Ein Phänomen des aktuellen Zeitgeistes?
Schon immer beschäftigt sich der Mensch mit der Frage, wie man „Schönheit“ definiert. Im Zeitalter von Instagram, von Germany´s Next Topmodel, Fotofiltern und Beauty-Tutorials auf YouTube wird der Fokus auf Äußerlichkeit und Ästhetik zu einer regelrechten Fixierung.
Viele Menschen können ihren Körper nicht so akzeptieren, wie er ist. Selbstzweifel und der Drang nach Selbstoptimierung sind mitunter sehr belastend. In manchen Fällen ist eine ernsthafte psychische Erkrankung, eine sogenannte Körperdysmorphe Störung, der Grund für ihr Leiden.
Wo hört das perfektionistisch geleitete Schönheitsstreben auf und wann fängt eine Körperdysmorphe Störung an?
Was ist überhaupt schön?
Eine eindeutige Antwort darauf, wie Schönheit definiert ist, ist schwierig. Tatsache ist, dass „Schönheit“ ein abstrakter Begriff ist und sie bekanntlich im Auge des Betrachters liegt. Sie unterliegt somit einer subjektiven und emotional geleiteten Beurteilung. Schönheit bezeichnet auch, als wie anziehend beziehungsweise abstoßend man etwas oder jemanden empfindet.
Wer legt jedoch fest, was als mehr oder minder schön wahrgenommen wird? Schönheit ist eine Wertung. Und der Bewertungsmaßstab ist von der Norm des Zeitgeistes und von kulturellen Einflüssen abhängig. Man denke an die Rubens-Frau im Barock-Zeitalter oder die gut genährte und mit Rundungen versehene Frau, die in manchen Kulturen als „schön und begehrenswert“ erachtet wird.
Schönheit im digitalen Zeitalter
Im Zeitalter der Digitalisierung und Globalisierung sowie der weltweit genutzten Social Networks ergibt sich häufig der Eindruck, dass der Fokus auf Äußerlichkeit und Ästhetik zu einer regelrechten Fixierung gerät. Hier konkurrieren nett zurechtgemachte Darsteller im Optimierungswahn in einem digitalen Schönheitswettbewerb miteinander. Bilder von sogenannten Influencern werden von zahlreichen häufig noch sehr jungen Followern regelmäßig bewundert, idealisiert und schließlich auch nachgeahmt. Kinder und Jugendliche vergleichen sich häufig mit ihren Idolen und schneiden dabei im eigenen Erleben schlecht ab, weil sie meinen, mit den retourschierten Bildern nicht mithalten zu können. Sie beginnen früh zu denken, dass der eigene Wert vom Aussehen und der Anzahl der „Likes“ abhängt.
Nun stellt sich die Frage: Wo hört das perfektionistisch geleitete Schönheitsstreben auf und wann fängt eine sogenannte Körperdysmorphe Störung (KDS) an? Bei dieser Störung kreisen die Gedanken der Betroffenen unentwegt um das eigene Aussehen. Die KDS ist eine Schamstörung, bei der Betroffene sich selbst als hässlich oder entstellt empfinden. Objektiv liegt aber kein Schönheitsmakel vor. Die Betroffenen sind übermäßig fixiert auf ihr äußeres Erscheinungsbild und richten ihre Aufmerksamkeit dabei häufig auf ein spezielles Körperteil, welches sie als entstellt wahrnehmen.
Ursachen sind nicht eindeutig geklärt
Etwa 0,7 bis 2,4 Prozent der Bevölkerung sind von einer Körperdysmorphen Störung betroffen. Die Ursachen einer Körperdysmorphen Störung sind bislang nicht eindeutig geklärt. Es wird angenommen, dass sowohl biologische als auch soziokulturelle Einflüsse hierbei eine Rolle spielen können. Man geht davon aus, dass die Hauptursachen der Körperdysmorphen Störung, die im späteren Erwachsenenalter zur Selbstwertung führen, in der Kindheit und Pubertät liegen. Es spielt eine Rolle, wie man durch das Elternhaus, Medien oder durch Klassenkameraden geprägt wurde – man denke nur an die „Hysterie“ mit den Markenklamotten.
Das Streben nach einem perfekten und makellosen Körper kann derart problematische Züge annehmen, dass Denken, Fühlen und Handeln darauf fokussiert sind. Durch die Nutzung von „Photoshop“ und ähnlichen Verschönerungstechniken haben die Selbstdarstellung im Internet und der Realität meist wenig gemein. Auf diese Weise wird dem Kind oder Jugendlichen auf fragwürdige Art vorgegaukelt, wie Mann oder Frau auszusehen hat. Da Kinder und Jugendliche sich noch in der körperlichen und psychischen Entwicklung befinden, die eigene Identität noch nicht ausgereift und die Persönlichkeit noch nicht fertig entwickelt ist, kann dies zu Schädigungen in der Identitätsentwicklung führen. Wer sein eigenes Aussehens ablehnt, kann starke Schamgefühle entwickeln und dadurch zu sozialer Isolation, Flucht in den Substanzkonsum und zu Zwängen neigen. Jeder Körperteil kann schambesetzt empfunden werden. Stundenlanges Inspizieren vor dem Spiegel und Versuche, vermeintliche Mängel zu kaschieren, machen einen geregelten Alltag unmöglich. Man ist nur noch mit dem Aussehen beschäftigt. Für andere Dinge bleibt kein Raum mehr. Somit geht diese psychische Störung mit einem enormen Leidensdruck für die Betroffenen einher.
Menschen mit einer Körperdysmorphen Störung sind häufig Single und in dem Irrglauben, entstellt und deswegen nicht gut genug für einen Partner zu sein. Der soziale Rückzug, die damit verbundene Einsamkeit und die vielen Selbstabwertungen führen häufig auch zu Depressionen und Angststörungen.
Diese verzerrte Wahrnehmung der eigenen Körperlichkeit ist von dem nicht ungewöhnlichen Hadern mit dem eigenen Aussehen in der Pubertät zu unterscheiden. Letzteres „verwächst“ sich quasi mit der differenzierten Wahrnehmung der Realität und der Festigung der eigenen Identität.
Ähnliche Symptomatik bei Männern und Frauen
Was die geschlechtliche Verteilung des sogenannten „Schönheitswahns“ anbelangt, beträgt das Verhältnis circa 40 Prozent Männer und 60 Prozent Frauen. Die Symptomatik äußert sich bei Männern und Frauen ähnlich. In der Regel sind die gleichen Körperpartien, angeführt von Haut und Nase, betroffen. Frauen schminken sich mehr und halten Diät. Männer hingegen trainieren eher ihren Körper. Auch der Gang zu einem plastischen Chirurgen ist nicht ungewöhnlich. Die erhoffte Erleichterung stellt sich nach schönheitschirurgischer Korrekturen jedoch nicht ein.
Die Scham mithilfe einer Therapie überwinden
In der Therapie von Körperdysmorphen Störungen lernen Patienten ein stabiles Selbstbild und ihre eigene Identität zu entwickeln und sich dabei nicht mehr auf scheinbar makelhafte äußere Merkmale zu reduzieren. Durch psychotherapeutische Gespräche können sie Gefühle von Scham, soziale Ängste und Vermeidungsverhalten überwinden. Hierbei ist es wichtig, die Symptome auch als ein Warnsignal für tiefer liegende und komplexe Probleme der Identitätsentwicklung zu erkennen. In der Therapie wird eingeübt, die Aufmerksamkeit weniger auf scheinbare spezifische Makel zu richten.
Die Patienten trainieren ihre Fähigkeit, ihre detailorientierte Wahrnehmung einzuschränken und mit negativen Gefühlen, Gedanken und Grundüberzeugungen im Hinblick auf das eigene Wohlergehen angemessener umzugehen.
Insgesamt lernen sie durch die Therapie, dass sie mehr sind, als ihr bloßes Aussehen. Die Schönheit finden sie stattdessen in der eigenen Persönlichkeit und Identität.
Bildquelle: © StockSnap_pixabay_CC0
1 Kommentar Kommentieren