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Was die Bilder aus den Medien nicht zeigen, ist die psychische Belastung

Zwei Jahre Pandemie auf der neurologischen Intensivstation

Zwei Jahre Pandemie haben viele Vitos Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter an Belastungsgrenzen gebracht. Im zweiten Corona-Winter hat nun auch noch die leicht übertragbare Omikron-Variante zu hohen Krankenständen geführt. Wie haben Kolleginnen und Kollegen die Pandemie erlebt?

Wir haben dazu mit Maren Sehr, pflegerische Stationsleitung der Intensivstation der Vitos Klinik für Neurologie Weilmünster, gesprochen.

Wie geht es Ihnen nach zwei Jahren Pandemie?

Ich denke mir geht es wie den meisten: ich fühle mich erschöpft, zwei Jahre sind eine lange Zeit.

Ich würde es ähnlich wie beim Sport beschreiben:

Ein bisschen wie Triathlon, denn jede Phase der Pandemie hatte eigene Herausforderungen, ähnlich wie die unterschiedlichen Disziplinen. Am Ende tun letztendlich die Beine weh und man will einfach nur noch ankommen, denn zum Stehen bleiben, war der Weg zu hart. Leider gab es kein Training und der Start war im kalten Wasser.

Wie haben Sie und Ihre Kolleg/-innen die Pandemie erlebt?

Wir haben die Pandemie als extrem anstrengend und kräftezehrend erlebt. Die Hygienemaßnahmen sind eine erhebliche Mehrbelastung bei der Arbeit. Fast acht Stunden durchgängig am Tag die Maske tragen und immer unter Vollschutz in isolierten Zimmern zu arbeiten, zehrt an den Kräften. Hinzu kommt die stetige Angst, etwas vergessen zu haben. Habe ich alles an Materialen mitgenommen, um möglichst nicht unnötig die Schleuse zu öffnen oder mir diese von Kollegen an die Schleuse legen zu lassen, die dafür wiederum ihre Arbeit unterbrechen müssen? Habe ich alles beachtet, auch wenn es eine Notfallsituation war und nur wenig Zeit blieb und der Druck hoch war, sodass ich nicht mich und meinen Kollegen in Gefahr bringe und es zu Infektionen kommt? Wurde alle Anordnungen und Anweisungen nach den neusten Beschlüssen berücksichtigt?

Wenn man aus einem der Covid-Isolationszimmer kommt, nachdem man einen Patienten oder eine Patientin vollständig grundversorgt und abschließend auf den Bauch gelagert hat, dann ist man so durchgeschwitzt, dass die Kleidung teilweise vom Schweiß durchnässt ist. Wir haben aber nicht nur einen Covid-Patienten zu versorgen, sondern eine Pflegegruppe. Bei all dieser körperlichen Belastung müssen wir jederzeit konzentriert sein. Denn es gilt, jede Veränderung des Patienten wahrzunehmen und frühzeitig drauf zu reagieren.

Vermutlich haben die meisten durch die Bilder in den Medien diesbezüglich eine gute Vorstellung. Was die Bilder aus den Medien nicht zeigen, ist die psychische Belastung, Rollenkonflikte und ethischer Stress. Niemand ist nur Intensivpflegekraft oder Pflegefachkraft. Wir alle sind auch Eltern, Großeltern, Partner, um nur einige Beispiele zu nennen. Damit gehen zusätzliche Herausforderungen, wie die Versorgung von Kindern und/oder pflegbedürftigen Eltern einher. Wenn der Kindergarten oder die Schule plötzlich zu hat und in den Medien gefordert wird, Großeltern nicht durch Kontakte zu gefährden, dann bringt das berufstätige Eltern in einen Konflikt, und zwar auf unterschiedlichen Ebenen. Sie wollen die Kinder gut versorgen, die Großeltern nicht gefährden, die Kolleginnen und Kollegen nicht im Stich lassen. Homeoffice ist in der Pflege keine Option. Der Weg zur Arbeit und der Dienst werden da schon ohne die Dienstbelastung eine echte Herausforderung. Die Belastungen sind vielfältig und das ist nur ein Beispiel.

Die Begleitung der Patienten war oft noch intensiver und hat emotional deutliche Spuren hinterlassen. Da gab es auch schöne Erlebnisse. Etwa, wenn sich der Zustand eines Patienten, der wochenlang um sein Leben kämpfte, verbesserte und wir ihn von der Intensivstation entlassen konnten. Gleichzeitig gab es Momente, in denen man zutiefst betroffen war, weil es ein Patient nicht geschafft hat, weil er vielleicht nicht viel älter war als man selbst und weil es etwas mit einem macht, wenn man den Reißverschluss eines Leichensackes zuzieht. Wir wollen unsere Patientinnen und Patienten immer bestmöglich versorgen und dann kommen nagende Fragen: Hätte man etwas besser machen können? Wird es vielleicht auch einem mir nahen Angehörigen so gehen? Was ist, wenn ich mich infiziere?

Aber auch ethische Fragen und Konflikte beschäftigen, so zum Beispiel das Besuchsverbot. Gedanken, von denen man sich in einem Lockdown nur schwer ablenken kann, wenn die Möglichkeiten der Psychohygiene selbst im Dienst schwer sind. Denn auch im Dienst sind Kontakte und Kontaktzeiten zu minimieren. Medienberichte, Gespräche alles dreht sich um Corona. Sich dem auch nur kurz zu entziehen, ist kaum möglich. Sich zum Auftanken in ein Stück Normalität zu flüchten, war das, was am meisten gefehlt hat.

Ich bin stolz auf meine Kolleginnen und Kollegen auf meiner Station, aber auch am Standort. Kolleginnen und Kollegen aus allen Bereichen und Funktionen habe in einer völlig ungewissen und beängstigenden Situation mit hohen persönlichen Einschränkungen und Belastungen Hervorragendes geleistet. Kollegen haben aus anderen Bereichen auf die Intensivstation gewechselt und sich schnell mit persönlichem Einsatz eingearbeitet. Andere waren bereit, punktuell die eigene Station zu verlassen und auf der Intensivstation zu helfen, wenn es gebrannt hat. Das ist außergewöhnlich und besonders erwähnenswert. Ohne diese Kollegen hätten wir das so nicht geschafft. Zwischen den Teams der verschiedenen Berufsgruppen aus Pflege, Medizin, Therapie, Reinigung, Auszubildenden und anderen gab es eine wirklich außergewöhnliche gute Zusammenarbeit. Ich glaube, das zeichnet unter anderem den Standort hier in Weilmünster aus.

Dieses Team-Foto entstand noch vor der Pandemie – die Intensivstation der Klinik wurde als besonders angehörigenfreundlich ausgezeichnet

Dieses Team-Foto entstand noch vor der Pandemie – die Intensivstation der Klinik wurde als besonders angehörigenfreundlich ausgezeichnet

 

Wie hat sich Omnikron auf die Arbeit ausgewirkt?

Kamen zu Beginn überwiegend Patienten, die hauptsächlich wegen einer schweren Covid-Infektion auf der Intensivstation behandelt werden mussten, sind es jetzt meistens Patienten, die als Begleiterkrankung Covid haben. Das fordert weiterhin hohe Aufmerksamkeit und ein hohes Maß an Konzentration. Die Infektionszahlen steigen aktuell noch. Jegliche Nachlässigkeit könnte da verehrende Folgen haben. Omnikron ist hoch ansteckend und bei den Inzidenzen wie aktuell ist die Gefahr, sich zu infizieren, so hoch wie noch nie. Was Therapien und Behandlungsmöglichkeiten betrifft, besteht nur noch wenig Unsicherheit. Das entlastet deutlich. Die Monate und Jahre zuvor haben jedoch ihren Preis. Im Vordergrund stehen Erschöpfung und die Sehnsucht nach Normalität. Auch Enttäuschung und Frustration schwingt immer wieder durch. Diese Pandemie hat auf die Schwächen unsers Gesundheitssystems ein Brennglas gelegt. Nach den anfänglichen Reden in der Politik hatten wir die Hoffnung, dass nach nachhaltigen Lösungen gesucht wird. Dass diese schreckliche Krise nicht umsonst ist. Dass sie genutzt wird, um genau hinzusehen. Um die Schwachstellen zu analysieren und um öffentlich darüber zu diskutieren, wo Optimierungen möglich sind und welchen Stellenwert die Sicherstellung der medizinischen und pflegerischen Versorgung hat.