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Unterscheiden sich Depressionen bei Männern und Frauen?

Frauen suchen Hilfe, Männer flüchten sich in den Suizid?

Ärzte stellen bei Frauen doppelt so häufig Depressionen fest wie bei Männern. Im Gegensatz zu Frauen, äußert sich eine „Männer“-Depression oft durch Wut und endet häufiger im Suizid. Woran das liegt und ob Depressionen bei Frauen nur schneller erkannt werden, ist immer noch umstritten.

Sind Frauen häufiger von Depressionen betroffen als Männer?

Laut der Stiftung Deutsche Depressionshilfe erkranken jährlich rund 5,3 Millionen Menschen in Deutschland an einer Depression. Etwa jede vierte Frau und jeder achte Mann ist im Laufe des Lebens von einer Depression betroffen. Bei Frauen wird die seelische Erkrankung also 2- bis 3-mal so häufig wie bei Männer diagnostiziert.1 Eine häufig von Experten geäußerte Vermutung für diesen Unterschied ist, dass Depressionen bei Frauen schneller erkannt werden. Frauen sprechen eher über ihre Ängste und Stimmungsschwankungen, berichten von Antriebslosigkeit und trüber Stimmung und werden daher von Ärzten schneller als depressiv eingeordnet.

Herkömmliches Rollenbild des Mannes: Ich brauche keine Hilfe!

Auch beim Thema Depressionen scheinen die klassischen Rollenbilder immer noch zuzutreffen. Männer, die in einem traditionellen Bild von Männlichkeit gefangen sind, müssen nach eigener Wahrnehmung stark sein, ein Fels in der Brandung. Ihre Sorgen verschweigen sie. Sie brauchen keine medizinische Hilfe, vor allem keine psychologische.

Wenn Familie und Freunde sich Sorgen machen und darauf drängen, dass der Betroffene einen Arzt aufsuchen sollte, werden diese Bedenken ignoriert oder als lächerlich abgetan. Männer, denen es nicht gut geht, verdrängen die Problematik so lange wie möglich. Statt Hilfe zu suchen, wird die bedrohte Männlichkeit mit (selbst-)zerstörerischen Strategien aufrechterhalten: Alkoholmissbrauch, Ausagieren, Gewalt, Suizid.2

Oft gehen sie erst dann zum Arzt, wenn sie ihren Erschöpfungszustand, die gedrückte Stimmung, Schlafstörungen, Ängste oder Panikattacken nicht mehr ignorieren können. Hinzu kommt, dass sie unter körperlichen Problemen wie Atemnot, Herzrasen, Rückenschmerzen, Schwindel, Beklemmungen, Blutdruck oder chronischem Tinnitus leiden. Diese Symptome überlagern die ursächliche, seelische Krankheit. Bei Männer scheint sich die Psyche häufiger über ihren Körper bemerkbar zu machen. Die Vielzahl der körperlichen Symptome erschwert die Diagnose „Depression“ oftmals erheblich.3

Warum werden Menschen depressiv?

Mögliche Ursachen für eine Depression gibt es viele. Die seelische Erkrankung kann grundsätzlich jeden treffen: die Frohnatur genauso wie den Grübler. Das Zusammenspiel oder die Wechselwirkung von biologischen Faktoren (Hirnstoffwechselstörungen) und psychosozialen Situationen (Jobverlust, private Trennung oder Tod des Partners) spielt eine entscheidende Rolle. Aber auch konkrete Überforderungen und die unzureichende Bewältigung von Stress können Auslöser sein. Wissenschaftlich gesichert ist zudem die Erkenntnis, dass auch genetische Faktoren einen Einfluss haben.4

Nicht nur die Symptome können sich bei Männern und Frauen unterscheiden, auch der Auslöser der seelischen Krise ist bei Männern häufig ein anderer als bei Frauen. Männer orientieren sich evolutionsbiologisch und sozialisationsbedingt am sozialen Status. Mangelnde Wertschätzung, niedrigere Entlohnung oder gar der Jobverlust gefährden den sozialen Status. Sie reagieren auf diese Art von Stress mit dem bekannten Kampf oder Flucht-Verhalten („fight or flight“). Versagensängste, Überforderung und Überengagement stehen bei Männern stärker im Vordergrund.5 Die Psychotherapie ist eine mögliche Behandlung, um die eigenen Ansprüche zu hinterfragen. Bin ich als Mensch weniger wert, wenn ich weniger leiste?

Frauen, die sich stark über ihren Beruf definieren, Selbstbewusstsein aus ihren Höchstleistungen ziehen und die Anerkennung ihrer Leistungen genießen, sind ebenfalls nicht gefeit vor arbeitsplatzbezogenen Depressionen. Hinzu kommt für viele von ihnen eine Mehrfachbelastung durch Beruf, Haushalt und Kindererziehung oder Pflege von Angehörigen. Die Teilnahme am Erwerbsleben ist zwar prinzipiell gesundheitsförderlich, aber immer noch mit Benachteiligung gegenüber Männern verbunden. Durch die Veränderung der Familienstrukturen nehmen die Zahlen alleinerziehender Mütter (87 Prozent der Alleinerziehenden) weiterhin zu. Auch die Betreuung pflegebedürftiger Angehöriger wird meistens von Frauen übernommen.6

Grundsätzlich hat man aber festgestellt, dass bei Frauen häufig Unstimmigkeiten im familiären Umfeld oder in der Partnerschaft Auslöser einer Depression sind. Der Grund: Frauen sind evolutionsbiologisch und sozialisationsbedingt zwischenmenschlich orientiert. Deshalb sind sie bedeutend anfälliger für Stress, der von engen sozialen Beziehungen kommt und weisen diesbezüglich stärkere psychobiologische Stressreaktionen auf als Männer.7

Depressionsrisiko Wechseljahre und Andropause

Bei Frauen zwischen 45 und 55 können auch hormonelle Schwankungen eine Rolle spielen. Der gravierende Umstellungsprozess des Körpers während der Wechseljahre führt auch zu Veränderungen des Haushalts von wichtigen Botenstoffen, wie Serotonin und Noradrenalin, im zentralen Nervensystem. Allein das kann zu erheblichen seelischen Beschwerden führen.

Auch der Hormonspiegel der Männer verändert sich ab dem 40. Lebensjahr. Diese hormonelle Umstellungsphase wird auch als Andropause bezeichnet. Es kommt zu einer gedrosselten Produktion des Sexualhormons Testosteron. In der Regel fallen die körperlichen und psychischen Folgen der hormonellen Umstellung nicht so gravierend aus wie bei Frauen. Neben nachlassendem Erektionsvermögen leiden nicht wenige Männer in der Andropause unter Schweißausbrüchen und Schlafstörungen. Sie klagen über eine verringerte körperliche Leistungsfähigkeit und geistige Spannkraft, weniger Muskeln, Libidoverlust oder vermehrte Müdigkeit. Auch psychische Beschwerden, wie Gefühlsschwankungen und höhere Reizbarkeit, können verstärkt auftreten. Oft leidet auch das Selbstwertgefühl erheblich.

Werden Depressionen bei Frauen und Männer unterschiedliche behandelt?

Die Therapie richtet sich zunächst nach dem Schweregrad der Depression. Wichtig ist auch zu wissen, ob der Patient oder die Patientin zum ersten Mal an dieser psychischen Störung erkrankt ist oder bereits wiederholt betroffen ist. Leichte Depressionen können mit einer Psychotherapie behandelt werden. Die Behandlung wird bei mittelgradigen und vor allem bei schweren Depressionen durch die Gabe von Antidepressiva ergänzt, unabhängig vom Geschlecht. Der Vorteil: Die Dauer der Depression wird verkürzt, ihre Intensität, die für die Betroffenen oft kaum auszuhalten ist, wird gemildert. In manchen Fällen wird unterstützend eine Lichttherapie angeordnet.

Depressionen sind grundsätzlich gut behandelbar. Was Betroffene sowie deren Angehörige und Freunde bedenken sollten: Je früher die Behandlung einsetzt, desto leichter ist es, befriedigende Ergebnisse zu erzielen. Die Behandlung von Depressionen gehört in die Hand von Fachärzten, sowohl bei Frauen als auch bei Männern. Eine Überweisung erhalten sie vom Hausarzt. Sollte kein zeitnaher Termin bei einem niedergelassenen Psychiater möglich sein, können sich die Patienten auch direkt an die Ambulanz einer psychiatrischen oder psychosomatischen Klinik wenden, wie zum Beispiel die Vitos Klinik für Psychosomatik Eltville [1].

Verweise:
1
Jacobi et al. (2016). Erratum zu: Psychische Störungen in der Allgemeinbevölkerung. Studie zur Gesundheit Erwachsener in Deutschland und ihr Zusatzmodul „Psychische Gesundheit“ (DEGS1-MH). Nervenarzt, 87,88–90.

2 Hausmann, Armand & Rutz, Wolfgang & Meise, Ullrich. (2008). Frauen suchen Hilfe – Männer sterben! Ist die Depression wirklich weiblich?. Neuropsychiatrie. 10.5414/NEPBand22043.

3,5,6,7 Möller-Leimkühler, Anne. (2008). Geschlechtsspezifische Unterschiede bei Depression und Suizidalität. Journal für Neurologie, Neurochirurgie und Psychiatrie. 9.

4 Schaumburg, Svenja & Schneider, Silvia & Margraf, Jürgen & Kumsta, Robert & Wannemueller, André. (2020). Genetik und Epigenetik in der Psychotherapie von Depression und Angststörungen. Verhaltenstherapie. 1-10. 10.1159/000505440.

Bildquelle: Vitos