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Soziale Raubtiere

Warum ist es so schwer, einen Psychopathen zu entlarven?

„Ich habe alle Merkmale eines Menschen: Fleisch, Blut, Haut, Haare. Aber keine einzige klar identifizierbare Emotion, abgesehen von Gier und Abscheu.“ Patrick Bateman, seines Zeichens erfolgreicher Investmentbanker, ist der Inbegriff eines Psychopathen. In „American Psycho“, der filmischen Adaption des gleichnamigen Romans von Bret Easton Ellis schlachtet sich der aalglatte Charmeur mit dem stählernen Sixpack durch New York. Er lügt, manipuliert, intrigiert, mordet. Alles ohne einen Funken von Reue.

Doch auch jenseits der Kinoleinwand gibt es sie, die skrupellosen, kaltblütigen und oft hochintelligenten Raubtiere. Ausschließlich an der eigenen Bedürfnisbefriedigung interessiert, sitzen sie in den Führungsriegen, Gremien und Vorständen. Sie haben die Fäden in der Hand und kontrollieren Politik und Wirtschaft – ihr eigenes Marionettentheater.

Der Psychopath gibt sich natürlich nicht als solcher zu erkennen. Geschickt umgarnt er seine Opfer. Die fatalen Folgen werden ihnen erst viel zu spät bewusst.

Möglich, dass Sie bereits einem Psychopathen die Hand geschüttelt haben. Doch wie entlarvt man den Meister der Manipulation?

Psychopathie – ein verbreitetes Phänomen?

Wenn man den Medien glaubt, könnte man meinen, Psychopaten würden an jeder Straßenecke lauern. Doch der Begriff „Psychopath“ wird inflationär genutzt. Er verängstigt die Menschen und fasziniert sie zugleich. Zu dieser Faszination beigetragen, haben zahlreiche Romane, Filme und Serien. Den meisten Menschen läuft beim Gedanken an Dr. Hannibal Lecter, dem eloquenten Kannibalen aus „Das Schweigen der Lämmer“, wohl heute noch ein kalter Schauer über den Rücken. Wohliges Gruseln steigert bekanntlich die Quoten.

„Haben die Lämmer aufgehört zu schreien, Agent Starling?“

In Wirklichkeit sind Psychopathen sehr selten. Bei der Psychopathie handelt es sich um eine extreme Form der Persönlichkeitsstörung. Jeder Psychopath ist auch immer ein Dissozialer. Aber die wenigsten Dissozialen sind Psychopathen. Man kann die Psychopathie auch als die Essenz von Dissozialität bezeichnen.

Was macht einen Psychopathen aus?

Psychopathen sind begnadete Schauspieler

Was sind die Eigenschaften eines Psychopathen? Eins vorweg: Es ist nicht leicht, einen Menschen als Psychopath zu entlarven. Ein Psychopath verfügt über ausgeprägtes schauspielerisches Talent. Er ist manipulativ und anpassungsfähig. Nur wenige können seinen fassadenhaften und oberflächlichen Charme als solchen erkennen. Deshalb finden sich beispielsweise unter Betrügern und Heiratsschwindlern oft Psychopathen. Diese Blender und Selbstdarsteller beherrschen ihr Handwerk besser als alle anderen. Wer einen Psychopathen kennenlernt, wird ihn wahrscheinlich erst mal als sehr angenehmen, aufmerksamen und interessanten Gesprächspartner empfinden. Ein Psychopath strahlt Selbstsicherheit aus. Kein Wunder, ist er sich selbst gegenüber doch völlig unkritisch. In seiner maßlosen Selbstüberschätzung meint er, alles zu können und vor allem, sich alles herausnehmen zu dürfen.

Der Psychopath langweilt sich schnell und sucht deshalb stets den Kick. Sensation Seeking nennen wir die Eigenschaft, sich völlig angstfrei in Herausforderungen zu stürzten. Doch der Psychopath bewegt sich auf seiner Suche nach Action oftmals außerhalb des Normbereichs. Statt Fallschirmspringen zu gehen, raubt er lieber eine Bank aus. Er geht dabei stark bedürfnisorientiert vor. Sein eigenes Wohl ist das einzige, was zählt. Andere sind für ihn minderwertig und er betrachtet sie mit Geringschätzung bis hin zu Abscheu. Mitleid ist ihm fremd. Hat ein Psychopath beispielsweise eine ältere Dame beklaut, tut ihm seine Tat zu keiner Zeit leid. Sie ist seiner Meinung nach selbst schuld. War sie doch zu blöd, den Diebstahl rechtzeitig zu bemerken. Der Psychopath geht taktisch vor, ist meist sehr intelligent. Doch auch eine starke Impulsivität ist ihm eigen. Er handelt, ohne auch nur einen Gedanken an die möglichen Konsequenzen zu verschwenden.

Lügen und Intrigen auf hollywoodreifem Niveau

Wer schon mal die Serie „House of Cards“ gesehen hat, weiß, wie weit ein Psychopath kommen kann. Kevin Spacey schafft es in der Rolle des Frank Underwood bis ins Oval Office. Vor allem dank zahlreicher Lügen, Intrigen und gekonnt platzierter Schmeicheleien. Mit einem Blick auf die aktuelle politische Landschaft der USA wird deutlich, dass die Netflix-Erfolgsserie gar nicht so realitätsfremd ist. Donald Trump schreckt auf dem Weg zur Präsidentschaft vor wenig zurück. Ob er die Intelligenz eines klassischen Psychopathen besitzt, sei an dieser Stelle einmal dahingestellt.

Politik und Wirtschaft – Spielwiese der Psychopathie

Der Psychopath will ganz nach oben

Macht ausüben, manipulieren, Konkurrenten diffamieren, anschließend völlig unbeeindruckt nach Hause gehen und nicht mehr daran denken. Der Psychopath hat es in gewisser Weise leichter als andere, die Karriereleiter zu erklimmen.

Ein Beispiel: Herr G. hat es in einer Bank in eine gute Position im mittleren Management geschafft. Doch das reicht ihm nicht. Er will mehr. Deshalb spinnt er eine Intrige nach der anderen gegen seinen direkten Vorgesetzten. Er lügt und betrügt, bis er hat, was er will. Herr G. fälscht Unterlagen und verbreitet das Gerücht, der Vorgesetzte hätte ein massives Drogenproblem. Dass sein Chef, ein zweifacher Familienvater, anschließend arbeitslos ist und dazu noch seinen guten Ruf verloren hat, bereitet dem Psychopathen keinesfalls schlaflose Nächte. Kein Wunder also, dass Psychopathen vor allem in Führungspositionen anzutreffen sind.

Es gibt auch weibliche Psychopathen

Psychopathie ist übrigens kein typisch männliches Phänomen. Es gibt genauso Frauen, die sich ihre Position nicht etwa durch herausragende Fähigkeiten, sondern durch Manipulation, taktisches Vorgehen, Lügen, Intrigen und mithilfe einer ordentlichen Portion Narzissmus gesichert haben. Sie gehen brutal vor, um ihre egoistischen Ziele zu erreichen. Gemein ist ihnen ein extrem übersteigertes bedürfnisorientiertes Denken und Handeln. Egal, ob sie mit Hilfe unlauterer Methoden Karriere machen, an dem Vermögen anderer partizipieren oder schlicht ihr Kind vernachlässigen, um ihrem Vergnügen nachzugehen – Frauen besitzen genauso wie Männer als Psychopathen die Fähigkeit, skrupellos ihre Bezugspersonen auszunutzen oder zu vernichten.

Der Psychopath im Sandkasten

Auch Kinder können bereits über psychopathische Züge verfügen

Psychopathische Züge lassen sich bereits im Kindesalter beobachten. Typische Warnsignale, die schon im Grundschulalter auftreten, sind:

Doch warum wird ein Mensch überhaupt zu einem Psychopathen? Wie bei der Dissozialität finden sich die Gründe dafür im Zusammenspiel von Erziehung und Neurobiologie. Normalerweise lernen Kinder von klein auf, dass sie Kompromisse eingehen und die eigenen Wünsche auch mal zurückstellen müssen. Die Schokolade teilt man mit der Schwester. Nach einer gewissen Weile auf der Schaukel macht man Platz für die wartenden Kinder. Psychopathen aber haben es nicht gelernt, kompromissbereit zu sein. Wie bei einem Kleinkind steht die eigene Bedürfnisbefriedigung für sie im Zentrum. Sie verharren ihr Leben lang in dieser egozentrischen Weltsicht.

In der Neurobiologie wird derzeit viel geforscht, jedoch mit widersprüchlichen Ergebnissen. Das typische Gerhirn eines Psychopathen, das stets als solches zu erkennen ist, gibt es also nicht.

Einmal Psychopath immer Psychopath?

Psychopathie ist nur bedingt therapierbar. Einen Psychopathen kann man in seiner Struktur kaum beeinflussen. Er kann, unter Anleitung, bis zu einem gewissen Grad lernen, Empathie für seine Opfer zu empfinden. Seine psychopathischen Wesenzüge jedoch bleiben. Doch kein Psychopath begibt sich freiwillig in Therapie. Das würde seiner Überzeugung der vollkommenen Überlegenheit auch komplett zuwiderlaufen. Schuld sind schließlich stets die anderen. Er macht alles richtig.

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Publikationsverzeichnis
  1. Alkohol – Wege aus der Krankheit, Folge 6, Ärzte-Zeitung Nr. 205, 11.11.1999, S. 10
  2. Ambulante Behandlung der Alkoholabhängigkeit, Spektrum der Psychiatrie, Psychotherapie und Nervenheilkund 6/1999, 158 – 165
  3. Alkoholentzug mit Tiaprid, Psycho 26 (2000) Nr. 12, 604
  4. Vorsicht Psychotherapie, Psycho 26 (2000) Nr. 9, 416 – 420
  5. Die Psychotherapeuten, Der Allgemeinarzt 19/2000, 1435
  6. Therapie mit Tiapridex, Psycho 27 (2001) Nr. 7, 361
  7. Schizophrenie und Sucht, MMW – Fortschritte der Medizin 143 (2001), 541 – 544
  8. Das ärztliche Gespräch mit depressiven Patienten, MMW – Fortschritte der Medizin 145 (2003), 253 – 255
  9. Einmal Couch und zurück, Verlag Wissenschaft und Praxis, 2005, Sternenfels
  10. Psychose bei Neurolues, Der Neurologe und Psychiater, DGN-Sonderheft 2005, S. 6
  11. Affektive Störung bei Hydrocephalus internus, Der Neurologe und Psychiater, 12/2005, S. 18
  12. Psychose bei Hypothyreose, Der Neurologe und Psychiater, 11/2005, S. 8
  13. Risiken der Psychotherapie, Der Allgemeinarzt, 4/2006, 24 – 26
  14. Porphyrie war Ursache für wechselhaftes Erscheinungsbild, DNP, 7 – 8/06, S.14
  15. Kindheit bestimmt das Leben, DÄB, Jg. 103, Heft 36, 08.09.2006
  16. Der schwierige Patient, ARS MEDICI; 25/26, 2006, S. 1 – 3
  17. „Frühe Bindungserfahrung beeinflusst Genaktivität“, Hessisches Ärzteblatt 4/2010, 220- 226
  18. „Die Melancholie des Psychiaters“, Deutsches Ärzteblatt, Jg. 108, Heft 5, 4.2.2011, 187-188.
  19. „Was uns am Arbeitsplatz hält“; DÄB, Jg.108. Heft 42, 21.10.2011
  20. „Schicksal Familie“, Perspektive Pädagogik, Heft 1, Klett Verlag Stuttgart 2011, S.77
  21. Agieren und Spalten – Umgang mit schwierigen Patienten
Mitautor

Wettig, Jürgen: Neurobiologie der frühkindlichen Traumatisierung, S. 20-27
in Gahleitner, S. u. Hahn, G. (Hg.): Klinische Sozialarbeit; Gefährdete Kindheit – Risiko, Resilienz und Hilfen, Psychiatrie-Verlag Bonn 2010

Wettig, Jürgen: Neue Störungsbilder – Mythos oder Realität, S.147 – 175 Buchreihe: Psychoanalytische Pädagogik Verlag: Psychosozial-Verlag 304 Seiten, Broschur, 148 x 210 mm Erschienen im Oktober 2015 ISBN-13: 978-3-8379-2485-5, Bestell-Nr.: 2485

 Autor

Wettig, Jürgen: Schicksal Kindheit, Springer Verlag Heidelberg  2008

Seminare
  1. Psychotherapeutisches Wissen I
    Eltern-Kind-Bindung, Entwicklung und Persönlichkeit
  2. Psychotherapeutisches Wissen II
    Anamnese und Psychopathologischer Befund
  3. Psychotherapeutisches Wissen III
    Forensische Psychiatrie – Einblick und Ausblick