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Stimulationsverfahren in der Psychiatrie

Alternative Behandlung für schwer kranke Patienten

Wenn Patienten sehr schwer an einer Depression oder an einer Schizophrenie erkrankt sind, kommen für die Behandlung Stimulationsverfahren in Frage. Sinnvoll ist das vor allem dann, wenn die Patienten auf andere Formen der Behandlung – also Medikamente und Psychotherapie – nicht ausreichend ansprechen. Das Vitos Klinikum Heppenheim hat seit 2018 ein Stimulationszentrum aufgebaut. Psychisch kranke Patienten werden dort mit verschiedenen Stimulationsverfahren behandelt. An Behandlungsverfahren werden die Lichttherapie, die Wachtherapie, die Vagusnervstimulation, die Magnetstimulation sowie die Elektrokrampftherapie vorgehalten. Prof. Dr. med. Thomas Rechlin und Dr. med. Birgit Holfelder stellen das Stimulationszentrum im Interview vor.

Warum haben Sie das Stimulationszentrum aufgebaut?

Prof. Dr. med. Thomas Rechlin: Mit dem Namen „Stimulationszentrum“ wollen wir deutlich machen, dass es wirksame Alternativen zur medikamentösen Behandlung gibt. Außerdem war es unser Wunsch, die ganze Bandbreite an Stimulationsverfahren anzubieten. Patienten, die sich vor der Elektrokrampftherapie scheuen, können sich dann auch für ein anderes Verfahren entscheiden, das für sie aus medizinischer Sicht in Betracht kommt.

Für welches zum Beispiel?

Magentstimulationsverfahren

Dr. med. Birgit Holfelder: Für die Magnetstimulation, die wir seit 2018 neu anbieten. Dieses Verfahren eignet sich besonders für Patienten mit einer mittelschweren Depression und ist eine Ergänzung zur medikamentösen Behandlung. Die meisten unserer Patienten erleben diese Behandlung als hilfreich und unterstützend.

Rechlin: Ein Vorteil der Magnetstimulation ist, dass sie im Wachzustand durchgeführt werden kann, also ohne Narkose. Die Behandlung dauert etwa 30 Minuten. In dieser Zeit impliziert ein Gerät in festgelegten Abständen elektromagnetische Impulse, die bestimmte Gehirnareale stimulieren oder hemmen. Die Wirksamkeit dieses Verfahrens liegt allerdings weit unterhalb der Elektrokrampftherapie (EKT), die wir bereits seit 2013 am Vitos Klinikum Heppenheim anbieten.

Welche Erfahrung haben Sie in Heppenheim mit der EKT gemacht?

Rechlin: Mittlerweile haben wir mehrere hundert Patienten erfolgreich mit der EKT behandelt. Das spricht sich herum. Zu uns kommen viele Patienten, die sehr gut informiert sind und die EKT gezielt nachfragen.

Welche Patienten sind das?

Holfelder: Das sind sehr schwer kranke Patienten. Die meisten leiden an einer schweren Form von Depression mit wahnhaften Symptomen. Die EKT kommt dann in Frage, wenn die Patienten nicht ausreichend auf die medikamentöse Behandlung ansprechen. Oder wenn sie bereits bei vorangegangenen depressiven Episoden gute Erfahrungen mit der EKT gemacht haben.

Wie sieht eine solche Behandlung aus?

Rechlin: Die EKT findet unter Kurznarkose statt. Bei der Behandlung wird das Gehirn des Patienten mit Stromimpulsen stimuliert, die wenige Sekunden andauern. Dadurch wird für etwa 20 bis 40 Sekunden ein zerebraler Krampfanfall ausgelöst, der höchstwahrscheinlich für die Stimmungsaufhellung verantwortlich ist.

Ab wann stellen die Patienten eine Verbesserung der Krankheitssymptome fest?

Holfelder: Das ist unterschiedlich. Manche spüren bereits nach einer Therapieeinheit eine Besserung, andere nach vier oder sechs Einheiten. Die Patienten sind in der Regel stationär bei uns aufgenommen und erhalten die Therapie zweimal wöchentlich. Insgesamt finden meist zehn bis zwölf Einzelbehandlungen statt. Manchmal führen wir die Behandlung auch nach der Entlassung des Patienten nochmals durch, um die Nachhaltigkeit der Behandlung zu gewährleisten und einem Rückfall vorzubeugen.

Welche Vorteile hat die EKT im Vergleich zu anderen Behandlungsverfahren?

Rechlin: Ich führe seit mehr als 30 Jahren EKT-Behandlungen durch und stehe voll und ganz dahinter. Es ist das erfolgreichste Stimulationsverfahren in der Psychiatrie und besitzt eine hohe Effektivität. Mindestens 70 Prozent der Patienten mit schweren Depressionen sprechen auf die Behandlung an. Selbst Patienten mit einer therapieresistenten Depression können wir damit gut behandeln. Außerdem ist es ein sehr sicheres Verfahren – sicherer als die medikamentöse Behandlung, bei der es beispielsweise auch zu Überdosierungen und gefährlichen Interaktionen kommen kann. Was viele Patienten nicht wissen: Die EKT hat sehr wenige Nebenwirkungen.

Wie können die aussehen?

Rechlin: Es kann zu vorübergehenden Störungen des Kurzzeitgedächtnisses und der Sprache kommen. Das ist für die betreffenden Patienten eine irritierende Erfahrung.

Wie begegnen Sie den Vorbehalten, die es in Teilen der Öffentlichkeit gegenüber der EKT gibt?

Rechlin: Das Bild, das es in der Öffentlichkeit von der EKT gibt, hat sich inzwischen verändert. Ich halte viele Vorträge zu diesem Thema und werde kaum mit kritischen Rückmeldungen konfrontiert. Die Patienten sind gut informiert und aufgeklärt. Sie wissen, dass es mit der EKT eine alternative Methode gibt, die ihnen wirksam helfen kann.

Stimulationszentrum
Im Stimulationszentrum bietet das Vitos Klinikum Heppenheim seit 2018 verschiedene neurobiologisch fundierte Stimulationsverfahren an. Das sind Behandlungsverfahren, die bestimmte Hirnregionen stimulieren. Das Angebot richtet sich unter anderem an Patienten mit einer akuten, schweren oder chronischen Depression oder Schizophrenie. Folgende Behandlungsverfahren werden angeboten:

 

Zu den Personen

Professor Dr. med. Thomas Rechlin ist Facharzt für Psychiatrie und Neurologie sowie Facharzt für Psychosomatische Medizin und Psychotherapie. Seit 2013 ist er Ärztlicher Direktor des Vitos Klinikums Heppenheim.

 

Dr. med. Birgit Holfelder ist stellvertretende Klinikdirektorin der Vitos Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie Heppenheim. Sie ist Fachärztin für Psychiatrie und Psychotherapie und Neurologie.