Innovative Behandlungsmethode bei Vitos Rheingau
Trotz Höhenangst eine hohe Aussichtsplattform erklimmen, trotz Sozialphobie vor einer Menschenmenge einen Vortrag auf einer Bühne halten oder sich als arachnophobe Person in einen Raum mit einer großen Spinne begeben – so etwas nennt man in der psychotherapeutischen Behandlung Exposition. Bisher werden Expositionsbehandlungen vor allem in vivo, also in der Realität, durchgeführt. Die Virtual-Reality-Technologie, die vielen bisher nur aus dem Gaming bekannt ist, bietet hier eine innovative Alternative. Bei Vitos Rheingau kommt die Technologie seit letztem Jahr bei der Behandlung von Angsterkrankungen zum Einsatz.
„Wie hoch ist Ihre Angst auf einer Skala von eins bis zehn?“ „Was geht Ihnen gerade durch den Kopf?“ „Welche Symptome haben Sie?“ Diese drei magischen Fragen stellt Dr. Jelena Janzen, Psychologische Psychotherapeutin und Klinische Neuropsychologin bei Vitos Rheingau, ihren Patient/-innen immer wieder, während sie sich in der virtuellen Umgebung befinden und dort mit ihren Ängsten konfrontiert werden. Die VR-Therapie wird als psychotherapeutischer Baustein ergänzend zur kognitiven Verhaltenstherapie in der Behandlung eingesetzt und gehört zur sogenannten Expositionsbehandlung. Die Exposition ist der Goldstandard bei der psychotherapeutischen Behandlung von Angststörungen. Dabei werden die Patient/-innen bewusst Situationen ausgesetzt, die ihre Ängste auslösen oder verstärken. „Das Ziel der Expositionsbehandlung ist es, dass die Patient/-innen sich den Ängsten aussetzen, bis ein Gewöhnungseffekt – Habituation – einsetzt und die körperlichen Symptome nachlassen“, so Dr. Jelena Janzen. So wird ein Patient mit Arachnophobie beispielsweise mit Spinnen konfrontiert, eine Patientin mit sozialer Phobie in eine Vortragssituation vor fremden Menschen gebracht.
Bisher werden Expositionsbehandlungen vor allem in vivo, also in der Realität, durchgeführt. Die Virtual-Reality-Technologie bietet hier eine innovative Alternative, die viele Vorteile mit sich bringt, erklärt Janzen: „Die VR-Technologie erleichtert die Behandlung für Patient/-innen und Behandler/-innen, da die Exposition aus dem geschützten Raum der Klinik heraus stattfinden kann und dadurch mit weniger Aufwand und Risiken verbunden ist als ein Erleben der Situationen in der Realität. Oft steigt mit der VR-Therapie auch die Bereitschaft der Betroffenen, sich ihren Ängsten zu stellen, da die Szenarien individuell moduliert und langsam gesteigert werden können.“
So funktioniert die VR-Simulation
Über eine VR-Brille, Kopfhörer und einen Controller tauchen die Patient/-innen in verschiedene Szenarien ein, in denen sie sich ihren Ängsten bzw. Erkrankungen stellen – so müssen sie beispielsweise eine hohe Aussichtsplattform erklimmen, vor einer Menschenmenge einen Vortrag auf einer Bühne halten oder sich Bildern von Rauschmittel aussetzen. Die Szenarien unterscheiden sich je nach Krankheitsbild und können von den Behandler/-innen individuell angepasst werden. Bei Vitos Rheingau stehen aktuell unter anderem Module zur Behandlung von Flugangst, Höhenangst, Klaustrophobie, Arachnophobie und Sozialphobie zur Verfügung. Auch ein Modul zur Behandlung von Suchterkrankungen soll es in Kürze geben.
In der virtuellen Umgebung können visuelle und akustische Reize ausgelöst werden. Außerdem wird über Kameras die Bewegung der Patient/-innen erfasst, so dass sie sich durch den Raum bewegen können und die Bewegung in die Simulation übertragen wird. „Bei der Behandlung mit VR werden die gleichen Hirnregionen aktiviert wie bei einer Exposition in der Realität“, so Prof. Dr. Dieter F. Braus, Ärztlicher Direktor des Vitos Klinikums Rheingau, der VR als evidenz-basiertes Psychotherapiemodul vor mehr als drei Jahren initiiert hat. Um einen guten Behandlungserfolg zu erzielen, müssen die Patient/-innen sich der Behandlung circa ein bis zwei Mal pro Woche für circa einen Monat aussetzen. Nach und nach können so Ängste oder Craving (Suchtdruck) abgebaut werden.
Bei Vitos Rheingau kommt die VR-Behandlung aktuell vor allem im ambulanten und teilstationären Bereich zur Behandlung von Angsterkrankungen zum Einsatz. Sobald das entsprechende Modul zur Verfügung steht, soll es auch bei Alkoholabhängigkeit im stationären Bereich eingesetzt werden.
Wann sollte eine Angst behandelt werden?
Nicht jede Angst ist eine behandlungsbedürftige Angststörung. Neben der Erfüllung bestimmter Diagnosekriterien ist der Leidensdruck entscheidend – schränkt die Angst den Alltag ein oder belastet die betroffene Person oder deren Umfeld stark, ist eine Behandlung sinnvoll und notwendig.
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