Magnetstimulation als ergänzendes Behandlungsverfahren

Magnetstimulation als ergänzendes Behandlungsverfahren

Über den Einsatz der „rTMS“ bei Vitos

Für Patient/-innen, die an einem depressiven Syndrom, einer Suchterkrankung oder einer Psychose leiden, kann die Behandlung mit sogenannten (Hirn-) Stimulationsverfahren in Frage kommen. Sinnvoll ist das vor allem dann, wenn die Patient/-innen auf andere Formen der Behandlung – also Medikamente und Psychotherapie – nicht ausreichend ansprechen oder erhebliche Nebenwirkungen eintreten. In drei Vitos Gesellschaften wird die sogenannte „repetitive transkranielle Magnetstimulation“ (kurz rTMS) bereits als wichtiger Bestandteil der Therapie eingesetzt.

Die Funktionsweise des Verfahrens, dessen Möglichkeiten und Chancen für einen erfolgreichen Therapieverlauf erläutern die Ärztlichen Direktoren Prof. Dr. Metzger Vitos Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie Haina, Prof. Dr. Dieter F. Braus Vitos Klinikum Rheingau und Prof. Dr. Thomas Rechlin Vitos Klinikum Heppenheim im Interview.

Was kann man sich unter der rTMS vorstellen?

Braus: Es handelt sich hierbei um ein neurowissenschaftlich fundiertes, nicht-invasives Behandlungsverfahren, das mittels eines pulsierenden Magnetfelds gezielt auf Hirnaktivitäten einwirkt, die aus der Balance geraten sind. Diese Dysbalance kann durch die rTMS günstig beeinflusst werden. Das Gerät gibt in festgelegten Abständen elektromagnetische Impulse ab, die bestimmte insbesondere präfrontale, kortikale Gehirnareale stimulieren oder hemmen.

Prof. Dr. Florian Metzger

Metzger: Durch die Forschung der vergangenen Jahre konnte man sich der Frage annähern, an welcher Stelle am Gehirn eingewirkt werden muss, um beispielsweise eine Depression zu bessern. Auch ist es heute möglich, Magnetfelder sehr fein zu kalibrieren. So fein, dass damit Schnittbilder vom Körper und auch dem Gehirn erzeugt werden können, mit diesem Prinzip arbeitet die MRT. Der Unterschied zur rTMS ist allerdings, dass die rTMS ein therapeutisches, kein diagnostisches Verfahren ist.

Wie läuft eine Behandlung mit der rTMS ab?

Metzger: Während der ersten Sitzung, die etwa eine Stunde dauert, legt die Ärztin bzw. der Arzt den genauen Ort der Stimulation und die Stimulationsstärke fest. Die Patientin bzw. der Patient trägt währenddessen eine weiße Kappe, auf der dieser Punkt für spätere Behandlungen markiert wird. Danach stellt die Ärztin bzw. der Arzt die individuelle Schwelle fest. Hierzu müssen zunächst die richtigen Parameter gefunden werden. In den Folgesitzungen werden diese festgelegten Parameter angewandt. Jede weitere Sitzung dauert etwa zehn Minuten – an jedem Werktag für mindestens vier Wochen. Eine Regelmäßigkeit ist wichtig bei diesem Verfahren, da es sonst nicht wirken kann. Die rTMS ist ein sehr nebenwirkungsarmes Verfahren, es können vorübergehend Kopfschmerzen auftreten. Die Behandlung ist nur von Ärzt/-innen und Medizinischen Fachangestellten, die vorher in der Anwendung geschult worden sind, durchzuführen. Darüber hinaus gibt es kaum Kontraindikationen.

Welche Patient/-innen kommen für eine Behandlung mit der rTMS in Frage?

Rechlin: In erster Linie kommt eine Behandlung mit rTMS bei Patient/-innen mit einem depressiven Syndrom zum Einsatz. Dabei ist die rTMS ein Verfahren, das zusätzlich eingesetzt wird. Wenn eine psychotherapeutische Behandlung und/oder medikamentöse Therapie keine ausreichende Besserung beweist bzw. erhebliche Nebenwirkungen hat, wird das Gesamtbehandlungskonzept durch die transkranielle Magnetstimulation ergänzt.

Menschen, die unter epileptischen Anfällen leiden, sollten diese Therapieform nicht nutzen. Auch bei Patient/-innen mit Metall-Implantaten oder elektronischen Schrittmachern kann rTMS nicht angewendet werden.

Wo kommt die rTMS bisher in den Vitos Kliniken zum Einsatz?

Metzger: In Haina sehen wir die rTMS als ergänzenden Baustein der psychiatrisch-psychotherapeutischen Behandlung an; das Verfahren ist außerdem sehr gut verträglich. Der Schwerpunkt liegt auf den Patient/-innen der Stationen 22 und 32. Dabei handelt es sich um offene psychiatrisch-psychotherapeutische Stationen zur Behandlung von psychiatrischen Erkrankungen und seelischen Krisen wie Depressionen, Zwangs- oder Angststörungen und seelischer Erschöpfung. Momentan beschränkt sich das Therapieangebot mit rTMS noch auf die stationäre und tagesklinische Behandlung.

Prof. Dr. Dieter F. Braus

Braus: Bei Vitos Rheingau bieten wir aktuell im stationären Bereich Patient/-innen, die an schweren Depressionen erkrankt sind, die rTMS als ergänzenden Baustein der Therapie an. Perspektivisch möchten wir das Angebot allerdings auch auf den tagesklinischen Bereich sowie auf andere Krankheitsbilder ausweiten. Gute Ergebnisse können mit der rTMS nicht nur bei Depressionserkrankungen erzielt werden, sondern auch bei chronischen Halluzinationen oder Suchterkrankungen. In diesen Bereichen soll die Behandlung künftig auch angeboten werden.

Rechlin: In Heppenheim setzten wir rTMS vorrangig bei der Behandlung von mittelschweren und schweren Depressionen ein. Auch bei Patient/-innen mit einer Psychose, die vornehmlich mit akustischen Halluzinationen einhergeht, kann rTMS hilfreich sein und wird von uns bei dieser Indikation regelhaft eingesetzt. Weitere Anwendungsgebiete sind Zwangsstörungen und die PTBS (Posttraumatische Belastungsstörung) – auch wenn hier die wissenschaftlichen Studien noch nicht ganz eindeutig sind. In den letzten Jahren haben wir mit der rTMS sehr gute Behandlungserfolge erzielt und das Angebot ständig erweitert und die Stimulationsprogramme verfeinert. Inzwischen haben wir zwei rTMS-Geräte in unserem Stimulationszentrum im Einsatz und können täglich bis zu 16 Patient/-innen behandeln.

Welche Erfahrungen wurden bereits mit der rTMS gemacht?

Metzger: Seit wenigen Monaten ist die rTMS in unserer Hainaer Klinik im Einsatz. Wir haben bereits bei einigen Patient/-innen mit einer Depression gute Erfolge sehen können: Etwa bei einer Patientin, deren Depression durch ein Antidepressivum in Kombination mit einer Psychotherapie nicht besser wurde. Als wir die rTMS dazu nahmen, besserten sich nicht nur die Stimmung, sondern auch der Antrieb, ihre Interessen und ihr Funktionsniveau innerhalb von drei Wochen deutlich.

Prof. Dr. med. Thomas Rechlin

Rechlin: In unserem Heppenheimer Klinikum kommt die rTMS bereits seit über fünf Jahren erfolgreich zum Einsatz und wir haben inzwischen ungefähr 3.000 Therapiesitzungen durchgeführt. Meine Erfahrungen mit der rTMS reichen bis in die 1990er Jahre an der Erlanger Universitätsklinik zurück. Unsere rTMS-Therapien haben gezeigt, dass fast alle unserer Patient/-innen diese non-invasive Behandlung als sehr wirksam bei ihrer Depressionsbehandlung erleben. Als besonders positiv wird von den Patienten erlebt, dass die rTMS praktisch keine Nebenwirkungen hat.

Braus: Aktuell stehen wir mit der rTMS im Rheingau noch am Anfang – im Januar 2024 haben wir mit den Behandlungen gestartet. In dieser kurzen Zeit konnten wir allerdings, wie auch die Kolleg/-innen in Haina, bereits bei einigen Patient/-innen gute Erfolge erzielen. Durchweg wurde die Therapie gut vertragen.

Was erhoffen Sie sich von diesem Therapieverfahren?

Rechlin: Aufgrund unserer positiven Erfahrungen in den letzten Jahren möchten wir das Stimulationszentrum in Heppenheim weiter ausbauen. Zusätzlich zu den angebotenen Behandlungsmethoden, zu denen neben rTMS, auch die Elektrokrampftherapie, die periphere Vagusnervstimulation, die Gleichstrombehandlung, die Lichttherapie und die Wachtherapie zählen, möchten wir zukünftig weitere Verfahren und neue Indikationen etablieren. Unser Ziel ist es, die individuellen, bedarfsgerechten Angebote für Menschen mit psychischen Erkrankungen im südhessischen Raum stetig weiterzuentwickeln.

rTMS-Team von Vitos Rheingau

Braus: Vitos Rheingau hat vor drei Jahren den Anspruch formuliert, möglichst alle evidenzbasierten Therapiemodule, die auch in den Leitlinien empfohlen werden, als psychiatrisches Fachkrankenhaus anzubieten. Dazu gehören neben der rTMS etwa auch die Elektrokonvulsionstherapie (EKT), die Esketamin-Behandlung, Lichttherapie oder die Virtual-Reality-(VR)-Therapie. Alle diese Module wurden inzwischen eingeführt. Unser Ziel ist es, bedarfsgerechte und passgenaue (personalisierte) Angebote für unsere Patient/-innen und Klient/-innen kontinuierlich auszubauen und weiterzuentwickeln, auch im e-Health-Bereich. Die rTMS trägt dazu einen wichtigen Teil bei.

Autor/-in
Vitos Blog