„Selbstreflexion tut uns allen gut“

„Selbstreflexion tut uns allen gut“

Dr. Silke Rusch widmet sich in ihrem Podcast psychologischen Themen rund um die Arbeitswelt

Der berufliche Alltag bringt vielfältige Herausforderungen mit sich. Manchmal knirscht es im Team oder im Umgang mit Führungskräften. Manchmal ist die Belastung zu hoch, die Zeit zu knapp. Wie kann es uns gelingen, mit solchen Anforderungen gut umzugehen? – Diese und ähnliche Fragen greift Dr. Silke Rusch in ihrem Podcast auf. Sie ist Therapeutische Leiterin der Vitos Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie Herborn.

Dr. Silke Rusch veröffentlicht einmal wöchentlich den Podcast "Psychologie @work".

Dr. Silke Rusch veröffentlicht einmal wöchentlich den Podcast „Psychologie @work“.

„Psychologie @work“ heißt der Podcast, für den Dr. Silke Rusch seit November 2021 wöchentlich eine Folge produziert. Sie spricht dann unaufgeregt, sachlich und mit ruhiger Stimme über psychologische Aspekte rund um die Arbeitswelt. Zum Beispiel über das, was krankmachen kann: die Monotonie der beruflichen Tätigkeit, Mobbing oder zwanghafter Perfektionismus. Und sie gibt Anregungen, wie wir Herausforderungen begegnen und berufliche Anforderungen meistern können. Wie gelingt beispielsweise der Wiedereinstieg in den Job nach einer längeren Auszeit, sei es nach Krankheit, Elternzeit oder Sabbatical? Wie können wir mit Veränderungen umgehen? Wie sieht eine gute Selbstfürsorge aus? – Diesen Fragen nimmt sie sich an, oftmals mit Hilfe anschaulicher Beispiele und ergänzt um weiterführende Literatur-Tipps.

Wie ist die Idee zu Ihrem Podcast entstanden?

Dr. Silke Rusch: Sie ist über längere Zeit gereift, nachdem ich selbst eine berufliche Durststrecke überwunden hatte. Es war ein beruflicher Tiefpunkt, aus dem ich aus eigener Kraft keinen Ausweg fand. Das habe ich dann erst mit Unterstützung einer Coachin geschafft. Für sie war das sicher nicht ganz leicht, denn ich bin ja selbst vom Fach und war anfangs bestimmt keine gute Klientin (lacht). Die Erfahrungen aus diesem Coaching waren für mich sehr positiv und hilfreich. Daraus entstand die Idee, mein eigenes psychologisches Wissen zu teilen.

An wen richtet sich der Podcast?

Dr. Rusch: An alle, die Interesse an psychologischen Prozessen im Arbeitsalltag haben. Anfangs hatte ich vor allem Frauen im Blick. Frauen, die Führungsaufgaben übernehmen wollen oder für die Vereinbarkeit von Beruf und Familie ein großes Thema ist. Es hat sich dann aber gezeigt, dass die Zielgruppe eigentlich viel größer ist. Gerade ein Thema wie Vereinbarkeit betrifft ja nicht nur Frauen. Typisch weiblich sind allerdings die negativen Glaubenssätze, die damit in Verbindung stehen.

Welche Glaubenssätze sind das?

Dr. Rusch: „Ich bin eine Rabenmutter, wenn ich Vollzeit arbeite.“ Das ist ein typisch weiblicher Glaubenssatz. Gerade deshalb sollten Männer bei diesen vermeintlich weiblichen Themen genau zuhören. Denn sie machen sich häufig keine Vorstellung, welche destruktiven Gedanken sich manche Frauen machen. Oder nehmen wir das Thema Selbstfürsorge. Natürlich betrifft das alle. Aber es sind vor allem Frauen, die sich selbst vernachlässigen. Weil sie den Glaubenssatz haben: „Ich darf erst dann an mich denken, wenn es allen anderen gut geht.“. Wer sich mit gesunder Führung befassen möchte, sollte wissen, dass es solche Glaubenssätze womöglich auch bei seinen Mitarbeitenden gibt.

Sie haben eine Folge Ihres Podcasts dem Thema „Sichtbarkeit“ gewidmet. Warum?

Dr. Rusch: Wie lange haben wir denn Zeit für dieses Interview? (lacht) – Die einfache Antwort wäre: Weil vor allem Frauen so viel leisten, ohne dass es gesehen wird. Und was nicht sichtbar ist, kann auch keine Wertschätzung erfahren.

Meinen Sie damit die unbezahlte Care-Arbeit?

Dr. Rusch: Ja, auch die. Frauen leisten unglaublich viel unbezahlte Arbeit, zum Beispiel bei der Kindererziehung, im Haushalt oder bei der Pflege von Angehörigen. Müsste unsere Gesellschaft diese Arbeit entlohnen, wäre das unglaublich teuer. Aber weil es eben nicht bezahlt wird, wird es auch nicht gesehen – und damit auch nicht wertgeschätzt. Über diese unbezahlte Care-Arbeit verliert niemand ein Wort.

Warum ist das Thema „Sichtbarkeit“ auch im beruflichen Umfeld wichtig?

Dr. Rusch: Weil sich die fehlende Sichtbarkeit von weiblicher Leistung auch in der Arbeitswelt fortsetzt. Frauen arbeiten häufiger im Hintergrund, ihre Beteiligung an Arbeitsprozessen oder Projekte ist damit weniger augenfällig. Auch hier fehlt für die erbrachte Leistung dann häufig die Wertschätzung. Da sind Führungskräfte gefordert, Sichtbarkeit herzustellen. Aber auch Frauen müssen mehr dafür tun, um sichtbarer zu werden. Das ist nicht nur für den Erfolg im Job wichtig, sondern für die eigene mentale Gesundheit. Denn fehlende Wertschätzung bei gleichzeitig hoher Belastung wirkt sich oft sehr negativ auf die psychische Gesundheit aus.

Fehlende Wertschätzung, Stress: Was kann noch dazu beitragen, dass Beschäftigte psychisch erkranken?

Dr. Rusch: Wenn Beschäftigte ihre Arbeit nicht mehr als sinnstiftend erleben, erhöht sich das Risiko ebenfalls. Da sind Menschen, die im Gesundheits- und Sozialwesen arbeiten, sogar besonders gefährdet. Denn in den vergangenen Jahren haben bürokratische Tätigkeiten zugenommen. Die Zeit, die dafür aufgewendet wird, fehlt dann wiederum für die Tätigkeiten, die als sinnstiftend erlebt werden – die direkte Arbeit mit Patientinnen und Patienten beispielsweise.

Welchen Beitrag können Arbeitgeber leisten, um ihre Mitarbeitenden zu unterstützen?

Dr. Rusch: Wenn Mitarbeitende psychisch erkranken, hat das sehr häufig systemische Ursachen. Eher seltener sind es individuelle Gründe wie Mobbing oder das toxische Verhalten einer Führungskraft. Angebote des betrieblichen Gesundheitsmanagements wie Yoga- oder Stressmanagement-Kurse sind deshalb gut gemeint, greifen aber häufig zu kurz. Arbeitgeber sollten viel stärker in die Prävention investieren und sich darum bemühen, strukturelle Probleme zu beseitigen. Es hilft beispielsweise, wenn Menschen von Routine-Tätigkeiten entlastet werden, damit sie den Tätigkeiten nachgehen können, für die sie ausgebildet worden sind und die sie selbst als sinnstiftend erleben.

Was können Mitarbeitende tun, um ihre mentale Gesundheit im Job zu stärken?

Dr. Rusch: Ganz allgemein und verkürzt gesagt: Wir bleiben gesund, wenn unsere Grundbedürfnisse erfüllt werden. Es gibt ein Bedürfnis nach Bindung, nach Autonomie, nach Lustgewinn und nach der Steigerung des eigenen Selbstwerts. Bezogen auf die Arbeitswelt kann das zum Beispiel heißen: Unser Bedürfnis nach Bindung wird erfüllt, wenn wir uns in unser Team gut eingebunden fühlen. Wir wollen Wertschätzung erfahren und Unlust vermeiden, also etwas tun, was uns Spaß macht. Und das Bedürfnis nach Autonomie lässt sich erfüllen, indem wir mitbestimmen können, zum Beispiel bei der Gestaltung des Dienstplans. Wir alle können uns immer wieder fragen: Was kann ich tun, damit meine Grundbedürfnisse erfüllt werden. Dort sollte man die Hebel ansetzen.

Zum Schluss: Was ist Ihr Antrieb, in Ihrem Podcast Ihr psychologisches Wissen zu teilen?

Dr. Silke Rusch ist Therapeutische Leiterin der Vitos Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie Herborn.

Dr. Silke Rusch ist Therapeutische Leiterin der Vitos Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie Herborn.

Dr. Rusch: Ich möchte anderen Anstöße zur Selbstreflektion bieten, die für ihren beruflichen Alltag hilfreich sein können. Der Podcast ist eine Einladung zur Selbstreflektion. Denn ich bin mir ganz sicher, dass es Menschen bessergeht, wenn sie sich selbst reflektieren. Letztlich ginge es uns dann allen im beruflichen Umfeld besser, und auch die Vereinbarkeit von beruflichen und anderen Aufgaben würden besser gelingen.

Zur Person:
Dr. Silke Rusch ist Psychologische Psychotherapeutin. Die vierfache Mutter ist seit 2015 Therapeutische Leiterin der Vitos Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie Herborn. Weitere Infos zum Podcast von Dr. Silke Rusch gibt es hier.

Autor/-in
Carmen Hofeditz