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„Schlaf lässt sich nicht erzwingen“

Über hilfreiche Strategien bei Schlafstörungen

Alles schläft, nur ich liege wach! Wer Schlafstörungen kennt, weiß auch, wie belastend sie sein können. Dr. Anja Haag, Psychotherapeutin an der Vitos Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie Marburg [1], gibt Tipps, wie man zurück zu einem guten Schlaf finden kann.

Nächte, in denen man ständig wach wird, erlebt jeder einmal. Ab wann spricht man von einer Schlafstörung?

Dr. Anja Haag: Manchmal kommen wir nicht zur Ruhe und können nicht einschlafen, weil uns vielleicht Ereignisse am Tag nicht loslassen. Dass wir nachts wach werden, ist sogar normal – bis zu sieben oder acht Mal in der Nacht kann das vorkommen und oft erinnern wir uns nicht einmal daran. Damit wir das Gefühl haben durchzuschlafen, kommt es vielmehr darauf an, schnell wieder einschlafen zu können. Wenn man nachts lange Zeit wach liegt, grübelt oder sich im Bett wälzt, ist das auf Dauer natürlich belastend und auch ungesund.

Die häufigste Schlafstörung ist die sogenannte nicht-organische Insomnie, also eine Schlafstörung, die nicht auf einer bestimmten organischen Erkrankung beruht. Wenn jemand über einen Zeitraum von vier Wochen oder länger an mindestens drei Tagen in der Woche einen gestörten Schlaf hat, sprechen wir von einer Schlafstörung. Wenn die Schlafstörung mit einfachen Mitteln, wie z. B. einem pflanzlichen Schlaftee oder mehr Bewegung am Tag, nicht verschwindet, ist ein Besuch beim Arzt zu empfehlen.

Warum ist der Schlaf ein wichtiges Thema in der Psychiatrie?

Haag: Viele psychische Störungen gehen mit Schlafproblemen einher. Schlafstörungen treten häufig bei Depressionen, einigen Angststörungen und Posttraumatischen Belastungsstörungen (PTBS) auf, aber auch bei anderen psychischen Erkrankungen. Wir bei Vitos konzentrieren uns in der Psychotherapie von Schlafstörungen auf den Aufbau einer ausgeglichenen Tagesstruktur und den Abbau von vermeidbarem Stress. Oft hält nächtliches Grübeln in belastenden Lebensphasen Schlafstörungen aufrecht. Allerdings ist nachts nicht die beste Zeit, um gute Lösungen für Probleme zu finden. Wir helfen Patienten, ihren Umgang mit den automatisch auftretenden negativen Gedanken zu verändern und erarbeiten individuelle Lösungsansätze, z. B. mit einer medikamentösen Therapie und einer Verbesserung der Schlafgewohnheiten.

Was sind die Voraussetzungen für guten Schlaf?

Haag: Wir erwarten oft, dass wir genau dann schlafen können, wenn wir es wollen. Schlaf lässt sich jedoch nicht erzwingen, sondern kommt, wenn Körper und Seele bereit dafür sind. Je mehr wir einschlafen wollen, desto weniger funktioniert das oft. Deshalb hilft manchmal auch der Trick, sich ins Bett zu legen und sich vorzunehmen, auf keinen Fall einzuschlafen.

Zwei Dinge sind wichtig, um nachts schlafen zu können:

  1. Wir müssen tagsüber körperlich aktiv sein, um genug Schlafdruck aufbauen zu können.
  2. Wir benötigen einen geregelten Schlafrhythmus und sollten dafür sorgen, dass wir diesen auch einhalten können.

Viele Prozesse in unserem Körper, die den Schlaf regulieren, folgen einem 24-Stunden-Rhythmus. Wir können unsere Schlafzeiten daher nicht einfach verschieben oder verlängern, wie wir es gerade wollen.

Einige Hormone wirken sich auf den Schlaf aus. Im Gehirn spielen vor allem die Hormone Melatonin und Cortisol eine Rolle. Die Ausschüttung von Melatonin (auch als Jetlag-Hormon bekannt) wird durch Licht beeinflusst. Cortisol ist ein Stresshormon und übernimmt die Rolle, unseren Körper in Aktivitätsbereitschaft zu versetzen. Cortisol wird bei Stress und Gefühlen wie Angst und Ärger verstärkt produziert. Dieses System hat sich entwickelt, um körperliche Kräfte mobilisieren zu können. Es soll uns helfen, bei Gefahr schnell Energie zu haben, um zu kämpfen oder zu fliehen. Es ist also nicht verwunderlich, dass wir schlecht einschlafen können, wenn wir uns ärgern oder Angst haben. Dass wir wach bleiben können, hat der Menschheit wahrscheinlich mehr geholfen zu überleben als unsere Fähigkeit zu schlafen.

Zusammengefasst: Sich tagsüber viel bewegen, gerade morgens Tageslicht tanken sowie Ärger und Stress zu reduzieren, sind wertvolle Strategien, um den Schlaf zu verbessern.

Haben Sie noch mehr Tipps, um nachts besser schlafen zu können?

Haag: Erst einmal sollten wir nach einer schlechten Nacht nicht tagsüber schlafen und uns nicht zu stark körperlich schonen, denn das kann in einen Teufelskreis führen: Ich baue am Tag nicht genügend Schlafdruck auf und kann in der folgenden Nacht dann wieder schlecht schlafen. Dann bin ich am nächsten Tag noch müder und frustriert oder bekomme Angst, dass es so weitergeht.

Wir sollten ins Bett gehen, wenn wir müde sind. Wenn man oft und länger wach liegt, sollte man sich im Bett nicht quälen, sondern aufstehen und sich eine ruhige, angenehme Tätigkeit suchen, bis man wieder müde wird. Wenn man lange schlaflos im Bett liegt, lernt der Organismus, dass das Bett der Ort ist, an dem man nicht schlafen kann.

Natürlich ist auch eine angenehme Atmosphäre im Schlafzimmer wichtig. Nicht jeder schläft in einem kühlen und völlig abgedunkelten Raum am besten. Einige Menschen schlafen ruhiger, wenn sie ein Nachtlicht haben. Am besten man probiert aus, wie man sich am wohlsten fühlt. Hilfreich können auch Abendrituale wie die Tasse Tee vor dem Zubettgehen oder das Tagebuchschreiben sein, um den Tag abzuschließen.

Grundsätzlich sollten wir versuchen, wieder mehr nach der inneren Uhr zu leben. Das können wir tun, indem wir stressige oder schwierige Dinge in die Tageszeit legen, in der wir am leistungsfähigsten sind und das ist eben bei kaum jemandem abends um elf Uhr. Wir sollten elektronische Medien nicht unkritisch lange konsumieren, uns bewegen – am besten in der Natur – und unseren Alkoholkonsum auf ein Minimum reduzieren.

Oft hindern einen Grübeleien daran, zügig einzuschlummern. Was kann ich tun, wenn die Gedanken nachts nicht aufhören wollen zu kreisen?

Haag: Gedanken, die nachts um Sorgen und Ängste kreisen, lassen sich nicht auf Knopfdruck abschalten. Aber: Wir können entscheiden, wie viel Bedeutung und Raum wir diesen Gedanken in diesem Moment geben wollen. Dabei kann eine Strategie sein, unsere übliche Bewertung von Gedanken, nämlich „stimmt das oder stimmt es nicht?“, zu ändern. Stattdessen können wir uns fragen, ob der Gedanke in diesem Moment hilfreich ist oder nicht. Wenn ich zu dem Schluss komme, dass die Gedanken im Augenblick nichts tun, außer mich vom Schlafen abzuhalten, dann stelle ich mir erst einmal ein Stoppschild vor. Es gibt zahlreiche Strategien, um anders mit negativen Gedanken umzugehen, und meist reicht eine allein auch nicht aus. Wenn man generell zum Grübeln neigt, kann man sich zum Beispiel eine tägliche „Grübelstunde“ verordnen, in der man dann ausgiebig bis zum Ende der Zeit grübeln muss. Oder man kann eine Achtsamkeitsübung ausprobieren, bei der man sich vorstellt, dass die Gedanken Blätter auf einem Fluss sind, die langsam mit der Strömung wegtreiben. Man kann auch mit Hilfe von Imagination versuchen, die Sorgen nachts fernzuhalten, indem man sich zum Beispiel vorstellt, wie man sie in einem Tresor wegsperrt. Und es ist wichtig, positive Begebenheiten am Tag – und seien sie noch so winzig – zu speichern, also zu versuchen, schöne und erfreuliche Dinge bewusst wahrzunehmen und Dinge zu tun, um Spaß zu haben.

Was ist mit Schlafmitteln?

Haag: Zusammenfassend ist meine Erfahrung, dass Medikamente allein bei anhaltenden Schlafproblemen leider nur selten die Lösung sind. Pflanzliche Medikamente (sog. Phytopharmaka) wie Baldrian oder Hopfentee kann man gut ausprobieren. Wichtig zu wissen ist allerdings, dass auch einige frei verkäufliche Schlafmittel nicht harmlos sind. Klassische Schlafmittel können in einigen Fällen hilfreich und sinnvoll sein, um den Teufelskreis von Müdigkeit und Nicht-schlafen-können zu unterbrechen, sozusagen als Unterstützung für die eigene Arbeit für einen gesunden Schlaf-Wach-Rhythmus. Das Problem bei klassischen Schlafmitteln ist aber, dass man von ihnen abhängig werden kann. Deshalb sollte man diese Mittel nicht länger als verordnet (ca. vier Wochen) einnehmen. Es gibt aber auch schlaffördernde Medikamente, die nicht abhängig machen und für eine längere Anwendung besser geeignet sind. Oft beschreiben Patienten, dass diese nicht so durchschlagend wirken, wie die klassischen Schlafmittel. Ich würde mich daher vom Arzt beraten lassen. Das ist erst recht wichtig für Menschen, die noch andere Medikamente (gegen Bluthochdruck o. ä.) einnehmen, denn Medikamente können Wechselwirkungen haben.

Bildquelle: © Alexandra Gorn via Unsplash