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Mehr Mut und Vertrauen für Frauen in Führungspositionen

Interview mit Ljiljana Orlic, Pflegedirektorin des Vitos Klinikum Rheingau

Morgen ist der internationale Tag der Pflege. Dieser Tag, der immer auf den 12. Mai fällt, erinnert an den Geburtstag von Florence Nightingale, die Pionierin der modernen Krankenpflege. Passend dazu soll es in unserem Blogbeitrag diese Woche um starke Frauen in der Pflege gehen.

Ljiljana Orlic, Pflegedirektorin des Vitos Klinikum Rheingaus, ist mit ihrer Leitungsposition für circa 450 Pflegekräfte verantwortlich. Als Frau mit Familie weiß sie, wie wichtig die Vereinbarkeit von Beruf und familiären Aufgaben ist. Das trifft auf den Pflegeberuf ganz besonders zu, schließlich liegt der Frauenanteil in der Pflege in Deutschland bei circa 80 Prozent*. Dennoch werden die leitenden Funktionen in der Pflege und dem Pflegemanagement meist von Männern besetzt. Vitos Rheingau möchte das ändern und Frauen mehr Mut zusprechen.

Woran liegt es, dass so wenige Frauen in der Leitungsebene der Pflege vertreten sind?

Ljiljana Orlic: Es gibt viele Gründe dafür. Ich habe oft erlebt, dass sich Frauen mit Kindern instinktiv für die Familie und gegen eine Karriere entscheiden. Oft geschieht das unbewusst. Teilweise auch aus dem Gefühl des schlechten Gewissens heraus. Auch die Angst als Rabenmutter abgestempelt zu werden, kann eine Rolle spielen.

Das heißt, auch heute ist es noch eine Entweder- Oder-Entscheidung, vor die Frauen gestellt werden?

Ljiljana Orlic: Leider ist das oft immer noch der Fall. Und ich beobachte, dass es gerade Frauen sind, die diese Entscheidung treffen müssen. Wohingegen sich kinderlose Frauen oftmals für die Karriere entscheiden und diesen Weg gehen. Doch unser Ziel als Arbeitgeber ist es, auch Frauen mit Kindern diesen Weg zu ermöglichen.

Wieso sollten Ihrer Meinung nach mehr Frauen in der Führungsebene vertreten sein?

Ljiljana Orlic: Aus meiner Sicht sind Frauen ganz klar die geborenen Managerinnen: Oft liegt die ganze Familienorganisation in der Hand der Frau. Sie managen die Kinderbetreuung, den Einkauf, den Haushalt, Arztbesuche, Urlaube, Hobbys und vieles mehr. Sie haben das Wohl der gesamten Familie im Blick.

Führen Frauen anders?

Ljiljana Orlic: Ich habe die Erfahrung gemacht, dass Frauen strategisch führen, bedacht sind und meist kooperativ und empathisch.

Welche Vorteile bringen Frauen in der Führungsebene aus Ihrer Sicht mit sich?

Ljiljana Orlic: Aus meiner Erfahrung heraus sind viele Frauen Multitasking-Talente. Sie können viele Dinge gleichzeitig managen und bringen unterschiedliche Sachen unter einen Hut. Sie sind sehr belastbar. Und gleichzeitig erlebe ich Frauen in Führungspositionen oft als empathischer als Männer. Durch diese stark ausgeprägte soziale Ader verlieren Frauen bei Entscheidungen nicht den Blick dafür, wie diese sich auf ihre Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter auswirken. Davon kann ein Unternehmen nur profitieren.

Können Sie ein Beispiel dafür geben?

Ljiljana Orlic: Frauen nehmen bei ihren Entscheidungen auch die Perspektive der Frau ein, alleine schon deshalb, weil sie Frauen sind. Viele Frauen in Führungspositionen wissen, wie schwierig die Vereinbarkeit von Beruf und Familie sein kann, da sie es selbst tagtäglich erleben.

In unseren Tageskliniken und Ambulanzen haben wir geregelte Arbeitszeiten, keine Nacht- und Wochenenddienste. Das ist für Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter mit Familie sehr attraktiv und steigert nachhaltig die Zufriedenheit. Mir ist es wichtig, es für die Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern leichter zu machen – nicht schwerer. Das ist die Herausforderung, die wir als Arbeitgeber jeden Tag haben.

Hinzu kommt, dass wir in der Psychiatrie arbeiten. Das heißt, wir arbeiten mit sehr feinfühligen Patientinnen und Patienten. Sie achten auf alles, wie zum Beispiel auf die Laune der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, die Haltung, die Kleidung etc. Wenn ein Mitarbeiter oder eine Mitarbeiterin eine negative Haltung hat, dann bekommen das die Patienten mit. Umgekehrt überträgt sich eine positive Ausstrahlung sofort auch auf sie. Unser Ziel ist die bestmögliche Versorgung und Behandlung unserer Patientinnen und Patienten. Die können wir nur gewährleisten, wenn unsere Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter motiviert und dadurch gut in ihrem Job sind und auch bleiben. Es geht also für mich als Führungskraft darum, die intrinsische Motivation in der Pflege zu steigern.

Studien zeigen, Männer bewerben sich auf Positionen, wenn sie circa 60 Prozent der Stellenanforderung erfüllen. Frauen nur, wenn sie circa 90 Prozent der Anforderungen erfüllen. Was raten Sie Frauen in der Pflege?

Ljiljana Orlic: Ganz klar, ich rate ihnen mehr Mut und Vertrauen in sich selbst zu haben, ihre Unsicherheiten abzulegen und es einfach zu versuchen. Denn davon können wir alle nur profitieren.

Vereinbarkeit von Familie und Beruf – wieso geht das aus Ihrer Sicht in der Pflege und bei Vitos Rheingau besonders gut?

Ljiljana Orlic: Es gibt inzwischen viele Betreuungsangebote, wie kinderfreundliche Arbeitsmodelle und Teilzeitangebote. Also beispielsweise Arbeitszeiten von 7.30 bis 13:30 oder von 8:30 bis 12:30. Bei uns können auch Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter eine Leitungsstelle innehaben, wenn sie in Teilzeit arbeiten.

Frauen in Führungspositionen machen nicht selten die leidige Erfahrung, dass Sie zum Beispiel gefragt werden, wie sie ihre Kinderbetreuung managen. Männer machen diese Erfahrung seltener. Was muss sich aus Ihrer Sicht in der Gesellschaft ändern, damit die Vereinbarkeit von Familie und Beruf nicht mehr hauptsächlich ein Frauenthema ist?

Ljiljana Orlic: Männern ist inzwischen die Möglichkeit gegeben worden, gleichberechtigt die Rolle in der Erziehung zu übernehmen. Früher waren sie meist gezwungen, die Rolle des Hauptverdieners zu erfüllen. Mittlerweile gibt es Elternzeitmodelle, die auch der Mann wahrnehmen kann. Ein wichtiger Schritt dafür war zum Beispiel 2015 die Einführung des Elterngeld Plus.

Wichtig ist auch, dass das Umdenken bei jedem Einzelnen stattfindet. Ich glaube nicht, dass es in jedem Unternehmen gerne gesehen wird, wenn der Mann in Elternzeit geht. Das muss auch von oben, also auch von den Führungskräften vorgelebt werden. Erst dann wird es bei den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern ankommen. Denn egal, ob Mann oder Frau: Karriere und Familie dürfen kein Gegensatz sein.

Wie stellen Sie sicher, dass dieses Umdenken auch bei Vitos Rheingau stattfindet?

Ljiljana Orlic: Indem ich Frauen mit Kindern die Möglichkeit gebe, auch in einer Teilzeitbeschäftigung als Führungskraft für Vitos tätig zu sein. Indem wir es sehr befürworten, wenn auch Männer in Elternzeit gehen, denn diesen Zuspruch brauchen sie noch. Und ganz konkret, indem ich auch junge Frauen ganz bewusst zum Beispiel für die Position der Pflegedienstleitung einstelle und das mit dem Wissen, dass sie gegebenenfalls eines Tages schwanger werden könnten und eine zeitlang ausfallen, bis sie dann wieder zurückkommen.

Das Interview führte Milah Rudolph – Leitung Unternehmenskommunikation Vitos Rheingau

*Quelle: Statista.de 2022 – Erhebungszeitraum Juni 2020