Im Trialog liegt die Zukunft

Prof. Thomas Bock, Leiter der Spezialambulanz für Psychosen des UKE Hamburg, und andere betonten den Stellenwert der aus den Psychose-Seminaren entstandenen Trialog-Bewegung. Das ist die intensive gleichberechtigte Auseinandersetzung zwischen (ehemaligen) Patienten, in eigener Diktion »Psychiatrie-Erfahrene«, deren Angehörigen sowie den behandelnden und unterstützenden Professionellen.

Die Tagungsthematik entsprach der Vitos Kundenperspektive überdurchschnittlicher Kundenzufriedenheit, vielleicht besser benannt als Zufriedenheit Psychiatrie-Erfahrener mit ihrer Behandlung und ihren Behandlern. Wie auch im Leitbild des LWV verankert, hat sich unser Handeln an den Bedürfnissen und Wünschen dieser Menschen zu orientieren.

Allerdings drohen diese Themen auch bei Vitos immer wieder in den Hintergrund zu treten und bedürfen der stetigen Auffrischung. Die 18. Tagung »Die subjektive Seite der Schizophrenie« findet vom 24. bis 26.02.2016 in Hamburg statt. Thema: Alternativen zum Zwang – Umgang mit Ausnahmesituationen und Krisen.

Autor/-in
Dr. med. Jürgen Turski , stellvertretender Klinikdirektor und Karin Solms-Turski, Dipl.-Psychologin und psychologische Psychotherapeutin