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Spannende Biografien und Therapien

Interkulturelle Öffnung bei Vitos – Was steckt dahinter?

Menschen aus vielen Kulturen berichten aus ihrem Leben, ihrer Migrationsgeschichte – Geflüchtete erzählen von Bürgerkrieg, Leid und Flucht. Therapien von Menschen mit Zuwanderungsgeschichte bieten für Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter Begegnung mit anderen Lebenswirklichkeiten. So erweitern wir unseren eigenen Horizont und machen wichtige neue Erfahrungen. Wir können Verständnis für Integrationsprozesse entwickeln. Wir können die Ressourcen von Patienten und Patientinnen verstehen und fördern. Das ist auch für uns eine Bereicherung.

Interkulturelle Öffnung der Kliniken und interkulturelle Kompetenz in der psychiatrisch-psychotherapeutischen Arbeit sind bei Vitos seit vielen Jahren wichtige Themen. Sprachliche und kulturelle Verständigungsprobleme erschweren häufig die Behandlung von Menschen mit Zuwanderungsgeschichte. Schenkt man dem kulturellen Hintergrund eines Menschen bei der Diagnostik und Therapie nicht ausreichend Beachtung, kann sich das negativ auf den Behandlungserfolg auswirken. Eine medizinische Versorgung, welche die besonderen Bedürfnisse von Migranten berücksichtigen will, benötigt klare strukturelle Rahmenbedingungen.

Vitos will eine Vorreiterrolle einnehmen

Bisher wird die Bedeutung von interkultureller Kompetenz in vielen deutschen Kliniken und anderen Einrichtungen des Gesundheitswesens noch nicht ausreichend beachtet. Vitos möchte hier – gemeinsam mit anderen Trägern – eine Vorreiterrolle einnehmen.

2013 schuf Vitos den Arbeitskreis Migration. Dort arbeiten alle Migrationsbeauftragten [1] der Vitos Gesellschaften zusammen, diskutieren aktuelle Themen und Probleme und stoßen Entwicklungsprozesse an. In vergangenen Beiträgen haben wir unter anderem unser Dolmetscherkonzept sowie das Konzept der interkulturellen Psychoedukation [2] beleuchtet.

Aus dem Arbeitsalltag einer Migrationsbeauftragten

Doch was bedeutet das in der Praxis? Um das zu verdeutlichen, berichtet eine unserer Migrationsbeauftragen aus ihrem Arbeitsalltag.

Sie betreut einen jungen Patienten mit türkischen Wurzeln. Seine Diagnose lautet paranoide Schizophrenie. Für seine Familie war und ist es sehr schwer, die Diagnose zu akzeptieren und sich auf die Behandlung einzulassen. Seine Eltern waren geschockt zu erfahren, dass ihr Sohn zu seinem eigenen Wohl in eine psychiatrische Klinik eingewiesen werden musste.  Unsere Migrationsbeauftragte, die selbst türkisch spricht, begleitet den Patienten und seine Familie seitdem sehr eng. Sie hat ihn in die Klinik gefahren und sich während seiner stationären Behandlung regelmäßig mit ihm getroffen.

Interkulturelle Psychoedukation

Manche Patient/-innen mit Migrationshintergrund wissen nicht, was Psychiatrie bedeutet. Auch die Vorstellungen von Behandlung und der Arzt-Patienten-Beziehung können in den Herkunftsländern andere sein. Unsere Migrationsbeauftragte klärte den Patienten über seine eigene Erkrankung und die anstehende Behandlung auf.

Wenn der Patient Fragen hat, kann er sich an die Migrationsbeauftragte wenden. Sie betreut auch seine Familie. In der Zeit, als er in stationärer Behandlung war, besuchte sie die Familie regelmäßig zu Hause. Sie informierte sie über sein Krankheitsbild und die Therapie.

Nach wie vor haben seine Angehörigen große Angst davor, das die Verwandtschaft in der Türkei von der Erkrankung des Sohnes erfahren könnte. Psychische Erkrankungen sind in vielen Ländern noch ein großes Tabu. Die Familie ist in großer Sorge, an Ansehen zu verlieren, sollten die entfernteren Verwandten erfahren, dass der Sohn in Behandlung ist. Dies hängt möglicherweise auch damit zusammen, dass psychische Krankheiten oft nicht als solche verstanden werden.

Mittlerweile ist die stationäre Therapie des Patienten beendet. Auch bei seiner Entlassung war unsere Migrationsbeauftragte an seiner Seite. Die Nachbetreuung des Patienten findet nun ambulant in einer Tagesklinik und bei seiner Familie zu Hause statt. Die Familie hat sich sozial sehr isoliert. Keiner darf den Sohn besuchen. Die Familie hat die Migrationsbeauftragte gebeten, immer sehr früh am Morgen zu kommen, damit die Nachbarn sie nicht sehen.

Dieses Beispiel zeigt, wie groß die Vorbehalte gegen eine psychiatrische Behandlung sein können. Es zeigt auch, wie wichtig eine zielgerichtete und niedrigschwellige Aufklärung des Patienten und genauso seiner Angehörigen ist. 

Fort- und Weiterbildung für Mitarbeiter/-innen – jetzt auch digital

Um unsere Mitarbeiter/-innen auf diese Herausforderungen vorzubereiten, bietet die Vitos Akademie seit mehr als zehn Jahren Fortbildungen zur Verbesserung der interkulturellen Kompetenz an. Derzeit erarbeitet wir ein E-Learning-Modul zum Thema „Dolmetschereinsatz bei Vitos“. Videobeispiele zeigen Dolmetschergespräche vom Vorgespräch zwischen Behandler und Dolmetscher/-in über das eigentliche Patientengespräch bis hin zur Nachbesprechung. Die Beispiele sollen praktische Fragen beantworten und die Sicherheit der Behandler/-innen im Umgang mit Dolmetschereinsätzen erhöhen.

Mehrsprachiger Flyer und Internetauftritt

Der konzernweite Flyer „Willkommen bei Vitos – Angebote für Patient/-innen aus anderen Ländern und Kulturen“ steht in acht verschiedene Sprachen zur Verfügung. Er gibt eine Übersicht über die psychiatrischen Behandlungsangebote bei Vitos und thematisiert das Vitos Qualitätsversprechen zum Einsatz unabhängiger, geschulter Dolmetscher/-innen.

Die Vitos Website bietet dazu ebenfalls viele Information, die in acht verschiedene Sprachen übersetzt wurden.

Wie soll es weitergehen?

Bislang standen vornehmlich organisatorische Themen wie der Aufbau eines funktionierenden Dolmetschersystems oder die Übersetzung von Patienteninformationen in verschiedene Sprachen im Fokus.

Nun wollen wir das gemeinsames Verständnis von interkultureller Offenheit weiter ausbauen – so wie es bereits im Vitos Leitbild [3] angeschnitten wird. Wir möchten dazu Ideen entwickeln, die das Interesse und die Neugierde an Themen der interkulturellen Öffnung wecken und interkulturelle Kompetenz für alle Vitos Mitarbeiter/-innen fördern.

Weiterführende Informationen für Interessierte

2015 erschien die 3. Auflage der Broschüre „Das kultursensible Krankenhaus“ – herausgegeben von der Beauftragten der Bundesregierung für Migration, Flüchtlinge und Integration. Die Broschüre zeigt anhand zahlreicher praktischer Ansätze auf, wie interkulturelle Öffnung in Kliniken gelingen kann. Die Broschüre wird derzeit grundlegend überarbeitet. Vitos war – neben anderen Trägern wie der Landschaftsverband Rheinland (LVR) – erneut in die Erarbeitung der Inhalte eingebunden.

Bundesweit ist Vitos in wichtigen Gremien vertreten und sucht die Zusammenarbeit mit anderen Trägern, die sich für interkulturelle Öffnung einsetzen wie beispielsweise die Charité, der Landschaftsverband Rheinland (LVR) oder der Landschaftsverband Westfalen-Lippe (LWL).