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Warum haben Menschen Angst?

10 bis 20 Prozent der Deutschen leiden irgendwann im Laufe ihres Lebens unter Angststörungen. Diese unpräzisen Angaben gründen auch darauf, dass die Erkrankung von Betroffenen selbst oft nicht als Erkrankung erkannt wird und sie somit keine professionelle Hilfe in Anspruch nehmen. Dabei gibt es für die Vielzahl von Angststörungen gute Behandlungsmöglichkeiten.

Angst ist eine natürliche Reaktion der Seele und des Körpers und kann lebensrettend sein. Die Angst ist im Gehirn und im Nervensystem verankert, entwickelt sich aber erst im Verlauf der Kindheit und Jugend. Dass Straßenverkehr gefährlich ist oder eine heiße Herdplatte beim Anfassen Schmerzen verursacht, erlernen wir. Diese Art der normalen Angst schützt uns vor Gefahren.

Angstverhalten

Eine Angstreaktion muss nicht immer sofort, sondern kann im Nachhinein einer Situation auftreten. Ähnlich wie bei Schmerzen können die Reaktionen gedämpft und erst später empfunden werden.

Es gibt die unbestimmte, diffuse Angst. Diese tritt zum Beispiel auf, wenn wir durch einen dunklen Wald laufen und eine Angst verspüren, die eigentlich keinen nachvollziehbaren Anlass hat.

Bei einer Realangst handelt es sich um eine psychosoziobiologische Überlebensreaktion. Steht man beispielsweise einem gefährlichen Tier gegenüber, muss man schnell entscheiden, ob man kämpft oder flüchtet. Es handelt sich hier um eine normale Angst, die in allen Kulturen universell ist.

Wir werden als Menschen in unsere Existenz geworfen. Im Gegensatz zu Tieren werden wir unfertig und relativ hilflos geboren. Wir sind eine lange Zeit schutzbedürftig und verfügen nur über wenig Instinktschutz. Neben Walen und Delfinen sind wir vermutlich die einzige Spezies, die ein Bewusstsein von Sterblichkeit und Vergänglichkeit hat. Daher empfinden wir auch Existenzängste: „Was soll aus mir werden?“ – „Was soll ich tun?“ – „Wovon soll ich leben?“ Existenzängste tauchen als Krankheit nicht eigenständig auf, sondern deutlich verstärkt zusammen mit seelischen Erkrankungen. Das bedeutet, dass jemand nicht krank sein muss, weil er sich Sorgen um die Zukunft macht. Im gemeinsamen Auftreten mit einer anderen Erkrankung können sie sich jedoch zu einer Krankheit verselbstständigen.

Phobien sind eine Untergruppe von Ängsten. Unter die spezifische Phobie fällt zum Beispiel die Angst vor Spinnen. Früher waren viele Tiere wirklich gefährlich und konnten einem Menschen Schaden zufügen. Heute ist dies in den überwiegenden Teilen der Welt nicht mehr der Fall. Die Angst im Innern ist jedoch in unterschiedlich starker Ausprägung geblieben.

Eine generalisierte Angsterkrankung erkennt man unter anderem daran, dass durchgehend eine Ängstlichkeit vorliegt. Dieses erhöhte Angstniveau führt dazu, dass Patienten in ihren Vorstellungen katastrophisieren. Teilweise kommen Panikattacken hinzu. Diese schnellen hoch und genauso schnell wieder ab. Generalisierte Angststörungen behandeln wir hier bei Vitos Kurhessen häufig. Ebenso Panikstörungen und soziale Phobien.

Panikattacken kann man sich als sich immer wiederholende Todesangst vorstellen. Dem Patienten wird schwindelig, übel, er hat Schweißausbrüche, beschleunigten Puls und vertiefte Atmung sowie erhöhten Blutdruck. Wenn ein Mensch einmal eine Panikattacke erlebt, muss er nicht behandelt werden. Notwendig wird diese erst bei einem vermehrten Auftreten. Eine Panikattacke kommt scheinbar aus dem Nichts. Daher ist sie auch so schwer (be-)greifbar und kann sich verselbstständigen. Ohne eine Behandlung können Panikattacken zu einer Panikstörung mit Vermeidungsverhalten führen.

Unter soziale Phobien fällt die Angst in der Öffentlichkeit zu sein und dort zu reden. Teilweise haben Betroffene bereits in der Schulzeit diese Probleme.

Ursachen

„Das Leben ist eine Achterbahn.“ Es ist ein stetiges Auf und Ab. Das ist normal. Wir sind in der Lage, das zu meistern. Eine negative Richtung entwickelt sich erst dann, wenn man nicht mehr in die Ausgangs- und Ruhelage zurückfindet. Ein länger anhaltendes Ungleichgewicht kann zu Erkrankungen führen. Dies gilt für körperliche genauso wie für seelische Erkrankungen.

Angststörungen können aus verschiedenen Ursachen resultieren. So gibt es eine Anlagebereitschaft, d. h., dass einige Menschen eine erhöhte Anfälligkeit für Angst haben. Das ist genau wie bei körperlichen Erkrankungen: Der eine isst viel und „ungesund“ und erkrankt nicht. Ein anderer bekommt bei gleichem Verhalten z. B. Diabetes.

Auch Umwelteinflüsse können eine Angststörung auslösen. Faktoren können die Entwicklung, belastende Lebensereignisse, wichtige Lebensabschnitte, das selbstständig werden, ein Verlust oder auch die Verunsicherung aufgrund von Entwurzelung sein.

Gründe für eine Angststörung sind also immer multikausal. Auslöser kann das Erschrecken bei einem Unfall sein. In dem Moment hat der Betroffene Todesangst. Diese kann sich innerhalb von Panikattacken immer wiederholen.

Behandlung – Wissen schützt vor Angst

Innerhalb einer umfassenden Diagnostik wird zu Beginn sichergestellt, dass die Beschwerden des Patienten keine körperliche Ursache haben. So können zum Beispiel nicht erkannte Schilddrüsenerkrankungen zu Angstbeschwerden führen.

Bei der darauffolgenden Anamnese gucken wir uns genau an, seit wann der Patient die Beschwerden hat, wie die Lebensgeschichte ist und ob andere seelische Erkrankungen vorliegen.

Zudem ist es wichtig, die Patienten aufzuklären. Sie werden von ihrer Angst überrascht und sind überfordert. Wir erklären ihnen, wie sich eine Panikattacke äußert, damit sie wissen, womit sie es zu tun haben. Viele Patienten, die zu uns kommen, haben einen langen Weg hinter sich. Kein Arzt konnte körperliche Ursachen finden, denn diese liegen primär ja tatsächlich auch gar nicht vor.

Betroffene Menschen berichten oft, dass ihnen besonders der Kontrollverlust über sich selbst zusetzt. Auch durch Aktivitäten, insbesondere den sportlichen Ausgleich kann diese Kontrolle wieder stabilisiert werden. Bewegung hilft nachweislich bei Depressionen und Ängsten.

In vielen Fällen können wir unseren Patienten schon mit wenigen Gesprächen weiterhelfen. Wenn sie wissen, wie sie die Krankheit einordnen und wie sie damit umgehen müssen, können sie ihre Selbstheilungskräfte wirksam mobilisieren.

Meine Aufgabe ist es also in erster Linie, Selbstheilungskräfte, die jeder Mensch in sich hat, bei den Patienten zu stärken und wieder zu aktivieren. Wenn man jedoch nicht weiterkommt und sich die Erkrankung zu verselbstständigen droht, können vor allem Antidepressiva helfen. Wichtig ist es, dass diese Medikamente nicht abhängig und auch nicht müde machen.

Bei unbehandelten Angststörungen besteht teilweise die Gefahr, dass diese chronisch werden. Daher sollte man wirklich frühzeitig zum Arzt gehen und nicht unnötig warten. Sich zu sagen: „Das geht schon wieder weg“, hilft zwar oft im Leben, weil Zuversicht hilfreich ist, aber nicht immer. Den ersten Schritt zum Hausarzt rate ich jedem, auch um mögliche körperliche Ursachen zu erkennen. Dieser wägt individuell ab und überweist gegebenenfalls auch an einen Facharzt oder psychologischen oder ärztlichen Psychotherapeuten. Die Wartezeiten sind hier leider immer noch sehr lang. Dennoch, lassen Sie sich davon nicht abschrecken.

Zu spät gibt es nicht

Selbst bei einem Menschen, der jahrzehntelang geraucht hat, stellen sich nachweisliche Verbesserungen der Gesundheit ein, sobald er damit aufhört. Genauso verhält es sich auch bei Angststörungen. Selbst nach jahrelangen Beschwerden ist es nicht zu spät, zum Arzt zu gehen. Wir können zu jeder Zeit helfen.

 

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