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Ein Geschäftsführer tritt als Pflegekraft zur Frühschicht an

Aktion Perspektivwechsel in der Vitos Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie Gießen

Max Heuchert, Geschäftsführer von Vitos Gießen-Marburg, hat den Perspektivwechsel gewagt und einen Tag lang als Pflegekraft in der Vitos Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie Gießen gearbeitet. Sein Fazit: In der psychiatrischen Pflege arbeitet man auf Augenhöhe mit allen anderen Berufsgruppen. Man braucht nicht nur Fachwissen, sondern auch viel Empathie für Menschen und vor allem Flexibilität. Ein Logbuch aus der Frühschicht.

4:15 Uhr: Der Wecker klingelt. Als ich das letzte Mal so früh aufgestanden bin, gab es noch kein Corona und anschließend ging es in den Urlaub in die Toskana.

5 Uhr: Meine Heimatstadt Frankfurt schläft noch, alle Ampeln noch aus. Freie Fahrt!

5:40 Uhr: Ankunft auf dem Vitos Gelände in Gießen. Der Erste macht das Licht an: Noch kurz in meinem vertrauten Geschäftsführerbüro im Verwaltungsgebäude vorbeischauen. Ein bisschen Zeit ist noch.

5:55 Uhr: Bereit für die Frühschicht, auf in Richtung Haus 6! Fast alle Stationen der Vitos Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie Gießen sind im Klinikneubau (Haus 6) mitten in unserem Parkgelände untergebracht. So auch Station 9, deren Team ich gleich als Praktikant begleiten werde. Es gibt hier 25 stationäre Betten, der Schwerpunkt liegt auf der Behandlung von Depressionen. Gearbeitet wird im Drei-Schicht-System: Früh-, Spät- und Nachtschicht.

6 Uhr: Die Kollegen begrüßen mich – ich fühle mich gut in meinem neuen Team aufgenommen.

Zwei neue Patienten kamen ungeplant

6:15 Uhr: Die wenigsten Wochenenden laufen wie geplant, das wird auch an diesem Montag deutlich. Die Übergabe von Nacht- und Wochenenddienst zeigt, wie flexibel die Kolleginnen und Kollegen am vergangenen Samstag und Sonntag Unvorhergesehenes gemeistert haben. Zwei neue Patienten mussten ungeplant aufgenommen werden. Es mussten Betten bereitgestellt, Aufnahmegespräche geführt und die Neuaufnahmen natürlich auf das Coronavirus getestet werden. Gut, dass wir PCR-Tests inzwischen hausintern innerhalb von ein bis zwei Stunden auswerten können! So können die Neuaufnahmen schnell in den Stationsalltag integriert werden. Jetzt gilt es aber erst einmal, im Team mit den neuen Infos die Woche zu planen.

7 Uhr: Der Nachtdienst hat die Medikamente, die die Patientinnen und Patienten am Morgen bekommen, schon vorbereitet. Doch auch hier zählt das Vier-Augen-Prinzip. Jede Dose wird noch einmal auf Richtigkeit geprüft: Passt alles!

Das Therapieangebot ist beeindruckend

7:30 Uhr: Während die Patientinnen und Patienten frühstücken, habe ich Zeit, mir die Station genauer anzuschauen. Die klare Aufteilung der Bereiche hilft Patienten und Mitarbeitern und das vielseitige Therapieangebot ist beeindruckend.

Auf Station 9 gibt es zum Beispiel eine Wachtherapiegruppe, für die ein Team aus Pflege und Ergotherapie eigens ein umfassendes Konzept entworfen hat. Die Wachtherapie ist eine anerkannte Methode in der Behandlung von Menschen mit schweren Depressionen. Dabei bleibt eine Patientengruppe – unter Anleitung – gemeinsam eine ganze Nacht bis zum späten Abend des Folgetags wach. Der kontrollierte Schlafentzug soll depressiven Menschen, die häufig unter Schlafstörungen leiden, zu einem besseren Schlafrhythmus verhelfen. Außerdem hat die Wachtherapie kurzfristig eine stimmungsaufhellende Wirkung. Für Betroffene, die sich oft nicht mehr vorstellen können, wie es ist, Freude zu empfinden, ist das ein einschneidendes Erlebnis, das neue Hoffnung stiftet. Die Wachtherapiegruppe auf Station 9 ist immer ausgebucht. Teils fragen Patienten sogar noch nach ihrer Entlassung, ob sie teilnehmen dürfen.

8:15 Uhr: Pause. Nach vielen Eindrücken habe ich Zeit, mit den Kolleginnen und Kollegen über das Erlebte vom Wochenende zu sprechen. Sie sind auf der Station ein eingespieltes Team – alle Berufsgruppen arbeiten auf Augenhöhe zusammen.

Die Woche wird geplant

8:45 Uhr: Die multiprofessionelle Besprechung mit den anderen Berufsgruppen – also auch Ergo-, Bewegungstherapie und Sozialdienst – wird vorbereitet. Insbesondere die ungeplanten Belegungen erfordern eine gute Wochenplanung!

9:15 Uhr: Gemeinsam mit allen Berufsgruppen wird für jede Patientin und jeden Patienten die Woche durchgegangen. Neben Einzel- und Gruppentherapiegesprächen, Entspannungstraining und vielem mehr wird auch das Angebot an Ergo- und Bewegungstherapie für jeden festgelegt. Je nach Verlauf des Wochenendes muss auf individuelle Bedürfnisse reagiert werden.

Übergabe der Begrüßungsmappe

9:45 Uhr: Jetzt sind Aufnahme- und Entlassungsplanung dran. Welche neuen Patientinnen und Patienten sind bereits angekündigt? Wer muss auf die Entlassung vorbereitet werden? Im Anschluss geht es in die therapeutische Versorgung, an der auch die Pflege maßgeblich beteiligt ist – etwa in der Ausgestaltung von Therapiegruppen.

Flexibel entscheiden, gut kommunizieren

9:55 Uhr: Es gibt immer Unvorhergesehenes auf Station – so auch jetzt. Ein Patient kommt während der Besprechung zum Stationszimmer und fordert sofortige Aufmerksamkeit. Das Team muss kurzfristig und flexibel Entscheidungen treffen und vor allem beruhigend kommunizieren!

10 Uhr: Während die Patienten in Therapiesitzungen und Behandlungen sind, müssen auch bürokratische Dinge erledigt werden. Dienstplanung und Dokumentation, wie beispielsweise die Evaluierung von Pflegeplanungen, nehmen viel Zeit in Anspruch, sind aber ebenfalls notwendig.

11:30 Uhr: Die Patienten essen gemeinsam zu Mittag. Ich habe ein Abschlussgespräch mit meinem Mentor für den heutigen Tag: Markus Kraft-Balkau ist ein erfahrener Gesundheits- und Krankenpfleger und arbeitet schon seit vielen Jahren in unserer Klinik. Ich hätte mich gut geschlagen, sagt er. Ich biete an, bei Notwendigkeit einzuspringen, sehe meine Profession jedoch (auch) in anderen Bereichen!

Noch ein paar Worte zum Schluss: Vielen Dank an die Station für die gute Aufnahme. Ich habe viele Einblicke in die Arbeit der Pflegekräfte in unserer psychiatrischen Klinik bekommen und viel mitgenommen. Wir werden diese Aktion auch in die andere Richtung vollziehen – dann wird ein Mitarbeiter aus der Pflege einen Tag in die Rolle der Geschäftsführung schlüpfen. Ich freue mich schon auf Ihren Perspektivwechsel!