20 Nov Ein Lächeln versteht man in jeder Sprache
Türkischsprachige Angehörigengruppe in Bad Homburg gestartet
Für Menschen, die aus einem anderen Kulturkreis kommen und an einer psychischen Erkrankung leiden, ist der Zugang zu einer angemessenen Behandlung oft steinig. Sprachliche Hürden machen es schwierig, ihr Leiden zum Ausdruck zu bringen und kulturelle Unterschiede führen zu Vorurteilen und Berührungsängsten. Bei Vitos Hochtaunus möchte man dem entgegenwirken. Mit viel Aufklärung, Selbstreflexion und verschiedenen Maßnahmen versuchen wir kultursensibel und vorurteilsfrei zu behandeln. Eine Maßnahme ist die türkischsprachige Angehörigengruppe, die jüngst in Bad Homburg gestartet ist. Zeynep Yüksek Wolfschütz, Stellvertretende Klinikdirektorin im Vitos Klinikum Hochtaunus und Makbule Sena Polat, Assistenzärztin im Vitos Klinikum Hochtaunus, erläutern, was es damit auf sich hat und warum kultursensible Behandlung gerade im Bereich der psychischen Erkrankungen besonders wichtig und gleichzeitig besonders herausfordernd ist.
Die ersten Termine der Angehörigengruppe haben stattgefunden: Können Sie erklären, warum Sie die Gruppe ins Leben gerufen haben und welchen Bedarf es gibt?
Yüksek Wolfschütz: Zu uns kommen relativ viele Patientinnen und Patienten aus dem türkischen Sprachraum – hier treffen verschiedene Kulturen, verschiedene Sprachen und auch sehr unterschiedlich integrierte Menschen aufeinander und auf uns Therapeuten. Die Familie spielt in diesem eher kollektivistisch geprägten Kulturkreis eine große Rolle. Sie ist meist stark in den Behandlungsprozess eingebunden und entscheidet mit, wie die Behandlung verläuft. Deshalb ist es uns sehr wichtig, auch den Angehörigen, die eine Sprachbarriere haben, ein Angebot zum Austausch zu machen.
Welche Themen werden in der Gruppe besprochen?
Polat: Die psychoedukative Arbeit ist uns nicht nur mit unseren Patient/-innen, sondern auch mit deren Angehörigen wichtig. Wir versuchen aufzuklären, über Symptome und Verlauf, eventuell auch Ursachen einer psychischen Erkrankung und natürlich über die Therapiemöglichkeiten. Für Angehörige ist es immer wichtig, zu erkennen, was macht den Menschen aus und was ist die Erkrankung. Dazu gibt es in verschiedenen Kulturen manchmal sehr unterschiedliche Sichtweisen. Darüber wollen wir in den Austausch gehen.
Yüksek Wolfschütz: Ein wichtiger Punkt ist auch, dass viele, die noch nicht so lange in Deutschland leben, gar nicht wissen, welche Therapiemöglichkeiten es hier gibt. In Deutschland gibt es so viele Behandlungen, die von der Krankenkasse bezahlt werden, wie in kaum einem anderen Land der Welt. Was es natürlich auch schwer überschaubar macht, erst recht, wenn es sprachliche Hürden gibt. Viele türkischsprachige Patient/-innen gehen deshalb im Urlaub in der Türkei noch einmal zu einem Arzt und holen sich eine zweite Meinung ein.
Die Angehörigengruppe ist nur ein Baustein, um psychisch erkrankte Menschen, die mit einem anderen kulturellen Hintergrund zu uns kommen, adäquat zu behandeln. Welche Herausforderungen erleben Sie im Klinikalltag?
Yüksek Wolfschütz: Psychiatrie ist ein kultursensibles Fach. Der Beziehungsaufbau zwischen Therapeut/-in und Patient/-in ist sehr wichtig. Dabei ist die Sprachbarriere natürlich ein großes Hindernis. Und wenn man eine Beziehung aufbaut, stößt man unweigerlich irgendwann auf kulturelle Unterschiede. Auch wir Therapeutinnen und Therapeuten sind dabei manchmal nicht frei von eigenen Vorurteilen. Es ist immer noch so, dass Menschen mit Migrationsgeschichte in Kliniken und Praxen oft benachteiligt werden, oft als wehleidig abgestempelt und nicht ernstgenommen werden.
Man kennt vielleicht den Ausdruck „Morbus Bosporus“ oder „Morbus Mediterraneus“ für eine als übertrieben empfundene Schmerz- oder Symptom-Schilderung, die oftmals Menschen aus dem südeuropäischen Kulturkreis zugeschrieben wird. Bei psychischen Erkrankungen, bei denen man stark auf die Beschreibungen des Patienten angewiesen ist, findet man dieses Vorurteil besonders häufig. Bei Menschen mit Migrationserfahrung werden Schmerzen oder psychische Erkrankungen deshalb mitunter eher übersehen oder nicht richtig diagnostiziert. Das habe ich in meiner Laufbahn schon ein paar Mal erlebt und dessen muss man sich einfach immer wieder bewusstwerden und bewusst dagegen arbeiten.
Was kann man tun, damit es besser wird?
Yüksek Wolfschütz: Aufklärung und Reflexion sind sehr wichtig. Manche kulturellen Missverständnisse können relativ einfach ausgeräumt werden. Ein Beispiel: Im Türkischen gibt es sehr blumige Begriffe, um Emotionen zu benennen. Wenn diese dann 1 zu 1 übersetzt werden, hört es sich mitunter übertrieben an. Das zu wissen, hilft, es richtig einzuordnen.
Die Sprachbarriere ist in unserer sprechenden Disziplin weiterhin die größte Herausforderung. Wir haben dafür mittlerweile einige gute Unterstützungsmöglichkeiten. Das Wichtigste aber ist: Jeder Arzt, jede Ärztin muss sich fragen, wie gehe ich respektvoll und geduldig mit Menschen um, die nicht sofort verstehen, was ich sage. Das ist im Alltag nicht leicht – doch ein Lächeln versteht man in jeder Sprache und das hilft manchmal schon weiter. Wir müssen lernen, mit kulturellen Unterschieden umzugehen, ohne sie zu bewerten.
Bei Vitos gibt es dafür einen Arbeitskreis Migration, in dem wir verschiedene Maßnahmen erarbeiten und umsetzen, wie zum Beispiel „Kultursensible Treffen“, bei denen die Kolleginnen und Kollegen Zeit und Rahmen haben, über die eigenen Erfahrungen (auch Mikroaggressionen) zu sprechen und gemeinsam eine kultursensible Sprache zu erlernen. Außerdem gibt es Fortbildungsangebote über die interkulturelle Psychiatrie und nicht zuletzt haben wir auch immer mehr Kolleginnen und Kollegen aus anderen Kulturkreisen, die jede und jeder für sich ein Verständnis für das Thema mitbringen.
Makbule Sena Polat: Assistenzärztin für Psychiatrie in Weiterbildung auf der akutpsychiatrischen Station in der Vitos Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie Bad Homburg. Vorher war sie in der Psychosomatik tätig und hat dort auch ambulante, psychotherapeutische Gespräche mit türkischen Patientinnen und Patienten geführt. Davor hat sie ein Jahr lang in der Notaufnahme eines Istanbuler Krankenhauses gearbeitet.
Zeynep Yüksek Wolfschütz: Fachärztin für Neurologie, Psychiatrie, Psychotherapie mit Zusatzbezeichnung Notfallmedizin und Ethikberaterin im Gesundheitswesen AEM. Sie ist stellvertretende Klinikdirektorin der Vitos Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie Bad Homburg, ärztliche Leitung der Station 01B und ärztliche Leitung von Vitos Behandlung zu Hause Bad Homburg.