

Interview über die therapeutische Wirkung des Gärtnerns
Die Gartensaison steht vor der Tür. In Zeiten des Lockdowns haben viele Menschen das Gärtnern für sich entdeckt. Ob Hochbeete mit Gemüse, Sonnenblumen auf dem Balkon oder Töpfe mit frischen Kräutern auf der Fensterbank – die Möglichkeiten sind vielfältig. Und alle haben einen positiven Effekt auf das seelische Wohlbefinden.
Die therapeutische Wirkung der Gartenarbeit wird auch im Vitos Waldkrankenhaus Köppern eingesetzt – nicht nur während der Pandemie.
Darüber spreche ich im Interview mit Uwe Streit, Stationsleiter der Station 1.
Anna Pfläging: Warum hat Gärtnern so einen positiven Effekt auf das seelische Wohlbefinden?
Uwe Streit: Die Arbeit mit Erde und Pflanzen hat den Menschen in seiner gesamten Evolution begleitet. So ist auch unsere Sprache gespickt mit Redewendungen, die der Natur entliehen sind. Zum Beispiel: die Früchte seiner Arbeit ernten, stark wie ein Baum, eine blühende Fantasie besitzen, Unkraut vergeht nicht und so weiter.
Wer in der Natur arbeitet, kann sich auf die kleinen Dinge konzentrieren, die er vollbringt. Ob beim Unkraut jäten, Einpflanzen oder Ernten. Das Ergebnis ist direkt sichtbar. Diese unmittelbar erlebte Selbstwirksamkeit ist sehr befriedigend. Alle diese Tätigkeiten führen dazu, dass die Aufmerksamkeit des Einzelnen von innen nach außen wechselt. Gartenarbeit eignet sich wunderbar, um innere Anspannung loszuwerden. Kurze Pausen während des Arbeitens kann man zum Trainieren der eigenen Achtsamkeit nutzen.

Schon der Blick ins Grüne wirkt beruhigend. Hier ist der Stationsgarten zu sehen.
Anna Pfläging: Welche Erkrankungen werden im Suchtbereich des Waldkrankenhaus Köppern behandelt?
Uwe Streit: Schwerpunkt der Stationen 1 und 2 im Vitos Waldkrankenhaus Köppern ist die Behandlung von Patienten und Patientinnen mit Abhängigkeitserkrankungen, insbesondere Alkohol, Drogen und Medikamente. Hinzu kommen kombinierte Abhängigkeitserkrankungen sowie deren Begleit- und Folgeerkrankungen. Ziel ist eine qualifizierte Entgiftung der Patient/-innen sowie die Behandlung von körperlichen und psychischen Entzugserscheinungen. Genauso unterstützen wir sie bei der Entwicklung von längerfristigen Zukunftsperspektiven.
Anna Pfläging: Was ist die Gartengruppe?
Uwe Streit: Die Gartentherapie gehört zu den ergotherapeutischen Verfahren, mit denen unsere Patienten und Patientinnen verschüttete Fähigkeiten und Potenziale wiederentdecken können. Auch problematische Muster können dadurch deutlich werden. Wichtig ist, dass die Arbeit mit Erde und Pflanzen konkret und unmittelbar ist. Wir sprechen so die gesunden und kreativen Anteile des Patienten an, während die Erkrankung erst einmal in den Hintergrund tritt. Das Gruppensetting in der Gartentherapie macht soziale Kompetenz und die damit verbundenen Probleme deutlich. Beides kann der Patient gemeinsam mit den Therapeuten reflektieren. Da Gartenarbeit eine sehr körperliche Erfahrung ist, sammeln die Patient/-innen wichtige Erfahrungen zu ihrer Belastbarkeit und Körperwahrnehmung.
Wir gehen davon aus, dass der Umgang mit Pflanzen und die Bewegung in der Natur Patient/-innen in Kontakt mit Wachstum und Veränderung bringen. In der Gartengruppe kann man Beziehungen aufbauen. Sie führt über gemeinsames Tun zu einer Vertrauensbasis zwischen Patient/-innen und Pflegepersonal. Gleichzeitig bietet sie den Patienten die Möglichkeit, neue Interessen zu entdecken. Gartenarbeit bringt Struktur in den Tag. Diese Erfahrung kann den Patienten und Patientinnen nach der Entlassung helfen.

Während der Wintermonate wird für das kommende Gartenjahr geplant
Anna Pfläging: Wer kann in der Gartengruppe mitmachen?
Uwe Streit: Die Gartengruppe ist grundsätzlich für jeden Patienten der Station 1 offen und frei wählbar. Es gibt keine Teilnahmepflicht. Allerdings hat sie als Kleingruppe eine Teilnehmerbegrenzung von maximal acht Personen. Eine Fachpflegekraft leitet die Gartengruppe.
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