Traumafolgestörungen behandeln, als Weg raus aus der Sucht
Seit über 50 Jahren bietet das Waldkrankenhaus Köppern die qualifizierte Entgiftung bei stoffgebundener Abhängigkeit an und unterstützt damit Menschen mit Abhängigkeitserkrankungen auf ihrem Weg raus aus der Sucht. Im Jahr 2021 haben wir unser suchtmedizinisches Angebot um das Therapieprogramm „Trauma und Sucht“ erweitert.
Ein speziell ausgebildetes, multiprofessionelles Therapeutenteam behandelt Patientinnen und Patienten die zeitgleich sowohl unter einer Abhängigkeitserkrankung als auch an einer Traumafolgestörung leiden. Ziel dieser in Deutschland noch recht jungen Therapierichtung ist es, Traumafolgestörungen zu behandeln, um langfristig auch den Konsum aufgeben zu können. Vitos schließt mit diesem Angebot eine Versorgungslücke und trägt damit der wachsenden Bedeutung von komorbiden psychiatrischen Störungen in der Suchtkrankenbehandlung Rechnung. Eine Traumatisierung gilt als gravierender Risikofaktor für die Entwicklung einer späteren Suchterkrankung.
Wir haben dazu mit Zeynep Yüksek Wolfschütz gesprochen. Sie ist Fachärztin für Neurologie, Psychiatrie und Psychotherapie und Ärztliche Leitung Station 2 und 3 des Waldkrankenhauses.
Wie hängen Psychotrauma und Substanzabhängigkeit zusammen?
Zeynep Yüksek Wolfschütz: Wir müssen alle mit negativen Gefühlen und Gedanken umgehen können. Dies können wir entweder auf einem gesunden Weg machen, sodass daraus keine Krankheit entsteht. Oder, wir können vermeiden, verschieben, ständig ohne Ergebnis darüber grübeln oder dämpfen und unterdrücken wollen. Diese Verhaltensweisen nennen wir dysfunktional. Wenn diese unangenehmen Gefühle wie Angst, Hilflosigkeit oder Misstrauen in Folge einer Traumatisierung entstehen und wenn der Mensch noch nicht in der Lage ist, damit alleine klar zu kommen, neigt er eher zu den „ungesunden“ Verhaltensweisen. Die süchtig machenden Substanzen helfen dem Betroffenen dabei, negative Gefühle und Gedanken zu unterdrücken oder zu dämpfen.
Sind Menschen, die etwas traumatisches erlebt haben, anfälliger dafür, eine Sucht zu entwickeln?
Zeynep Yüksek Wolfschütz: Nicht jeder Mensch, der etwas belastendes erlebt hat, wird krank oder suchtkrank. Wenn die traumatischen Erlebnisse jedoch zu einer Krankheit, wie zum Beispiel einer Posttraumatischen Belastungsstörung, führen, neigen die Menschen tatsächlich eher zu Suchterkrankungen. Der Konsum ist dabei meist früher, die Subtanzen „härter“ und der Verlauf schwerer als bei Personen, die in ihrer Vergangenheit keine traumatischen Erfahrungen gemacht haben. Den Patienten und Patientinnen, die wir behandeln, haben meist traumatisches in ihrer Kindheit erlebt.
Gibt es bestimmte Süchte, die besonders häufig als Folge eines traumatischen Erlebnisses auftreten?
Zeynep Yüksek Wolfschütz: Da es meist um „Dämpfung“ der Emotionen geht, neigen die Patienten und Patientinnen zu sedierenden, angstlösenden Mitteln. Leicht verfügbar sind Alkohol, Medikamente oder THC.
Im Suchtbereich haben wir zudem einen unglücklichen Kreislauf zwischen Sucht, Aufmerksamkeits-Defizit-Hyperaktivitäts-Störung (ADHS) und Trauma. Wer traumatisiert ist, neigt eher dazu ADHS oder eine Sucht zu entwickeln. Wer ADHS hat, neigt zu Sucht und Re-Traumatisierung, vor allem, wenn die ADHS unbehandelt ist. Die Patientinnen und Patienten, die eine unbehandelte ADHS haben, neigen eher zu Mitteln wie Amphetamine oder Kokain, um im Alltag funktionieren zu können.
Sprechen traumatisierte Suchtpatient/-innen auf die gleichen Behandlungsmethoden an, wie Suchtpatient/-innen ohne Trauma?
Zeynep Yüksek Wolfschütz: Die Patientinnen und Patienten haben die Möglichkeit, einen stationären körperlichen Entzug, eine qualifizierte Entzugsbehandlung oder eine Entwöhnungsbehandlung in Form einer Langzeittherapie zu machen. Viele Patienten werden ambulant sozial engmaschig betreut oder haben durch die Substitution, also die Behandlung mit Ersatzstoffen, regelmäßigen Kontakt zum medizinischen Personal. Bei den traumatisierten Patienten und Patientinnen merken wir Helfenden jedoch, dass dieses Vorgehen oft nicht zum Erfolg führt. Die Betroffenen haben weiterhin Ängste, leiden an Schlaflosigkeit. Es kommt häufig zu Rückfällen in die Sucht. Aktuell besteht also eine Lücke im Angebot und die traumatisierten Suchtpatienten bekommen kein für sie passendes Behandlungsangebot.
Welche Behandlungsansätze gibt es, die diesen Menschen helfen können?
Zeynep Yüksek Wolfschütz: Patientinnen und Patienten mit Traumafolgestörungen bieten wir ein Intervallprogramm an. Jede einzelne Behandlung dauert circa sechs bis acht Wochen. Der Abstand zwischen den einzelnen Intervallen beträgt zwölf Wochen. In den ersten zwei Intervallen steht die Stabilisierung im Vordergrund. Im letzten Intervall wenden wir uns der traumafokussierten Behandlung zu. Als Methode unserer Wahl haben wir uns viel mit der Imagery Rescripting and Reprocessing Therapy (IRRT) auseinandergesetzt. IRRT ist eine Behandlungsmethode, die entwickelt wurde, um dem Betroffenen zu helfen, seine belastenden Bilder zu verarbeiten. Das können Traumata, Ängste oder Trauerreaktionen sein. Wir arbeiten dabei in der Imagination. Knapp erklärt bedeutet das, dass der Patient sich die belastende Szene vor seinem inneren Auge bildlich vorstellt und erneut durchlebt. Am Anfang schildert der Patient die gesamte Szene von Beginn bis zum Ende, so wie er sie in Erinnerung hat. Dann gehen wir die Episode gemeinsam noch einmal durch, verändern aber diesmal das „Drehbuch“.
Wie weit sind wir da bei Vitos?
Zeynep Yüksek Wolfschütz: Die Kolleginnen und Kollegen in der Klinik arbeiten schon sehr lange an der Vorbereitung. Die „Trauma-Sucht“-Station gibt es aber in der jetzigen Form erst seit Oktober 2021. Die Kolleginnen und Kollegen auf der Station haben jahrelange Erfahrung mit Suchterkrankten. Trotzdem hatten wir eine gewisse Übergangsphase, in der wir uns gemeinsam überlegen mussten, welche Methoden, Regeln und Strukturen den besten Behandlungserfolg versprechen. Deswegen machen wir weiterhin regelmäßige interdisziplinäre Konzeptbesprechungen.
Mittlerweile haben wir einen vollen Wochenplan mit psychotherapeutischen Einzel und Gruppengesprächen, Ergo-, Kunst, Musik- und Bewegungstherapie. Dazu Lauf-Gruppe, Akupunktur, Entspannungsverfahre wie autogenes Training, progressive Muskelentspannung, Einzel Skill-Training, Achtsamkeitsübungen, Aromatherapie und eine Koch- und Back-Gruppe.
Wer kann sich behandeln lassen?
Zeynep Yüksek Wolfschütz: Wir haben aktuell 14 Plätze. Geplant sind sieben Plätze für Traumafolgestörungen und sieben für andere psychiatrische Erkrankungen, die auch als Ursache der Fortführung des Konsums in Frage kommen könnten. Das sind beispielsweise Depressive Störungen. Wichtig ist, dass der Patient aktiv an der Behandlung mitwirkt. Dass er etwas verändern will und sich einbringt. Vorab brauchen wir Informationen zu bisherigem Verlauf und zur Behandlung. Deswegen haben wir einen eigenen Aufnahmebogen, den die Patientinnen und Patienten im Vorfeld ausfüllen müssen. Eine ärztlich oder psychotherapeutische Anordnung der Behandlung ist ebenso wichtig. Weiterführende Informationen finden Interessierte auf unserer Website.
Zu unserem Suchthilfezentrum gehören noch die Station 1, Entgiftung von legalen Substanzen, und Station 2, Entgiftung von illegalen Substanze. Das heißt, wenn die Patientinnen und Patienten vorher eine qualifizierte Entzugsbehandlung brauchen, können wir dies bereits mit den anderen Aufnahmekoordinatoren der Stationen besprechen und planen.
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