So schützen wir unsere Psyche vor den Belastungen des Klimawandels

So schützen wir unsere Psyche vor den Belastungen des Klimawandels

Interview mit Prof. Dr. Florian Metzger, Ärztlicher Direktor der Vitos Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie Haina

Welche Auswirkungen hat der Klimawandel auf unsere Psyche? Prof. Dr. Florian Metzger erklärt, wie wir mit den Belastungen umgehen können und welche neuen Krankheitsbilder der Klimawandel mit sich bringt.

Welche Belastungen bringt der Klimawandel mit sich?

Der Klimawandel hat in unterschiedlichen Facetten auch unterschiedliche Auswirkungen auf die psychische Gesundheit. Mit dem Klimawandel ereignen sich mehr extreme Wetterereignisse wie Stürme, Überschwemmungen oder Waldbrände. Diese Naturkatastrophen haben nicht nur unmittelbare Auswirkungen wie das Neuauftreten oder das Wiederauftreten von psychischen Erkrankungen, sondern zeigen auch nach einem Jahr noch deutlich höhere Quoten von psychischen Erkrankungen. Durch den Klimawandel entstehen aber auch neue Erkrankungen. Zudem bringen höhere Durchschnittstemperaturen, insbesondere wenn es sich um Hitzeperioden handelt, mehr Krankheitslast, das heißt mehr Symptome mit sich.

Gibt es bereits wissenschaftliche Erkenntnisse oder Studien darüber, welche psychischen Belastungen durch den Klimawandel besonders häufig auftreten?

In den vergangenen Jahren wurde eine Vielzahl von Studien durchgeführt. So lässt sich ableiten, dass infolge von extremen Wetterereignissen die Häufigkeit von psychischen Erkrankungen, zum Beispiel einer Depression, auch noch nach einem Jahr oftmals viermal so hoch ist. Andere Studien zeigen, dass jedes Grad Temperaturerhöhungen mehr Todesopfer durch oder mehr Symptome bei psychischen Erkrankungen verursacht. Eine ganz aktuelle Studie aus Australien beschreibt ein Anstieg von Suiziden infolge von Hitzeperioden insbesondere bei Männern im höheren Lebensalter.

Resultieren aus dem Klimawandel auch neue psychische Krankheitsbilder?

Es gibt drei neue Krankheitsbilder, die mit dem Klimawandel in Verbindung stehen: da gibt es die Climate Anxiety, die eine generelle Angst beschreibt, von Klimaveränderungen betroffen sein zu könne. Eine neue Erkrankung ist der Eco Distress, damit sind psychischen Symptome gemeint die aufgrund von Klimaveränderungen auftreten, wie zum Beispiel gesteigerte Wut oder eine krankhafte Antriebssteigerung. Dazu wurde noch die Solastalgie definiert, die den (klimawandelbedingten) Verlust des gewohnten Lebensumfelds, quasi der „Heimat“, und die dadurch entstehenden psychischen Symptome beschreibt.

Wie unterscheiden sich akute psychische Reaktionen, zum Beispiel nach Naturkatastrophen, von langfristigen Belastungen, wie der Angst vor einer unsicheren Zukunft?

Bei psychischen Reaktionen unmittelbar nach Naturkatastrophen stehen die Traumafolgestörungen im Vordergrund, aus denen sich dann zum Beispiel eine Posttraumatische Belastungsstörung entwickeln kann. Oftmals entsteht auch eine Depression aufgrund der zu bewältigenden Verluste, wie dem Verlust der Wohnung, des Arbeitsplatzes, der gewohnten Umgebung, der Arbeitsstelle oder auch dem Verlust von Angehörigen. Die langfristigen Belastungen äußern sich häufig durch Angsterkrankungen.

Inwiefern spielt das Gefühl der Machtlosigkeit oder Ohnmacht eine Rolle? Welche psychischen Mechanismen treten auf, wenn Menschen sich angesichts der Klimakrise hilflos fühlen?

Je intensiver das Gefühl der Ohnmacht ist und je weniger Steuerung erlebt wird, desto heftiger sind die psychischen Symptome. Bei Menschen die Naturkatastrophen oder ähnliches mehrfach erleben, steigt die Gefahr an, die Ohnmacht zu verinnerlichen. Dies kann dann zu einer „erlernten Hilflosigkeit“ führen, einem typischen Symptom im Rahmen einer chronischen Depression, da sich aus der erlernten Hilflosigkeit Resignation und Rückzug entwickeln kann.

Prof. Dr. Florian Metzger, Ärztlicher Direktor der Vitos Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie Haina

Prof. Dr. Florian Metzger, Ärztlicher Direktor der Vitos Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie Haina

Was können betroffene Menschen tun, um mit Klimaangst oder Klimastress besser umzugehen? Gibt es bewährte psychotherapeutische Ansätze?

Im Prinzip unterscheidet sich das Vorgehen nicht substantiell von anderen psychischen Erkrankungen, wie Angsterkrankungen oder dem Vorgehen bei Belastungsstörung oder Stress. Ob Entspannungstechniken und/oder Expositions-Behandlung für die angstauslösenden Situationen genutzt werden, es handelt sich um bewährte psychotherapeutische Ansätze.

Welche Rolle spielen soziale Netzwerke und Medien in der Wahrnehmung und Verarbeitung von Klimaängsten? Kann zu viel Information auch psychisch belastend sein?

Der Umgang mit den Medien in realen Bedrohungssituationen konnten wir durch die Krisen in den letzten Jahren beispielhaft lernen: Sowohl in der Coronakrise als auch zu Beginn des Ukrainekrieges gerieten viele Menschen durch ein Zuviel an unkoordinierter und ungebremst konsumierter Information in eine massive Belastungssituation. Es verhält sich in der Klimakrise nicht wesentlich anders: ein gezieltes Maß an Information und Ableitung von Handlungskonsequenzen ist weitaus sinnvoller als hier und da oder dauerhaft belastende „Häppchen“ zu sich zu nehmen.

Gibt es aus psychologischer Sicht auch eine positive Perspektive? Können Menschen möglicherweise Resilienz oder neue Bewältigungsstrategien entwickeln, die ihnen langfristig sogar helfen?

Es gibt überall Licht und Schattenseiten: Wenn wir Resilienz lernen, können wir diese in allen Lebenslagen einsetzen, auch in persönlichen Krisen oder schwierigen Zeiten, zum Beispiel am Arbeitsplatz. Dementsprechend sind Bewältigungsstrategien, zu denen unter anderem Achtsamkeit, Entspannungs-Kompetenz und ähnliches zählt, nicht nur für diese speziellen Situationen, sondern fürs ganze Leben gut und sinnvoll.

Autor/-in
Marie Friedewald