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„Vereinbarkeit von Beruf und Familie ist kein weibliches Thema“

Interview mit Dr. Silke Rusch, Führungskraft und Mutter von vier Kindern

„Wenn Du Dein Kind fremdbetreuen lässt, um Karriere zu machen, warum bekommst Du dann überhaupt eins?“ Diesen und ähnliche Sprüche bekommen noch immer viele berufstätige Mütter zu hören. „Blödsinn!“ sagt Dr. Silke Rusch. „Vereinbarkeit von Beruf und Familie ist kein weibliches Thema, sondern eines von Frauen und Männern gleichermaßen. In der Politik, der Gesellschaft und in den Unternehmen muss ein offenes Mindset bestehen. Es muss ein Wille vorhanden sein, Eltern Rahmenbedingungen zu schaffen, in denen sie sich optimal einbringen können.“

Solch ein Mindset hat Dr. Silke Rusch im Vitos Klinikum Herborn gefunden. Im Interview spricht sie über das Thema Female Leadership und darüber, was wirklich nötig ist, um Beruf und Familie in Einklang zu bringen.

Dr. Silke Rusch ist am Vitos Klinikum Herborn als therapeutische Leitung in der Erwachsenenpsychiatrie und der Psychosomatik tätig. Als Führungskraft verantwortet sie die Spezialtherapien und die Psychotherapie. Ihr Team umfasst ca. 40 Mitarbeiter/-innen. Die psychologische Psychotherapeutin ist 40 Jahre alt und hat vier Kinder.

Kerstin Born: Wie war Ihr Werdegang? Wie sind Sie zu Vitos gekommen?

Dr. Silke Rusch: Ich habe Psychologie studiert und direkt nach meinem Diplom meinen ersten Sohn bekommen. Bereits vor seiner Geburt erhielt ich ein Promotionsstipendium und begann meine Arbeit als er etwa zehn Monate alt war. Während meiner Promotionsphase 2010 bis 2012 sind meine drei jüngsten Kinder zur Welt gekommen. 2013 bin ich zu Vitos gekommen, eigentlich nur, um mein Psychiatriejahr zu absolvieren. Dann hat es mir jedoch so gut gefallen, dass ich geblieben bin. Ich habe also vor acht Jahren als Psychotherapeutin in Ausbildung hier angefangen und arbeite nun mittlerweile seit sechs Jahren im Leitungsteam der Klinik.

Kerstin Born: Was bedarf es, um Beruf und Familie zu vereinbaren? Wie konnten Sie sich privat wie beruflich gleichermaßen verwirklichen?

Dr. Silke Rusch: Zunächst einmal ist das Thema Vereinbarkeit kein weibliches Thema, sondern ein Thema von Frauen und Männern gleichermaßen. Das heißt, es bedarf zu allererst einer gleichberechtigten Partnerschaft. Die Karrieren beider Partner müssen als gleich wichtig angesehen werden. Ich versuche, mich da mit meinem Mann gut abzustimmen, was für wen in welcher Phase wichtig ist.

Der zweite Faktor ist aber natürlich das Unternehmen, in dem Sie arbeiten. Im Unternehmen muss ein offenes Mindset bestehen, das junge Mütter nicht zu Arbeitnehmerinnen zweiter Güte macht. Es muss ein Wille vorhanden sein, Angestellten mit Kindern Rahmenbedingungen zu schaffen, in denen sie sich optimal einbringen können.

Drittens ist die Politik in der Pflicht, jungen Eltern und eben besonders Frauen, Erwerbsarbeit auch reell zu ermöglichen, durch genügend und bezahlbare Betreuungsplätze, durch kluge Elternzeitmodelle, durch Gesetzgebung zum Gender Pay Gap und so weiter.

Last but not least würde eine Kultur der Vereinbarkeit aber auch einiges erleichtern. Wir leben in Deutschland noch immer gefangen in sehr antiquierten Rollenbildern, in denen berufstätige Frauen per se Rabenmütter sind. Eine solche Wertung in den Köpfen vieler Menschen führt dazu, dass noch immer viele Frauen denken, eine Entscheidung für die Karriere sei gleichbedeutend mit einer Entscheidung gegen das Kind.

Kerstin Born: Wie hat Vitos Sie dabei unterstützt?

Dr. Silke Rusch: Ich habe hier bei Vitos das Mindset vorgefunden, von dem ich eben gesprochen habe: ein Vertrauen in meine Kompetenzen und die Wertschätzung meines beruflichen Engagements. Vielen Frauen werden diese Dinge in anderen Unternehmen per se abgesprochen, wenn sie Mütter sind.

Kerstin Born: Was tut Vitos konkret für die Mitarbeitenden, um sie bei der Vereinbarung von Beruf und Familie zu stärken?

 Dr. Silke Rusch: Flexible Arbeitsmöglichkeiten sind da ein ganz wichtiges Element. Als Mutter von vier Kindern brauche ich diese Flexibilität. Da war Vitos glücklicherweise schon lange vor der Corona-Pandemie ein sehr moderner Arbeitgeber, der es uns Führungskräften mit Kindern leichtgemacht hat, gute Arbeit abzuliefern. Das betrifft sowohl Arbeitszeiten als auch mobiles Arbeiten.

Weiterhin zu nennen, ist das Vitos Kontakthalteprogramm für Menschen in beruflichen Auszeiten.

Außerdem haben wir zum Beispiel während der Pandemie sehr unbürokratisch eine Notbetreuung für Kinder in den Räumen der Klinik angeboten.

Nicht zuletzt muss man hier auch die Personalpolitik erwähnen. Wir versuchen, wenn es irgend möglich ist, jungen Menschen und eben auch Eltern, unbefristete Arbeitsverhältnisse anzubieten. Wir sehen heute ja zur Genüge Unternehmen, oder sogar Länder und Kommunen, die junge Menschen von einer Befristung in die nächste schicken – da können sie abends nicht ruhig schlafen, wenn sie Kinder haben oder welche unterwegs sind!

Führung in Teilzeit ist bei uns kein Ausnahmefall. Wenn Mütter oder Väter für einige Zeit ihre Erwerbsarbeit reduzieren möchten, wird das bei Vitos nicht als Ausschlusskriterium für eine Führungskarriere gesehen. Befristete Teilzeitmöglichkeiten helfen, besonders fordernde Lebensphasen zu überbrücken.

Kerstin Born: Was würden Sie Frauen im Hinblick auf Female Leadership raten?

Dr. Silke Rusch: Ich beschäftige mich auch nebenberuflich viel mit diesem Thema, und rate ihnen deshalb erstens, Eigeninitiative zu zeigen und zweitens, Vertrauen in die eigenen Kompetenzen zu haben. Sie sollten an ihren Arbeitsplätzen mit den jeweiligen Führungskräften ins Gespräch gehen und Karriereambitionen offen darlegen.

Werden Sie selbst aktiv, warten Sie nicht, bis man Sie „entdeckt“! Und außerdem: trauen Sie sich das zu! Frauen sind heute hochqualifiziert. Sie besitzen alle Soft Skills, die nötig sind, um gute Führungskräfte zu sein. Es gibt also keinen objektiven Grund, Angst vor Verantwortung zu haben. Suchen Sie sich Unternehmen aus, die Frauen fördern, anstatt sie kleinzuhalten. Das sehen Sie am besten daran, dass es entsprechende Role Models gibt, also dort schon Frauen in Führungspositionen arbeiten.

Kerstin Born: Was wünschen Sie sich für die Zukunft?

 Dr. Silke Rusch: Dass sich Unternehmenskulturen in Bezug auf Diversität ebenso verändern, wie sich Tätigkeitsprofile verändert haben. Das, was wir als Leader/-innen heute zu leisten haben, ist maßgeblich anders als noch vor 50 Jahren. In vielen Unternehmen hat man aber das Gefühl, dass Hierarchien, Arbeitszeitmodelle oder die Aufteilung von Macht noch genauso läuft, wie damals. Das ist nicht zeitgemäß und für Frauen besonders fatal, weil sie in solchen Konstellationen überhaupt keine Chance bekommen, ihre Kompetenzen einzubringen. Was viele nicht wissen: Studien belegen, dass Firmenkulturen und auch wirtschaftliche Bilanzen positiver werden, wenn Frauen in diesen Firmen Führungsverantwortung tragen. Summa summarum wünsche ich mir also, dass endlich alle Unternehmen Gender-Diversität als Wettbewerbsvorteil erkennen.

Wenn ich noch einen zweiten, ganz persönlichen Wunsch losschicken darf, ist es der, dass das Wort „Rabenmutter“ nicht mehr im Zusammenhang mit Frauenkarrieren genannt wird.