22 Feb So wächst zusammen was zusammen gehört
Wir-Gefühl bei Vitos Jugendhilfe und Vitos Behindertenhilfe, Region Idstein
Wir, Vitos Teilhabe in Idstein, waren bis Ende 2015 Behindertenhilfe für Kinder und Jugendliche, und haben seit Januar 2016 unser erstes Jahr in der Jugendhilfe verbracht! Wir haben vorweggenommen, was politisch gewollt, aber eben nicht einfach umsetzbar ist.
Ein Jahr, das uns als Teilhabe sowieso viele Veränderungen brachte, wurde genutzt, um ein deutliches Statement zu setzen: „Bei uns, Vitos Jugendhilfe, sind Kinder in erster Linie Kinder und haben in zweiter Linie vielleicht auch eine Behinderung.“ Wie wunderbar!
Der Inklusionsgedanke
Die Leistungen für Kinder und Jugendliche mit Behinderungen sind in unterschiedlichen Sozialleistungssystemen geregelt.
Es gibt Leistungen über SGBVIII (Jugendhilfe) und SGBXII (Eingliederungshilfe). Das SGBXII ist im Sinne der UN-Behindertenrechtskonvention reformiert worden, das SGBVIII nicht.
Die unterschiedlichen Zuständigkeiten der Hilfesysteme bringen Ungerechtigkeiten im Alltag. Kinder, die über die Jugendämter finanziert werden, bekommen mehr Taschengeld, mehr Kleidergeld, mehr Therapien finanziert. Auch wenn sich die meisten Fachleute einig sind, dass eine Zusammenführung der Leistungen für alle Kinder sinnvoll und die Grenze zwischen erzieherischem und behinderungsbedingtem Bedarf aufzuheben ist, sind wir politisch noch weit davon entfernt.
Im Koalitionsvertrag der großen Koalition von 2013 haben die Regierungsparteien vereinbart, dass die Kinder- und Jugendhilfe zu einem inklusiven Hilfesystem weiterentwickelt werden soll.
Das Ziel der Zusammenführung der Leistungen für alle Kinder und Jugendlichen mit oder ohne Behinderung entspricht dem Inklusionsleitbild der UN-Behindertenrechtskonvention und der UN-Kinderrechtskonvention.
Nun neigt sich die Legislaturperiode dem Ende entgegen und die Kommunen stellen plötzlich fest, dass es Inklusion nicht zum Nulltarif gibt. Es wird Geld kosten, Kinder gleichermaßen zu fördern. Also beispielsweise behinderten Kindern die Möglichkeit zu geben, in die allgemeine Schule zu gehen. Oder letztlich auch Sozialarbeiter auf den Jugendämtern zur Verfügung zu stellen, die sich fallverantwortlich für behinderte Kinder fühlen. Denn was bei Jugendämtern selbstverständlich ist, dass es zwei Mal pro Jahr Hilfeplangespräche gibt, dass es einen Sozialarbeiter gibt, der das Kind auch kennt, ist in der Behindertenhilfe nicht der Fall. Hier schicken wir einmal pro Jahr einen Bericht an den LWV und die Kosten werden im besten Fall weiter bewilligt, ohne dass es einen Ansprechpartner auch für die Erziehungsplanung gibt.
Es wird nun also schnell „eine kleine Lösung“ in dieser Legislaturperiode angestrebt, um überhaupt etwas vorlegen zu können. Das macht deutlich, wie weit wir in Deutschland noch von dem Inklusionsgedanken entfernt sind.
Bei der Vitos Jugendhilfe sind wir auf dem Weg zur Inklusion
Wir haben es umgesetzt! Hier in Idstein sind wir gemeinsam Jugendhilfe.
Was hat sich also für uns verändert? Wir haben inzwischen Gruppen mit Jugendhilfe-Kindern und LWV-Kindern im gemeinsamen Gebäude: In zwei Häusern wohnen nun Kinder der ehemaligen Jugendhilfe und der ehemaligen Behindertenhilfe zusammen. Wir haben eine gemeinsame Leitung, wir haben gemeinsame Besprechungen, nähern unsere Heimbeiräte einander an und besuchen den gleichen Präventionsrat.
Wir sind dabei, Standards anzugleichen und Abläufe zu vereinheitlichen. Wir haben eine gemeinsame Rufbereitschaft und gegenseitige Vertretungen.
Unsere Teamleiterschulungen haben in wunderbarer Weise dazu beigetragen, dass wir zusammenwachsen und zusammen gehören wollen.
Ein neues Wir-Gefühl
Und was viele bis zu der Umsetzung kaum glauben wollten, es läuft einfacher und besser, als viele erwartet haben. Die Kinder und Jugendlichen, die sich nun direkt in den Häusern und auf dem Spielplatz begegnen, zeigen untereinander kein anderes Verhalten als in ihren jeweiligen Bezugsgruppen.
Die Kollegen unterstützen sich, rücken zusammen, teilen sich Besprechungsräume, Keller und Garagen und es entsteht tatsächlich ein neues „Wir-Gefühl“.
Ich bin stolz, ein Teil „unserer“ großen Lösung zu sein. Dennoch muss ich sagen, dass mir weiterhin das Herz blutet, wenn ich einzelnen Gruppen mitteilen muss, dass ein Kind vom Jugendamt Reittherapie bezahlt bekommt, das andere Kind, finanziert über die Eingliederungshilfe der Behindertenhilfe nicht nur keine Therapien oder keine Nachhilfestunden, sondern auch keine Brille oder keine Klassenfahrt.Wir werden den Inklusionsgedanken nicht aufgeben und die Politik hoffentlich auch nicht, sodass wir uns langsam weiter annähern können.
Wir jedenfalls hatten ein wirklich gutes Jahr miteinander!
Herzlichen Dank an die Entscheider und die aufnehmende Jugendhilfe.
Foto: Reiner Strack