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„Man bekommt einen umfangreichen Blick auf das Gesundheitssystem und die psychiatrischen Strukturen“

Lukas Sturm und Alina Pfeifer berichten über das Pflegestudium und ihre prämierten Bachelor-Arbeiten

Nach drei Jahren berufsbegleitendem Studium haben sie es geschafft: 40 Pflegekräfte – so viele wie noch nie – haben erfolgreich ein Bachelor-Studium absolviert. Unter ihnen sind 28 Vitos Mitarbeitende. Drei Studierende hatten sich mit ihren Bachelor-Arbeiten Themenfeldern gewidmet, die eine besonders hohe Praxisrelevanz haben. Diese Arbeiten wurden bei der Feier in Gießen prämiert. Alina Pfeifer und Lukas Sturm gehören zu den Ausgezeichneten.

Ihre Bachelor-Arbeit wurde prämiert – herzlichen Glückwunsch! Worum geht es in Ihrer Arbeit?

Alina Pfeifer: Vielen Dank! Ich habe die Auswirkungen von „gesunder Führung“ auf die Mitarbeiterzufriedenheit im psychiatrischen Setting untersucht. Dabei habe ich mich auf das „do care!“-Konzept nach Matyssek bezogen.

Lukas Sturm: In meiner Bachelor-Arbeit geht es darum, wie im akutpsychiatrischen, stationären Behandlungssetting mit Risiken im Rahmen des Recovery-Ansatzes umgegangen wird. Recovery ist dabei eine alternative Art, psychische Erkrankungen wahrzunehmen und zu behandeln. Das Konzept stammt aus dem angelsächsischen Raum und ist durch eine Betroffenenbewegung in den 1970er und 1980er Jahren entstanden. Es entwickelt sich seitdem auch im deutschsprachigen Raum weiter. Psychisch belastete Menschen sollen nach Recovery nicht nur im Rahmen der krankheitsbedingten Beschränkungen wahrgenommen und dadurch möglicherweise stigmatisiert werden. Stattdessen sollen Möglichkeiten gefördert werden, ein selbstbestimmtes, hoffnungsvolles und sinnerfülltes Leben zu führen. Zu dem Ansatz gehört es, dass Patient/-innen so weit wie möglich ihre Eigenbestimmung, Kontrolle und Wahlmöglichkeiten erhalten.

Wie sind Sie auf das Thema gekommen?

Alina Pfeifer: Ziemlich schnell war klar, dass ich etwas für die Mitarbeitenden tun möchte. Immer wieder wird sich über die Arbeitsbedingungen in der Pflege beschwert – meistens zurecht, aber trotzdem bin ich der Meinung, dass nicht immer „nur“ geredet werden kann, sondern dass auch aktiv etwas unternommen werden muss. Gleichzeitig sollte meine Arbeit einen Nutzen für das Unternehmen haben. Nach Rücksprache mit der Pflegedirektion war ziemlich schnell klar, dass ich die Mitarbeiterzufriedenheit untersuchen möchte, aber im Zusammenhang mit dem Führungsverhalten. Gleichzeitig besuchten Stationsleitungen der Vitos Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie Herborn das Seminar „Gesund führen – sich und andere“ nach Matyssek. Diese Gelegenheit nutzte ich, um die Themen zu verbinden.

Lukas Sturm: Das gesamte Studium ist um ein Forschungsprojekt aufgebaut. Das Thema legen wir Studierenden in der Regel bereits vor Beginn des Studiums mit der Pflegedirektion fest. Ich konnte den Kongress „Land in Sicht“ in Wiesloch besuchen, welcher in verschiedenen Seminaren und Vorträgen das Thema Recovery näherbrachte. Innerhalb des Studiums entwickelt man das Forschungsprojekt immer weiter. Ich bin bei der tiefergehenden Literaturrecherche darauf gestoßen, dass der Umgang mit Risiken elementar für die Recovery-Ausrichtung im allgemeinpsychiatrischen Bereich ist und dass zu diesem Thema unzureichend geforscht wurde. Das hat mich dazu gebracht, genau diesen Aspekt in meiner Bachelor-Arbeit herauszuarbeiten.

Welchen praktischen Nutzen hat Ihre Bachelor-Arbeit?

Alina Pfeifer: Das Verhältnis zwischen Führungsebene und Mitarbeitern ist ein Thema, das immer aktuell ist. Angesichts der momentanen Herausforderungen sogar aktueller denn je. Das Führungsverhalten hat Auswirkungen auf die Mitarbeiterzufriedenheit, diese wiederum kann sich auf die Pflegequalität und die Patientenzufriedenheit auswirken. Durch meine Bachelorarbeit sollten Verbesserungsvorschläge hervorgehoben werden. Ich habe entscheidende Aspekte der Mitarbeitergesundheit und -zufriedenheit herausgearbeitet. Des Weiteren hat die Pflegedirektion relevante Hinweise in Bezug auf weitere Do-Care-Schulungen, Methodenkompetenz in der Anwendung von Do-Care-Elementen, Mitarbeiterfort- und Weiterbildungen, Arbeitsorganisation sowie individueller Mitarbeiterkompetenz hinsichtlich sozialem Lernen und Selbsterfahrung erhalten. Dies betrifft Führungskräfte in gleichem Maße wie Mitarbeitende.

Lukas Sturm: Ich konnte zum Beispiel aufzeigen, dass die Erfahrung der Mitarbeitenden und die in der Vergangenheit aufgebaute Beziehungsgestaltung mit den Patienten einen großen Einfluss darauf haben, ob es beim Aufkommen von Risiken sehr schnell zu Eindämmungsversuchen kommt und Aspekte, wie die Selbstbestimmung der Patienten, eingegrenzt werden. Außerdem konnte ich beleuchten, dass der Fokus oft auf dem Vermeiden negativer Risiken liegt, und weniger auf der Unterstützung beim Eingehen positiver Risiken. Mögliche Lösungsansätze sind die stärkere Einbeziehung der Sichtweise der Patienten auf die Risiken, ein genauer Fokus auf eine Risikoanamnese gemeinsam mit dem Patienten oder die Reflexion des Umgangs mit Risiken in interdisziplinären Teamsitzungen. Es gibt nicht einen Weg hin zu einer guten Recovery-Ausrichtung, sondern eine Vielzahl von Möglichkeiten, wobei der Patient immer im Mittelpunkt stehen sollte.

Wieso haben Sie sich für ein Studium in der Pflege entschieden?

Alina Pfeifer: Bevor ich überhaupt mit meiner Ausbildung zur Gesundheits- und Krankenpflegerin begonnen habe, bestand bereits Interesse an einem Studium in der Pflege. Dies war also ein entscheidender Grund, weshalb ich mich letztendlich für eine Ausbildung bei Vitos Herborn entschieden habe. Im ersten Ausbildungsjahr wurde mein Interesse an einem Studiengang immer größer, also habe ich mich dafür beworben. Ich schätze zudem die Vielseitigkeit der Aufgabenbereiche. Für die „Pflege der Zukunft“ erscheint mir ein Studium in der Pflege außerdem sehr hilfreich zu sein.

Lukas Sturm: Ich habe bereits vor der Ausbildung zum Gesundheits- und Krankenpfleger ein Soziologie-Studium angefangen, welches ich aus persönlichen Gründen nicht beendet habe. Mir hat die Erforschung sozialer Prozesse und Strukturen viel Spaß gemacht und ich habe mich sehr gefreut, dass ich diese Leidenschaft nochmal in dem dualen Studium zum Thema Gesundheit und Psychiatrie vertiefen konnte.

Wurden Ihre Erwartungen erfüllt?

Alina Pfeifer: Ich bin tatsächlich relativ offen in das Studium gestartet und habe mir erstmal einen eigenen Eindruck verschaffen wollen. Im Nachhinein kann ich sagen, dass ich froh bin, es auf diesem Wege gemacht, aber jetzt auch erstmals geschafft zu haben. 🙂

Lukas Sturm: Das Studium hat insgesamt meine Erwartungen erfüllt. Man bekommt einen umfangreichen Blick auf das Gesundheitssystem und besonders auf die Strukturen der Psychiatrie. Außerdem lernt man durch die vielen Hausarbeiten, sich intensiv mit Themen auseinanderzusetzen und sich selbständig mit wissenschaftlichen Texten zu beschäftigen. Von meiner Seite aus hätte der Bereich der psychiatrischen Pflege noch intensiver gelehrt werden können. Besonders interessant war es, sich über einen langen Zeitraum mit dem Forschungsprojekt auseinanderzusetzen und dieses im Lauf der Seminare aus unterschiedlichen Blickwinkeln zu betrachten und weiterzuentwickeln.

Was war besonders herausfordernd für Sie?

Alina Pfeifer: Herausfordernd war in erster Line die Doppelbelastung. Ich habe zwei Jahre lang studiert und parallel die Ausbildung gemacht. Nach dem Examen habe ich direkt Vollzeit im Schichtdienst gearbeitet und das letzte Jahr des Studiums absolviert. Besonders herausfordernde Phasen waren definitiv das Examen und das Erstellen der Bachelorarbeit. Da kommen oft Faktoren hinzu, die vorher vielleicht nicht immer miteinkalkuliert wurden. Es ist ja zum Beispiel nicht bloß das Niederschreiben einer Bachelorarbeit. Die Recherche stellt den größten Teil der Arbeit da. Ich musste Umfragen und Interviews führen, auswerten und interpretieren. Eine gute Struktur und zeitliches Management sind dabei essenziell. Zweifel und schwierige Phasen während des Studiums gehören dazu, nichtsdestotrotz ist diese Form des Studiums möglich, wenn man es wirklich möchte.

Lukas Sturm: Besonders herausfordernd war es, ein gutes Zeitmanagement für mich zu entwickeln. Durch die Corona Pandemie haben während der ersten Hälfte des Studiums alle Veranstaltungen online stattgefunden. Wir mussten durch das Wegfallen der Klausuren sehr viele Hausarbeiten bzw. Case Studies zu unternehmens- und projektbezogenen Themen schreiben. Insgesamt kamen über das Studium hinweg sicher über 300 Seiten zusammen. Mir persönlich hat es geholfen, ab einem bestimmten Zeitpunkt meinen Stellenanteil auf 80 Prozent zu reduzieren, wobei das Studium sicher auch mit 100 Prozent machbar wäre. Die Bachelor Arbeit selbst ist natürlich ebenfalls eine große Herausforderung. Das Schreiben von mindestens 60 Seiten ist nichts Alltägliches. Man muss sich sehr genau mit Forschungsdesigns, Auswertungsmethoden und dem wissenschaftlichen Hintergrund beschäftigen. Besonders die Transkription und schrittweise Auswertung der Interviews hat sehr viel Zeit in Anspruch genommen.

Wie geht es nun, nach dem erfolgreichen Abschluss, für Sie weiter?

Alina Pfeifer: Ich möchte die erforschten Zusammenhänge noch intensiver untersuchen, um die Mitarbeitergesundheit und -zufriedenheit nachhaltig zu verbessern. Außerdem stehen vermutlich weiterführende Projekte bezüglich des Betrieblichen Gesundheitsmanagements im Unternehmen an. Auch wäre ein anschließender Masterstudiengang für mich denkbar, um bereits erworbene Kompetenzen zu vertiefen. Aber das wird die Zukunft zeigen 🙂

Lukas Sturm: Ich werden mein Bachelorthema nochmals im Rahmen der monatlichen stattfindenden Pflegevorträge in unserer Klinik vorstellen und dafür einen kleinen Workshop erarbeiten, um die Themen Umgang mit Risiken und Recovery reflektieren zu können. Längerfristig überlege ich, ein Masterstudium zu beginnen, beispielsweise im Bereich Public Health.

Das Interview führte Anna Pfläging.