Die tiergestützte Therapie bei Vitos Haina
Früher lebten Mensch und Tier eng beieinander. Heute haben viele Menschen kaum noch Kontakt zu Tieren oder die Begegnungen finden in künstlichen Situationen, beispielsweise im Zoo, statt. Dabei hat der Kontakt zu Tieren eine heilsame Wirkung. Deshalb bieten wir bei Vitos Haina die tiergestützte Therapie an. Was hinter diesem Konzept steckt und warum ich mir nichts Erfüllenderes als die tägliche Arbeit mit Mensch und Tier vorstellen kann, möchte ich Ihnen hier erzählen.
Die tiergestützte Therapie als unterstützender Faktor
Die tiergestützte Therapie ist ein Alternativangebot zur Ergo- und Bewegungstherapie. Dahinter steckt ein professionell erarbeitetes, schlüssiges Konzept für psychisch kranke Menschen. Wir setzen die Tiere in den Bereichen Pädagogik, Sozialarbeit, Therapie und Pflege ein. Das Angebot richtet sich an unsere Klienten und Patienten von Vitos Haina sowie unsere Bewohner der Vitos Behindertenhilfe. Die tiergestützte Therapie soll ihnen dabei helfen, ihre sozialen Fähigkeiten neu zu entdecken oder weiterzuentwickeln. Zudem hilft die Begegnung mit den Tieren, sich der eigenen Bedürfnisse und der Bedürfnisse anderer bewusst zu werden.
Auf dem Gelände von Vitos Haina leben derzeit vier Lamas, zwei Esel, zwei Schafe, zwei Kängurus, einige Hühner, drei Meerschweinchen und auch ein paar Fische sowie zwei Hunde. Bei den Schafen handelt es sich um Bensheimer Schafe, eine bedrohte Rasse. Auch unsere Hühner stehen auf der Roten Liste der vom Aussterben bedrohten Tiere.
Alles geht, nix muss
Eine tiergestützte Therapiestunde führe ich meist mit einer Gruppe von sechs bis sieben Patienten, Klienten beziehungsweise Bewohnern durch. Grundsätzlich gilt: Alles kann, nix muss. Während einige Teilnehmer völlig angstfrei auf die Tiere zugehen, müssen sich andere erst langsam rantasten. Wieder andere können mit den Tieren selbst wenig bis gar nichts anfangen, haben aber Freude beim Misten der Gehege oder bei Reparaturarbeiten am Stall. Während der direkte Kontakt zum Tier als aktive tiergestützte Therapie bezeichnet wird, sprechen wir beim Misten und Co von der passiven tiergestützten Therapie. In beiden Fällen steht die Förderung der Sozialkompetenzen im Mittelpunkt.
Tiere stellen keine dummen Fragen
Sind Tiere die besseren Therapeuten? Fakt ist, die tiergestützte Therapie ist keine Alternative zur Arbeit mit einem Therapeuten. Sie ist ein unterstützender Faktor. Einer der großen Vorteile der Tiere ist, dass sie keine dummen Fragen stellen. Ein Tier akzeptiert einen so, wie man ist. Es wertet nicht. Deshalb fällt es vielen Menschen auch leichter, sich in Gegenwart eines Tieres zu öffnen. Durch die Arbeit mit dem Tier, das Füttern, das Gassi gehen, das Streicheln, erfahren unsere Patienten, Klienten und Bewohner Anerkennung und Wertschätzung. Sie lernen, Verantwortung zu übernehmen, was wiederum ihr Selbstwertgefühl steigert. Sie werden nicht nur umsorgt, sie können auch selbst für etwas sorgen. Das klingt banal, ist für den Einzelnen aber von großer Bedeutung.
Die Tiere spiegeln außerdem das Verhalten des Menschen. So, wie er sich ihnen gegenüber verhält, so verhalten auch sie sich. Tiere zeigen klare Grenzen auf. Für einen Menschen mit fehlendem Distanzgefühl kann es zum Beispiel sehr hilfreich sein, mit unserem Lama Valerie zu arbeiten. Möchte sie nicht gestreichelt werden, macht sie das auch deutlich klar.
Ich erinnere mich an eine Patientin, die mir sagte: „Herr Bornscheuer, was Ihre Lamas mir gegeben haben, hätte mir kein Psychologe geben können“. Sie war Patientin in unserer Akutpsychiatrie, hatte Depressionen, wenig Selbstvertrauen und große Angst davor, Verantwortung zu übernehmen. Nachdem sie nach und nach Kontakt zu unseren Lamas aufgebaut hatte, fasste sie sich ein Herz und traute sich, ein Tier selbstständig an der Leine auszuführen. „Heute ist mein großer Tag“ sagte sie damals. Die Verantwortung für ein Tier zu übernehmen, es zu führen, war ein großer Schritt für sie und sie hat ihn gemeistert.
Eine andere Patientin hatte nie gelernt, „Nein“ zu sagen, was im alltäglichen Leben auf Dauer zwangsläufig zu einer Selbstaufopferung führt. Auch ihr hat der Kontakt zu den Tieren viel gebracht. Eines Tages wollte einer unserer Esel den Weg bestimmen und immer wieder nach rechts oder links vom Weg abgehen, um sich am Gras zu weiden. Doch sie setzte sich durch. Sie sagte einfach „Nein“ und hielt Esel Max auf dem von ihr gewählten Weg. Blöd für den Esel, aber bei ihr war der Knoten geplatzt. Sie traute sich anschließend auch, ihre menschlichen Gegenüber mit einem klaren „Nein“ zu konfrontieren. Auf Nachfrage wie diese reagiert hätten, sagte sie lächelnd: „Die waren total verdutzt, aber haben es akzeptiert und mir gesagt: „Das wurde ja auch mal Zeit“.
Ein weiterer positiver Effekt der tiergestützten Therapie ist die Inklusion. Gehen unsere Patienten, Klienten und Bewohner mit den Lamas und Eseln im Dorf spazieren, kommen sie dort mit den Anwohnern in Kontakt. Man tauscht sich aus und baut so Vorurteile und Ängste ab.
Nicht zuletzt finden natürlich auch unsere Mitarbeiter von Vitos Haina die Tiere super. Wer kann schon in seiner Mittagspause einen Spaziergang im Grünen machen und dabei Kängurus, Esel, Lamas und Schafe beobachten?
Arbeiten mit Tieren – für viele ein Traumjob
Voraussetzung, um als Fachkraft für tiergestützte Therapie, tiergestützte Fördermaßnahmen und tiergestützte Pädagogik zu arbeiten, ist eine pädagogische Ausbildung sowie eine 16-monatige berufliche Weiterbildung. Ich selbst habe eine Ausbildung als Krankenpfleger absolviert. Die ist auch im Umgang mit den Tieren von Nutzen. Wenn eines der Tiere krank oder verletzt ist, kann ich viele Wehwehchen selbst verarzten.
Den ganzen Tag draußen an der frischen Luft mit den Tieren zu arbeiten, klingt für viele wie der absolute Traumjob. Für mich ist er es auch! Tiere sind meine Leidenschaft und die Wertschätzung, die ich von ihnen erfahre, ist durch nichts zu ersetzen. Kimba das Lama und die beiden Hunde gehören mir persönlich. Sie leben aber die meiste Zeit auf dem Vitos Gelände und bestreiten mit mir den Arbeitsalltag. Obwohl man bei der Arbeit mit Tieren eigentlich nicht von Alltag sprechen kann. Jeder Tag ist neu, spannend und unvorhersehbar.
Jeder, der sich für solch eine Profession interessiert, muss sich darüber im Klaren sein, dass die Betreuung der Tiere sehr aufwendig ist. Dass ich mein Hobby zum Beruf machen konnte, ist ein großes Glück für mich. Natürlich bin ich auch in Ausnahmefällen, zum Beispiel bei Krankheit eines Tiere, außerhalb meiner regulären Dienstzeit für die Tiere da. Während meines Urlaub wird die Versorgung der Tiere nach Absprache mit der Therapeutische Leitung und den Kollegen geklärt. Im Urlaub nehme ich schon auch mal die beiden Lamas, oder auch die Esel mit nach Hause, das ist auch für die Tiere eine willkommene Abwechslung. Da auf meiner heimischen Koppel auch Lamas stehen, kommen die Therapie-Lamas immer wieder in einen Herdenverbund und müssen dort artgerecht eine Rangordnung ausfechten. Die Esel stelle ich zu meinen Ziegen. Esel werden in ihren Ursprungsländern auch als Herdenschutztiere eingesetzt. Das ist für unsere Therapie-Esel ein wichtiger Ausgleich, da sie in ihrem Arbeitsalltag sehr viel Kontakt zum Menschen haben.
Fast jedes Tier kann ein Therapietier werden
Eignet sich jedes Tier zum Therapietier? Grundsätzlich ja. Entscheidend ist, dass die Tiere einen sanftmütigen Charakter haben und schonend auf ihre Arbeit vorbereitet und trainiert werden. Zudem ist der Tierschutz strikt einzuhalten. Es braucht also Platz, artgerechte Bedingungen zur Haltung und ein stimmiges Konzept, welches mit den Vorgaben der Einrichtung vereinbar ist.
Bestimmte Tiere kommen bei den meisten Menschen besser an als andere. Dabei spielt die Haptik eine große Rolle. Grundsätzlich gilt, dass ein flauschiges Meerschwein für viele deutlich angenehmer zu streicheln ist, als beispielsweise eine schuppige Bartagame. Aber Pelz ist natürlich nicht alles. Mit einer flauschigen Vogelspinne wollen sicherlich die Wenigsten schmusen.
Entscheidend ist nicht die Art, sondern der individuelle Charakter des Tieres. Zu Therapiezwecken eignen sich Tiere, die von klein auf an den Menschen gewöhnt wurden. Die Ausbildung zum Therapietier braucht Zeit und viel Geduld. Die Lamas beispielsweise habe ich nach und nach an das Laufen an der Leine und an den Kontakt zu unseren Patienten, Klienten und Bewohnern gewöhnt. Mag ein Tier aber den Kontakt zum Menschen nicht, eignet es sich auch nicht als Therapietier.
Da unsere Lamas auch mit auf die Stationen kommen, um die Patienten am Bett zu besuchen, mussten wir natürlich auch das Treppensteigen und das Überwinden von Hindernissen üben. Hierbei ist es absolut wichtig, dass wir uns an hygienische Vorgaben halten!
Patenschaften und Spenden
Die Haltung der Tiere und das Futter sind kostspielig. Spenden helfen uns bei der Anschaffung, Ausbildung und Haltung zusätzlicher Therapietiere und ermöglichen so weiteren Patienten, Bewohnern und Klienten den Zugang zur tiergestützten Therapie. Darüber hinaus ist es auch möglich, eine Patenschaft für ein bestimmtes Tier zu übernehmen. Weiterführende Infos finden Sie hier.
Sie würden in Ihrer Mittagspause auch gern mal Esel streicheln? Dann schauen Sie sich unsere YouTube-Filme an und informieren Sie sich über Ihre beruflichen Möglichkeiten bei Vitos Haina!
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