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Pandemie und Krieg

Wie können wir unsere Kinder aufklären und schützen?

Die Pandemie begleitet uns nun schon mehrere Jahre und bringt viel Leid und immer wieder zahlreiche Einschränkungen mit sich. Seit einigen Monaten herrscht Krieg in der Ukraine. Die schlimmen Bilder von Tod, Trauer und Verzweiflung der Menschen erreichen uns täglich über die Medien.

Auch unsere Kinder bekommen das mit. Sie brauchen uns, um das Gesehene und Gehörte einordnen zu können. Wie erklärt man seinem Kind, was da gerade passiert, ohne es zu überfordern oder zu ängstigen? Was ist, wenn die aktuelle Situation mich selbst verunsichert – darf ich diese Unsicherheit vor meinem Kind zeigen?

Wir haben dazu mit Dr. Christoph Andreis gesprochen. Er ist Facharzt für Kinder- und Jugendpsychiatrie und –psychotherapie und Klinikdirektor der Vitos Kinder- und Jugendklinik für psychische Gesundheit Herborn.

Ab welchem Alter bekommen Kinder Themen wie Krieg und Pandemie schon bewusst mit?

Dr. Christoph Andreis: Schon im Kindergartenalter beginnen Kinder, sich gezielter und bewusster mit dem Leben außerhalb der eigenen Familie auseinanderzusetzen und entwickeln ein erstes Verständnis, dass es verschiedene Familien, Kulturen und Länder gibt. Die Pandemie wurde durch die unmittelbar sichtbaren Auswirkungen wie die Maskenpflicht – und natürlich die Schließungen von Kitas und Schulen – für Kinder schon früh sehr spürbar. Bezüglich des Krieges in der Ukraine kommt es darauf an, inwiefern Kinder diesem Thema ausgesetzt werden, zum Beispiel durch Medien. Letztlich wird in jeder Familie und auch in jeder Institution, in der sich Kinder aufhalten, der Krieg in der Ukraine thematisiert. Kinder bringen Gehörtes in die eigene Peer-Group. Sie kommen so mit dem Thema in Berührung und nehmen bewusst wahr, dass gerade etwas ganz Schreckliches in der Welt geschieht.

Wie kann man seinem Kind die aktuelle Situation behutsam erklären?

Dr. Christoph Andreis: Die beste Orientierung geben uns die Kinder selbst! Kinder sollten die Möglichkeit erhalten, das Tempo und den Umfang, mit dem wir ihnen Informationen vermitteln, selbst zu steuern. Das bedeutet, dass wir Erwachsenen auf Fragen der Kinder eingehen, dabei aber nicht zu weit ausholen sollten. Oft reicht dem Kind schon eine einfache Antwort. Will es mehr wissen, können wir ihm mehr Details geben. Fragt es nicht weiter, sollten wir es auch nicht mit Informationen überhäufen, die es vielleicht noch gar nicht verarbeiten kann oder die ihm in diesem Moment zu viel sind. Zudem ist es zwar wichtig, kindgerecht auf Fragen zu antworten. Gleichzeitig sind Kinder in diesen Zeiten umso mehr darauf angewiesen, dass vertraute Orte, Abläufe und Rituale bestehen bleiben und so Sicherheit vermitteln.

In welchem Alter sind wie viele Informationen in Ordnung?
Darf man mit seinem Gundschulkind beispielsweise schon die Tagesschau gucken? Oder gibt es da bessere Formate?

Dr. Christoph Andreis: Hier würde ich empfehlen, sehr auf das jeweilige Bedürfnis von Kindern nach Informationen zu reagieren. Die Tagesschau ist für Kinder im Kindergarten- und Grundschulalter sicherlich nicht die ideale Form, aufzuklären. Es ist nicht zu unterschätzen, dass Kinder hier zuhören und aufmerksam sind, auch wenn primär die Eltern die Nachrichten schauen und Kinder „nur“ mit im Raum sind. Es gibt schöne Nachrichtenformate für Kinder, wie die Sendung Logo auf dem Kinderkanal. Doch auch hier ist es sehr unterschiedlich, wie Kinder das Gesehene aufnehmen und verarbeiten. Um das genauer einschätzen zu können, sollten Kinder entsprechende Inhalte zusammen mit ihren Bezugspersonen schauen. So kennen diese die Inhalte und können hinterher auf Fragen oder Gedanken der Kinder auch gezielt eingehen.

Woran merke ich, dass es meinem Kind zu viel ist und es die Informationen überfordern oder ängstigen?

Dr. Christoph Andreis: Wenn mein Kind zeitlich überdauernd an einem Thema haften bleibt, sich auch im Spiel nicht mehr lösen kann und es keine „freien“ Räume mehr gibt, in denen andere Dinge im Kopf einen Platz bekommen, ist das ein Zeichen dafür, dass mein Kind sehr mit dem Thema beschäftigt ist. Dann können im Verlauf auch Schlafstörungen, wie verlängertes Einschlafen, Albträume oder nächtliches Erwachen hinzukommen. Oder mein Kind kann sich tagsüber nicht mehr gut konzentrieren, wird entweder still oder aufgeregt und nervös. In schweren Fällen kann dann ein vorrübergehender Entwicklungsrückschritt dahingehend eintreten, dass bereits erworbene Fähigkeiten verloren gehen. Ein bereits „trockenes“ Kind nässt zum Beispiel auf einmal wieder ein. Spätestens jetzt sollten die primären Bezugspersonen hellhörig werden und schauen, was los ist und wie sie ihr Kind unterstützen können.

Kinder schnappen auch viel auf dem Schulhof oder im Kindergarten auf – kläre ich mein Kind vorsorglich über kritische Themen auf, damit es keine „falschen“ Informationen von Gleichaltrigen erhält oder warte ich, ob mein Kind mit konkreten Fragen zu mir kommt?

Dr. Christoph Andreis: Themen, die uns in unserer Welt unmittelbar beschäftigen und mit konkreten spürbaren und sichtbaren Veränderungen in der Umwelt einhergehen, wie zum Beispiel die Pandemie, sollten unseren Kindern auch entsprechend kommuniziert werden. Sonst erlebt das Kind plötzlich Abweichungen in den vertrauten Abläufen, die große Angst auslösen können. Hier geht es primär darum, dem Kind zu signalisieren: „Hey, da passiert gerade etwas Unerwartetes, aber wir Erwachsenen wissen ungefähr Bescheid und passen auf Dich auf!“ Es geht also erstmal nicht um Details, sondern darum, Schutz und Orientierung zu geben.

Wie gehe ich damit um, wenn mein Kind bereits verängstigt ist?
Wie erkenne ich seine Gefühle an, ohne das Thema noch größer und angsteinflößender zu machen?

Dr. Christoph Andreis: Wichtig ist, genau das zu spiegeln: „Du, ich merke gerade/habe den Eindruck, dass du große Angst hast. Magst du mir sagen, was du denkst?“ So helfen wir dem Kind, das eigene Gefühl zu verstehen und einzuordnen und schaffen Platz für Fragen oder Geschichten. Das Kind fühlt sich im Idealfall gesehen und verstanden – und kann wieder steuern, was und wie viel es sagen oder fragen möchte.

Was ist, wenn die aktuelle Situation mich selbst verunsichert – darf ich diese Unsicherheit vor meinem Kind zeigen oder sollte ich mich, meinem Kind zuliebe, besser „verstellen“?

Dr. Christoph Andreis: Dass auch wir durch diese Situationen verunsichert werden, ist ganz normal und darf auch so sein. Wichtig ist, dass wir uns dessen bewusst sind und uns selber Informationen, aber auch Rückhalt besorgen. Sei es in der Familie, bei Freunden oder gegebenenfalls auch professionelle Unterstützung, wenn die Angst zu groß wird. Unsere Kinder werden uns diese Unsicherheit anmerken. Sich dann zu „verstellen“ kann gegebenenfalls eher das Gegenteil auslösen und dazu führen, dass das Kind den Widerspruch bemerkt und dadurch wiederum verunsichert wird. Ich darf also sagen: „Ich habe auch Angst/bin unsicher, und das ist normal in dieser Situation. Wichtig ist, dass wir jetzt zusammenhalten und auf uns aufpassen!“

 

Dr. Christoph Andreis ist Facharzt für Kinder- und Jugendpsychiatrie und -psychotherapie und Klinikdirektor der Vitos Kinder- und Jugendklinik für psychische Gesundheit Herborn.