Teil 2: Innenansichten – Interviews mit Erziehungsstellen

Teil 2: Innenansichten – Interviews mit Erziehungsstellen

Ich arbeite als Sozialarbeiterin seit über 20 Jahren im Fachdienst Erziehungsstellen nun bei Vitos Kalmenhof, vormals LWV. Erziehungsstellen sind Pflegefamilien für besonders entwicklungsbeeinträchtigte Kinder und Jugendliche (SGB VIII § 33,2). Dieses Modell wurde 1972 vom Dezernat Erziehungshilfe mit ins Leben gerufen. Die dahinter stehende Idee war, Pädagogen, die in einer beruflichen Auszeit sind, als Pflegeeltern für diese Kinder und Jugendlichen zu gewinnen.

Es war die Zeit der sogenannten Heimkampagne der 68er Studentenbewegung, die letztlich zu einem differenzierteren Jugendhilfeangebot geführt hat. Die Grundideen der LWV-Erziehungsstellen wurden vielfältig aufgegriffen und weiterentwickelt, sodass es heute das Jugendhilfeangebot Erziehungsstellen in unterschiedlicher Ausprägung bei den verschiedenen Trägern bundesweit gibt.

Meine Fragestellungen

In meiner Beratungsarbeit mit Erziehungsstellen begleite ich die Familien über sehr lange Zeiträume. Bei den meisten Erziehungsstellenmaßnahmen entsteht nach vielfältigen Turbulenzen nach einiger Zeit ein gutes Miteinander aller Beteiligten. So ist der Boden bereitet, auf dem sich die Kinder und Jugendlichen positiv entwickeln können.

In den Phasen der heftigen und oft auch langwierigen Auseinandersetzungen habe ich mich oft gefragt, was die Familien motiviert, es immer und noch einmal mit den Kindern und den Herkunftsfamilien zu probieren, geduldig den einmal beschrittenen Weg weiter zu gehen. Als Beispiele für diese schwierigen Zeiten seien angefügt: Tagelange, intensive Auseinandersetzung über das Klauen, obwohl allen Beteiligten klar ist, wer das Geld genommen hat oder monatelange Auseinandersetzung mit entsprechender Abwertung der Erziehungsstelle darüber, dass ein Jugendlicher zurück zu seiner Mutter möchte, obwohl klar ist, dass die Rückkehroption nicht ernst gemeint ist oder jahrelanges Hinnehmen von Abwehrreaktionen eines bindungsgestörten Kleinkindes in der Öffentlichkeit. All dies sind Verhaltensweisen, die den Biografien der Kinder und Jugendlichen geschuldet sind. Bis die neuen korrigierenden Erfahrungen tragfähig werden, werden sie immer wieder infrage gestellt.

SPRK-KA15012913550Vor dem Hintergrund dieser beruflichen Erfahrungen habe ich die Interviews mit Erziehungsstellen geführt und in dem Buch Innenansichten dargelegt. Diese praxisnahen Einblicke wollte ich vor allem den Bewerberfamilien zur Verfügung stellen.

Mir ging es um die Beschreibung der Belastungen aber auch der schönen Seiten dieser Aufgabe, mit denen die Familien konfrontiert sind. Und mein Interesse galt dem, was das Tragende für jeden Einzelnen ist.

Liebe allein genügt nicht

– aber sie gehört dazu, professionell wird sie Bindung genannt. Um  als Erziehungsstelle den Anforderungen eines Pflegekindes, das als „besonders entwicklungsbeeinträchtigt“ beschrieben wird, gerecht werden zu können, bedarf es einer pädagogischen Ausbildung und der Bereitschaft, das eigene Familiensystem für die MitarbeiterInnen des Fachdienstes und des Jugendamtes zu öffnen, vielleicht kommt monatlich ein Vormund in die Familie oder die Frühförderung, vielleicht findet der Besuchskontakt der Herkunftsfamilie im Haushalt der Erziehungsstelle statt. Ferner bedarf es der Bereitschaft, das eigene Handeln kritisch zu hinterfragen. Lebenserfahrung, Offenheit, Toleranz, Freude am Zusammensein mit Kindern und Jugendlichen, Klarheit, Struktur und Humor bilden die Grundlage für das Gelingen dieser ganzheitlich orientierten Jugendhilfemaßnahme..

Antworten

Bei den Interviews stellte sich heraus, dass es oftmals biografische Hintergründe gibt für die Motivation, Pflegefamilie zu werden. So war das Aufwachsen in einer Großfamilie, eventuell auch mit Pflegekindern keine Ausnahme. Oder Einzelne waren selbst ein Pflegekind. Andere genießen an der Erziehungsstellenarbeit die nur geringen institutionellen Zwänge bei ihrer pädagogischen Arbeit. Auch die Vereinbarkeit von Familie und Beruf ist eine Motivation. Die konkreten Belastungen im Alltag finden ebenso ihren Raum wie die Darstellung des persönlichen Gewinns und der individuellen Kraftquellen, ohne die dieses Engagement der Einzelnen nicht vorstellbar ist.

Wenn ich Sie auf Innenansichten oder die Arbeit von Erziehungsstellen neugierig gemacht habe, melden Sie sich doch einfach bei mir Tel. 0561 – 22 07 08 – 23.

Weitere Information über Vitos Erziehungsstellen erfahren Sie auf unserer Internetseite oder auch hier: https://blog.vitos.de/allgemein/teil-1-wir-wollen-pflegeeltern-werden-aber-wie

 

Autor/-in
Ursula Günther, Diplom Sozialarbeiterin und Sozialpädagogin