28 Jul Paul & Ich helfen. Anders. – Tiergestützte Therapie
Paul ist fast acht Jahre alt. Lebensfroh, offen, sensibel und für Kinder in schwierigen Lebenslagen eine echte Hilfe. Denn Paul ist ein Therapiebegleithund. Wir beide arbeiten nun schon seit einigen Jahren zusammen und helfen Kindern mit unterschiedlichen Störungsbildern wie z. B. emotionalen Störungen, ADHS, Tic- und Essstörungen. Bei vielen der Fälle ist es Paul, der einen wichtigen Schritt zur Genesung der jungen Patienten beiträgt.
Das ist Paul!
Paul ist ein Labrador-Pointer Mix mit einem sehr sensibles Gespür für die Emotionen seines Gegenübers und ein sehr geduldiger Tröster. Im Haus ist er eher ein ruhiger Zeitgenosse, während er draußen temperamentvoll ist und auch seinen Bewegungsdrang ausleben möchte. Er ist in der therapeutischen Situation sehr geduldig und absolut friedlich. Gerade mit jüngeren Kindern geht er sehr vorsichtig um und ist stets bemüht, auf sie einzugehen. Ein kleines Manko hat er jedoch auch: Er ist extrem verfressen und bleibt nicht gern alleine.
Paul – „Der Eisbrecher“
Wenn Paul nicht „im Dienst“ ist, ist er aber auch im Büro an meiner Seite. Er liegt in seinem Körbchen und erleichtert den Erstkontakt zu Kindern und Jugendlichen im Einzelgespräch. Oft nutzen auch die Eltern das Thema „Hund“, um einen ersten lockeren Einstieg ins Gespräch zu finden und berichten von eigenen Tieren. Hier hat Paul eine Eisbrecher-Funktion. Er schafft durch seine Anwesenheit eine Atmosphäre häuslicher Wohnlichkeit und Vertrautheit. Eine solche Atmosphäre beeinflusst nicht nur die Therapie allgemein, sondern wirkt auf alle, ob Therapeut oder Klient, angenehm, lockernd und positiv.
Tiergestützte Therapie mit Hund
Kinder, Jugendliche und Erwachsene erhalten im therapeutisch begleiteten Kontakt mit Paul die Möglichkeit, neue emotionale Erfahrungen zu sammeln und konkrete Verhaltensmuster zu trainieren. Tiere sind in der therapeutischen Arbeit eine besondere Bereicherung. Sie sind Türöffner, Brückenbauer, Kommunikationshelfer, Herausforderung, Motivation und Spaßfaktor. Sie stellen keine Anforderungen und haben keine Erwartungshaltung. Sie sind unvoreingenommen und akzeptieren Menschen so, wie sie sind. Sie schenken Vertrauen und sind vertrauenswürdig. Sie vermitteln Nähe, Sicherheit und Geborgenheit und reagieren sensibel auf Stimmungen und Gefühle. Verborgene Ressourcen, Gefühle und Fähigkeiten werden so wieder entdeckt, gefördert und können auf menschliche Beziehungen übertragen werden.
Eine Bindung, wie Eltern zu ihrem Kind
Psychologen und Biologen haben herausgefunden, dass Hunde die menschliche Mimik und Gestik deutlich besser verstehen, als die uns genetisch näher stehenden Schimpansen. Nicht nur wir Menschen binden uns an Tiere. Die Tiere selbst gehen zu bestimmten Menschen bindungsähnliche Beziehungen ein. Hunde zeigen deutliche, Kleinkindern ähnliche Trennungsreaktionen, wenn ihre Besitzer das Testzimmer verließen.
Gemeinsame Evolution von Mensch und Hund
Bindung benötigt eine funktionierende Kommunikation. Der Hund ist das Tier, das der Mensch als Erstes domestizieren konnte. Der genetische Ursprung des Hundes liegt etwa 100.000 Jahre zurück und es ergibt sich eine dementsprechend lange gemeinsame Evolution von Mensch und Hund. Von daher denke ich, dass aus diesen Gründen sich die Therapie mit einem Hund durchaus von einer mit beispielsweise Pferden oder Kleintieren unterscheidet.
Paul muss auch zur Schule gehen
Es gibt leider keine standardisierte Ausbildung zum Therapiebegleithund. Ich habe meine an der „Akademie für tiergestützte Therapie“ in Wetzlar absolviert. Sie erfolgte in verschiedenen Praxisfeldern im direkten Kontakt mit Menschen mit Einschränkungen und umfasste 65 Zeitstunden. Die Ausbildung wird nur für Personen mit therapeutischen bzw. pädagogischen Grundberufen als Zusatzqualifikation angeboten. Eine Nachprüfung erfolgt alle 24 Monate. Zu Beginn der Ausbildung wird das Mensch-Hund-Team getestet und geprüft, wie der Hund auf Stressreaktionen reagiert und welche Lösungen er dafür sucht. Ein Hund, der in solchen Situationen mit Aggression reagiert, hat entweder noch viel Training vor sich oder ist nicht für diese Ausbildung geeignet. Paul hat diesen Test gelassen gemeistert.
Pauls traurige Geschichte
Die erste Stunde ist eine Kennenlernstunde zwischen Paul und dem Patienten. Dazu schauen wir uns zusammen Pauls „Therapiebuch“ an. Hier sind viele Bilder von ihm und aus der Therapie zu finden. Danach bitte ich die Kinder, sich selbst Paul vorzustellen und aus ihrem Leben zu erzählen. Da es Paul als ehemaliger Straßenhund nicht immer leicht hatte, ist hier der erste Anknüpfungspunkt. Den Kindern fällt es leichter, von negativen Erfahrungen zu berichten. Gemeinsam werden dann Ziele und deren Umsetzung für die Therapie beschlossen. Wenn es um die Steigerung von Selbstwirksamkeit, Selbstwert oder der Empathiefähigkeit geht, bietet sich ein Training im Parcours an.
Therapiebegleithunde brauchen Pausen und viel Schlaf
Die Therapien sind für Therapiebegleithund echte Arbeit und verlangen viel Konzentration und Anstrengung. Von Blindenhunden wissen wir, dass diese im Durchschnitt eine etwas geringere Lebenserwartung haben, als ein Familienhund. Deswegen gilt es für jeden Hund individuell zu schauen, wie viel er arbeiten kann und wie viel Ruhe er benötigt. Dafür lernt man in der Ausbildung auch, Stress bei seinem Hund zu erkennen und diesen angemessen abzubauen. Allgemein ist jedoch zu berücksichtigen, dass ein Hund rund 16 bis 18 Stunden Schlaf am Tag benötigt.
Paul hat Arbeitszeiten, aber auch Feierabend
Für den Hund ist es wichtig zu wissen, wann Arbeitszeit und wann Freizeit ist. Am einfachsten ist dies mit einer Art Arbeitsgeschirr. Paul bekommt zu Beginn jeder Stunde ein Halstuch mit dem Kommando „Therapie“ an und am Ende wird ihm dieses von dem Kind oder Jugendlichen mit dem Kommando „Feierabend“ wieder ausgezogen. So weiß er, wann er im Einsatz ist und wann nicht.
Was Mensch und Hund zusammen erreichen können
Beispiel 1: Training von Impulskontrolle und Handlungsstrukturen AD(H)S, Wahrnehmungsstörungen
Der Hund fördert die Konzentration und Aufmerksamkeit des Patienten, der die Bedürfnisse des Hundes wahrnimmt. So nimmt hyperaktives Verhalten durch Schmusen und Entspannung mit dem Hund ab. Gleichzeitig kommt es zu einem Aufbau der Selbstwirksamkeit.
Beispiel 2: Depressive Erkrankungen
Auch wenn ein Kind von sich aus wenig Initiative zeigt, wendet sich der Hund nicht von dem Kind ab. Er bleibt in der Nähe, sucht den Körperkontakt, legt sich neben das Kind und schläft. Sobald vom Kind Initiative ausgeht, reagiert er prompt und bereitwillig. Das heißt, die Patienten erhalten keinerlei Kritik auf ihr zurückhaltendes, langsames Verhalten, werden aber sofort mit Aufmerksamkeit und Zuwendung belohnt, wenn sie Initiative zeigen. Somit verstärkt der Hund in idealer Weise das gewünschte Verhalten.
Beispiel 3: Trauerarbeit bei Todesfällen, Trennung, lebensbedrohlichen oder chronischer Erkrankung
Hier kann der Hund als eine wesentliche Quelle von Trost, Beruhigung, Ablenkung, Aufheiterung, körperlicher Nähe, Zärtlichkeit und dem Gefühl verstanden zu werden sein.
So arbeitet Paul
Zuletzt habe ich mit einem Patienten mit Tourette-Syndrom mit extrem starken motorischen Tics (stampfen, springen, starkes Zucken von Armen und Beinen) gearbeitet. Paul hat sich von diesem Verhalten nicht irritieren lassen und ging mit ihm genauso entspannt und freudig um, wie mit allen anderen auch. Der Patient fühlte sich in der lockeren Spielsituation wohl und konnte sich auf die Therapie einlassen. Im Verlauf nahmen die Häufigkeit und die Stärke der Tics ab. Auch in der gemeinsamen Entspannung mit autogenem Training ließ sich Paul vom Zucken des Patienten nicht beeindrucken und blieb ganz ruhig liegen. Während der Übung entspannte der Patient. Entspannungsübungen in der Ergotherapie ohne Hund hatte er sich bislang verweigert.
Gemeinsam helfen macht glücklich
Die Patienten reagieren bislang mit Freude auf Paul und gehen durchweg sehr liebevoll und freundlich
mit ihm um. Mir persönlich bereitet es große Freunde, gemeinsam im Mensch-Hund-Team mit Paul anderen Kindern helfen zu können oder immer wieder die Erfahrung zu machen, was für ein großer „Eisbrecher“ ein Hund mit Kindern und Jugendlichen in der Kontaktaufnahme sein kann.