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Geburtstags-Blues

Warum manche Menschen an ihrem Geburtstag abtauchen

Jeder hat wohl in der Familie oder im Freundeskreis einen Menschen, der pünktlich zu seinem Geburtstag nicht ans Telefon geht, das Handy ausschaltet oder sogar komplett abtaucht und zum Beispiel allein einen Kurzurlaub macht. Andere Menschen fühlen sich an ihrem Geburtstag besonders unter Druck oder sind melancholisch. Dabei sollte der Ehrentag doch eigentlich ein Grund zum Feiern sein. Dr. Thorsten Bracher, Klinikdirektor der Vitos Klinik für Psychosomatik Eltville, erklärt im Interview, was dahintersteckt, wenn sich Menschen nicht über ihren Geburtstag freuen können.

Was kann man sich unter dem Begriff Geburtstags-Blues vorstellen?

Dr. Thorsten Bracher: Treten rund um den eignen Geburtstag immer wieder negative Gefühle auf, bezeichnen wir das umgangssprachlich als Geburtstags-Blues. Dieser Begriff bezieht sich auf eine zeitlich begrenzte Phase der Niedergeschlagenheit und Antriebslosigkeit, die aber nicht mit einer behandlungsbedürftigen Depression zu verwechseln ist. Da es keine wissenschaftlichen Untersuchungen zu dem Thema gibt, kann man nicht sagen, wie viele Menschen genau vom Geburtstags-Blues betroffen sind.

Wie äußert sich der Geburtstags-Blues ganz konkret?

Dr. Thorsten Bracher: Das ist natürlich von Person zu Person ganz unterschiedlich. Der eine zieht sich zurück und versetzt das Handy in den Flugmodus oder geht den ganzen Tag nicht ans Telefon. Ein anderer lässt sich vielleicht gratulieren, fühlt sich aber an den Tagen um seinen Geburtstag niedergeschlagen und melancholisch.

Woher kommt es, dass manche Menschen sich bei dem Gedanken an den eigenen Geburtstag unwohl fühlen?

Dr. Thorsten Bracher: Es können ganz unterschiedliche Faktoren eine Rolle spielen. So kann es beispielsweise sein, dass sich jemand überfordert fühlt, weil er oder sie meint, das Umfeld erwarte eine große Geburtstagsfeier. Auch das Gefühl, alle Welt erwarte gute Laune vom Geburtstagskind, kann den einen oder anderen unter Druck setzen. Genauso ist es manchen Menschen unangenehm, beschenkt zu werden oder bei unpassenden Geschenken Freude vorzuspielen.

Es kann außerdem sein, dass man sehr hohe Erwartungen an den Geburtstag und die damit verbundene Feier hat. Wenn sich diese Erwartungen dann nicht erfüllen, machen sich Enttäuschung und Frustration breit. Nicht zuletzt spielen dabei auch die Erfahrungen aus der eigenen Kindheit eine Rolle. Wurden die Geburtstage damals pompös gefeiert, hat man auch im Erwachsenenalter oft eine hohe Anspruchshaltung. Genauso kann eine negative Erwartungshaltung vorliegen, wenn die Geburtstage im Elternhaus stets mit Stress und Frust verbunden waren.

Spielt es denn auch eine Rolle, wie alt man wird?

Dr. Thorsten Bracher: Vor allem an runden Geburtstagen, also z. B. dem 30sten, dem 50sten oder dem 60sten Geburtstag neigen wir dazu, einen Blick auf die Lebenszeit zu werfen, die noch vor uns liegt. Gleichzeitig ziehen wir ein Fazit der bereits vergangenen Jahrzehnte. Nicht immer fällt das zur eigenen Zufriedenheit aus.

Was kann man tun, wenn sich jemand aus dem direkten Umfeld immer pünktlich zu seinem/ihrem Geburtstag zurückzieht?

Dr. Thorsten Bracher: Grundsätzlich ist es erst einmal wichtig, niemanden zu etwas zu drängen. Wenn jemand klar kommuniziert, keine große Feier zu wollen, muss man das respektieren. Auf keinen Fall sollte man dieses Bedürfnis einfach übergehen und beispielsweise eine Überraschungsparty organisieren. Man darf die eigene Erwartungshaltung nicht auf andere projizieren. Manchmal bedeutet das, sich auch selbst von Konventionen zu lösen.

Wenn man selbst betroffen ist und jedes Jahr um den eignen Geburtstag herum mit Niedergeschlagenheit konfrontiert ist oder den starken Wunsch hat, sich zurückzuziehen und die Welt auszuschließen, kann es sich lohnen, Ursachenforschung zu betreiben. Denn vielleicht hilft diese innere Aufarbeitung, den kommenden Geburtstagen gelassener entgegenzusehen.