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Dolmetschen: Mitarbeitende sind wichtigste Säule

Interview mit den Migrationsbeauftragten Ayse Kaya und Dana Gottschow

Die Psychiatrie gilt in der Medizin als „sprechende Disziplin“. Denn therapeutische Gespräche sind ein Grundpfeiler der Behandlung. Aber was tun, wenn die sprachliche Verständigung nicht ohne Weiteres möglich ist? Immerhin bringt etwa jeder fünfte psychisch erkrankte Mensch, den wir bei Vitos behandeln, eine Flucht- oder Migrationsgeschichte mit. Damit diese Patientinnen und Patienten genauso gut von der Behandlung profitieren, hat Vitos einen Dolmetscherdienst etabliert. Dessen wichtigste Säule: Die eigenen Mitarbeitenden. Welche Bedeutung die hausinternen Dolmetscher/-innen für die Behandlung haben, schildern die Vitos Migrationsbeauftragten Ayse Kaya und Dana Gottschow.

Was ist der Vorteil, für das Dolmetschen in der Behandlung auf eigene Mitarbeitende zurückgreifen zu können?

Ayse Kaya: Den großen Vorteil sehe ich darin, dass die Kolleginnen und Kollegen in der Regel selbst in der psychiatrischen Pflege und Behandlung tätig sind und entsprechend professionell mit den Patientinnen und Patienten umgehen können. Es ist unheimlich toll, dass sie bereit sind, sich neben ihrer regulären Tätigkeit für das Dolmetschen zu engagieren. Bei Vitos Gießen-Marburg haben wir etwa 50 interne Dolmetscherinnen und Dolmetscher. Schon bei der Aufnahme von Patientinnen und Patienten können wir sie einbeziehen. Sie übersetzen nicht nur, sondern sind auch Expertinnen und Experten der jeweiligen Kultur.

Inwiefern ist das von Vorteil?

Kaya: Das lässt sich vielleicht am besten an einem Beispiel erklären: Wir hatten hier mal eine junge Frau, die an einer Depression erkrankt war. Sie konnte sich nicht richtig auf die Behandlung einlassen, weil sie sehr in ihren familiären Strukturen gefangen und mit den Gedanken ständig zu Hause war. In vielen Kulturen ist die Familie, insbesondere die Großfamilie sehr viel wichtiger als hierzulande. Gerade an Frauen werden dann hohe Erwartungen gestellt, ihre familiären Aufgaben zu erfüllen. Das Wissen um diese kulturelle Prägung erleichtert den Zugang zu den Patientinnen und Patienten.

Wie genau werden die Dolmetscherinnen und Dolmetscher eingesetzt?

Kaya: Die Einsätze sind in aller Regel gut geplant. Die Kolleginnen und Kollegen werden zum Beispiel für das Aufnahmegespräch oder eine Visite angefragt. Es gibt aber natürlich auch immer wieder kurzfristige Einsätze.

Dana Gottschow: Die Kinder und Jugendlichen, die in unserer kinder- und jugendpsychiatrischen Fachklinik in Hanau behandelt werden, sprechen häufig ausreichend gut Deutsch. Das gilt für die Eltern allerdings nicht immer. Bei vielen Gesprächen mit ihnen – zum Beispiel mit Beteiligten des Jugendamtes oder der Schule – benötigen wir die Unterstützung von Dolmetscherinnen und Dolmetschern. Neben diesen geplanten längeren Gesprächen gibt es aber auch kurzfristige Einsätze. Wir haben die Erfahrung gemacht, dass diese kürzeren Einsätze den Kolleginnen und Kollegen sogar lieber sind, weil sie dann ihren eigenen Arbeitsplatz nicht so lange verlassen müssen.

Wie ist denn die Akzeptanz für den hausinternen Dolmetscherdienst im Kollegenkreis?

Kaya: Es gibt eine hohe Akzeptanz, weil letztlich alle davon profitieren. Natürlich gibt es im Stationsalltag Herausforderungen, wenn jemand kurzfristig zum Dolmetschen gerufen wird. Aber gerade bei geplanten Einsätze, also zum Beispiel einer Aufnahme oder Visite, überlegen wir auch, wie wir das personell entsprechend kompensieren können.

Gottschow: In unserer noch recht jungen Fachklinik ist der Dolmetscherdienst noch im Aufbau. Es gibt etwa zehn Kolleginnen und Kollegen, die sich für diese Aufgabe gefunden haben. Bislang habe ich den Eindruck, dass das kollegiale Zusammenspiel trotz aller Herausforderungen gut funktioniert. Am Ende ist es immer ein Geben und Nehmen, von dem alle etwas haben.

Kehren die Kolleginnen und Kollegen nach ihrem Dolmetscher-Einsatz gleich wieder an ihren Arbeitsplatz zurück?

Gottschow: Nein. Für den internen Dolmetscherdienst gibt es ein Konzept. Es sieht zum Beispiel vor, dass es für interne Dolmetscherinnen und Dolmetscher eine Nachbesprechung geben sollte. Das ist auch sehr sinnvoll. Denn sie nehmen ja manchmal Dinge oder Zwischentöne wahr, die dem Behandler oder der Behandlerin nicht auffallen.

Was motiviert Kolleginnen und Kollegen, sich für das Dolmetschen zur Verfügung zu stellen?

Gottschow: Das Gefühl, gebraucht zu werden, ist sicherlich eine große Motivation. Außerdem erfahren die Kolleginnen und Kollegen viel Wertschätzung für diese Tätigkeit.

Kaya: Ich bin selbst seit 16 Jahren als interne Dolmetscherin tätig. In dieser Zeit hatte ich viele Einsätze, bei denen ich sehr froh war, dass ich für die Patientinnen und Patienten da sein konnte – auch aus Verbundenheit zu meinen Landsleuten. Wenn man im Gesundheits- und Sozialwesen tätig ist, möchte man gerne etwas Nützliches und Sinnvolles für andere tun. Das bringt der Beruf mit sich. Dafür die eigene Muttersprache und die persönliche Prägung einbringen zu können, ist einfach toll.

Sie bieten über die Vitos Akademie eine Supervision für hausinterne Dolmetscherinnen und Dolmetscher an. Warum?

Gottschow: Eigentlich ist es eher eine Intervision. Denn wir arbeiten ja selbst auf Station und sind somit nicht neutral. Wir finden es einfach toll, dass sich so viele Kolleginnen und Kollegen zum Wohle der Patienten für den hausinternen Dolmetscherdienst engagieren. Die Intervision, die wir anbieten, soll für dieses Engagement eine Form der Wertschätzung sein. Außerdem wollten wir den Kolleginnen und Kollegen die Möglichkeit geben, sich auszutauschen, voneinander zu lernen und sich gegenseitig zu unterstützen. Die Rückmeldung der Teilnehmerinnen und Teilnehmer war, dass die Intervision sehr wertvoll war und zu einem Wir-Gefühl beigetragen hat. Und dass es als gegenseitige Unterstützung sehr hilfreich war.

Welche Herausforderungen gibt es für interne Dolmetscherinnen und Dolmetscher?

Kaya: Es besteht die Gefahr, dass für die Patientinnen und Patienten der Eindruck entsteht, dass die dolmetschende Person für alles zuständig ist und immer ansprechbar sein muss. Manchmal ist es dann wichtig, die Rollen nochmal zu erklären: Was tut der Behandler oder die Behandlerin? Was ist Aufgabe der Pflege? Und was macht der interne Dolmetscherdienst?

Gottschow: Die Intervision hat auch aufgezeigt, wo besondere Hürden liegen. Nämlich zum Beispiel bei Sitzungen in der Gruppentherapie oder auch bei Fragen der Dokumentation.

Was raten Sie Mitarbeitenden, die überlegen sich für diese Aufgabe zur Verfügung zu stellen?

Kaya: Zunächst einmal sage ich allen, dass ich es toll finde, dass sie das machen wollen. Aber ich sage auch: Achtet darauf, dass Ihr Euch im Alltag nicht überfordert. Ihr dürft auch mal „Nein“ sagen. – Ich finde, das ist eine wichtige Botschaft, damit die Kolleginnen und Kollegen diese Aufgabe langfristig gerne machen.

Was wünschen Sie sich für die interkulturelle Behandlung bei Vitos?

Gottschow: Für uns ist es das Wichtigste, dass alle Patientinnen und Patienten den gleichen Zugang zur Versorgung erhalten – egal, woher sie kommen oder welchen kulturellen Hintergrund sie mitbringen. Dazu wollen die internen Dolmetscherinnen und Dolmetscher einen Beitrag leisten.

Zu den Personen:

Ayse Kaya ist Gesundheits- und Krankenpflegerin und zusätzlich Migrationsbeauftragte bei Vitos Gießen-Marburg. Seit 16 Jahren ist sie zudem als hausinterne Dolmetscherin tätig.

Dana Gottschow ist Sozialarbeiterin und Migrationsbeauftragte der Vitos Kinder- und Jugendklinik für psychische Gesundheit Hanau.