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Zukunftsweisende Behandlungsmethoden

Pharmakologinnen im Klinikalltag in der forensischen Psychiatrie

Welche Wechselwirkung können Medikamente haben? Wieso schlägt ein Medikament bei einem Patienten an und bei einem anderen nicht? Welche neuen Wirkstoffe gibt es? Welche haben sich in der Therapie bewährt?

Dass Pharmakolog/-innen im direkten Klinikalltag von forensischen Psychiatrien tätig sind, ist deutschlandweit bisher einzigartig. Ein Pilotprojekt im Auftrag des Hessischen Ministeriums für Soziales und Integration macht es möglich. Vitos beschäftigt in den Kliniken für forensische Psychiatrie seit April 2020 zwei Pharmakologinnen. Sie tragen dazu bei, die Arzneimittelsicherheit für die Patientinnen und Patienten zu erhöhen. Gleichzeitig unterstützen sie mit ihrem Wissen die behandelnden Ärztinnen und Ärzte bei der medikamentösen Therapie. Knapp zwei Jahre nach dem Start ziehen wir eine durchweg positive Bilanz.

Die Arbeit der beiden Pharmakologinnen in der forensischen Psychiatrie unterscheidet sich von der Arbeit auf einer regulären psychiatrischen Station. Oft sind die Erkrankungen der Patientinnen und Patienten chronisch und nicht heilbar. Das oberste Behandlungsziel im Maßregelvollzug ist es, sie so zu therapieren, dass sie in Zukunft ein straffreies Leben führen können. Die Bevölkerung soll vor erneuten Straftaten geschützt und die Patient/-innen dauerhaft stabilisiert werden.

Auch Jochen B. (Name geändert) litt an einer schweren Erkrankung. Ein Gericht wies ihn 2006 in die forensische Psychiatrie ein. Jochen B. hatte eine schwere paranoide Schizophrenie. Er litt an Wahnvorstellungen, hörte Stimmen, die ihm Handlungen diktieren. Er hatte eine hohe Aggressivität, war schnell reizbar und dabei sehr impulsiv. In einer akuten Krankheitsphase wurde er straffällig. Chronische Schizophrenie ist nicht heilbar, aber potenziell gefährlich – für die Patient/-innen selbst und für andere. Zur Therapie gehören Stressbewältigung, Gesprächstherapie, Psychotherapie oder Sporttherapie. Ohne eine medikamentöse Begleitung lassen sich die Symptome aber nicht lindern und Gewaltausbrüche nicht bewältigen. Ziel war es, den Patienten dauerhaft zu stabilisieren.

Apotheker/-innen können schneller mögliche individuelle Unverträglichkeiten und Wechselwirkungen erkennen

Dr. Gudrun Hefner

Hier kommt Dr. Gudrun Hefner ins Spiel. Sie ist seit Anfang 2017 bei Vitos. Seit April 2020 betreut sie als Apothekerin die Vitos Kliniken für forensische Psychiatrie in Riedstadt, Hadamar und Eltville. Als solche führt sie eine gründliche Medikamenten- und Patientenanamnese bei jedem Patienten durch. Sie schätzt mögliche Wechselwirkungen zwischen den eingenommenen Medikamenten oder zwischen Medikamenten und Erkrankungen und genetisch bedingte Unverträglichkeiten bezüglich bestimmter Wirkstoffe ein. Dr. Gudrun Hefner berät auf dieser Grundlage Patient/-innen und Ärzte/-innen.

„Eine der vielen Herausforderungen liegt darin, dass viele Patientinnen und Patienten nicht mit einer einzigen Erkrankung zu uns kommen. Sie haben zusätzlich zu ihrer schweren Grunderkrankung oft auch verschiedene weitere Krankheiten. Das können körperliche Erkrankungen sein, wie etwa Bluthochdruck, aber auch eine Alkohol- oder Drogenabhängigkeit“.

Auch bei Jochen B. stellen die Behandler neben der Schizophrenie Alkohol- und Cannabismissbrauch fest. Dr. Gudrun Hefner wägt nun den richtigen Einsatz der Medikamente ab. Etwa, ob ihm ein Medikament gegeben werden kann, das zwar hoch wirksam für die Behandlung der Symptome ist, gleichzeitig aber auch eine Abhängigkeit fördert. Zudem ist Jochen Raucher. Das ist ein weiterer Faktor, den es zu beachten gilt. Bei manchen Medikamenten senkt Rauchen die Konzentration des Arzneimittels im Blut. Dann gilt es, die individuelle Dosis an die Anzahl der konsumierten Zigaretten anzupassen. Die Liste lässt sich nahezu unendlich erweitern. Dabei ist eine patientenindividuelle Behandlung sehr wichtig, denn jeder Körper spricht anders auf die Medikation an.

Auch die Medikamente für Jochen B. konnten letztendlich sorgsam eingestellt werden. Das war eine Teamleistung.

Die Motivation des Patienten/der Patientin ist ein entscheidender Baustein

Ein weiterer Punkt für den Therapieerfolg ist die persönliche Einstellung des Patienten. Manchem mangelt es an einer Krankheitseinsicht. Damit ist häufig eine Therapieverweigerung verbunden. Und auch hier zeigt sich die Bedeutung der Arbeit von Dr. Gudrun Hefner. „Wir können ein Therapieangebot machen. Umsetzen können wir es aber nur mit dem Einverständnis des Patienten.“. Bei Vitos steht grundsätzlich immer der Mensch im Fokus. Auch die gesetzliche Regelung ist hier eindeutig. Dass ein/e Patient/-in mit der Therapie einverstanden ist und mitmacht, ist ein wesentlicher Faktor für den Erfolg. Auch hier unterstützen die Apothekerinnen die ärztlichen Kolleg/-innen.

Dr. Gudrun Hefner nimmt sich sehr viel Zeit für die Patient/-innen. Während der Anamnese prüft sie gründlich alle möglichen Einflussfaktoren. Im Laufe der Behandlung überprüft sie diese regelmäßig. Sie unterstützt damit das Ärzteteam und spricht mit den Patientinnen und Patienten über die medikamentöse Behandlung. „Wenn ein Patient mit einem Therapieangebot beispielsweise nicht einverstanden ist, frage ich nach den Gründen. Manchmal ist der Patient aufgrund seiner Erkrankung nur schwer ansprechbar. Manchmal sind es Ängste, die den Patienten von einer Zustimmung abhalten. Und manchmal ist es auch einfach so, dass der Patient keine Tabletten schlucken möchte. Mit einer Einnahme von Tropfen ist er aber einverstanden.“, so die Pharmakologin. Hier ist viel Einfühlungsvermögen gefragt und eine Vertrauensbasis.

„Bedenken Sie bitte auch, dass wir nicht nur die Zeit in der Klinik im Blick haben, sondern auch das Ziel des Patienten, wieder ein Leben außerhalb der Klinik führen zu können. Es nützt weder dem Patienten noch uns etwas, wenn er zwar in der Klinik das Medikament nimmt, aber nicht mehr außerhalb. Er muss dahinterstehen. Nur dann nimmt er sich auch verlässlich ein.“. Die Motivation des Patienten ist ein entscheidender Baustein dafür, das Rückfallrisiko deutlich zu senken.

Leitliniengerechte Behandlung als Grundsatz

Dr. Gudrun Hefner nimmt sich Zeit für ihre Patienten und Patientinnen

Dr. Gudrun Hefner nimmt sich Zeit für ihre Patienten und Patientinnen

Vereinzelt gibt es Vorwürfen, in den forensischen Kliniken würden die Patient/-innen nicht eingebunden und die Medikamente grundsätzlich zu hoch dosiert. Dem stellt Dr. Hefner entgegen, dass weder sie noch die Kolleg/-innen ein Interesse an einer solchen Medikation haben. Für den Krankheitsverlauf und die Resozialisierung ist es elementar, dass der Patient/die Patientin einverstanden ist. „Ganz abgesehen davon, dass wir alle unseren Beruf ergriffen haben, um anderen zu helfen und nicht zu schaden, gibt auch der gesetzliche Rahmen nichts Anderes her. Es gibt Leitlinien, an die sich alle halten müssen. Es gibt eine enge Überwachung. Jeder Schritt, jede Abweichung von etwaigen Vorgaben bedarf einer intensiven Begründung, mehrfacher Überprüfung von internen wie externen Gutachten, Kolleg/-innen und Behörden.“, stellt die Apothekerin klar.

Das multiprofessionelle Team ist in der Risikoeinschätzung und -bewältigung sehr gut ausgebildet. Ausnahmen bezüglich einer Zwangsmedikation gibt es dann, wenn ein/e Patient/-in für sich selbst oder für Mitarbeiter/-innen eine akute Gefährdung darstellt. Dann steht der Schutz des Lebens an erster Stelle und kann meist nur mithilfe von Medikamenten sichergestellt werden. Das sind jedoch nur kurzfristige Maßnahmen, die schnellstmöglich wieder zurückgenommen werden. Die Maßnahmen werden mehrfach und eingehend von mehreren Stellen geprüft. Und sie bedürfen einer sehr guten Begründung.

Bei der Corona-Impfung ist die direkte Einbindung ein Gewinn

Diese Sensibilität für die Patienten und Patientinnen spielte auch aktuell in der Corona-Pandemie eine Rolle. Die Apothekerin war intensiv in die Impfung gegen Covid 19 eingebunden. Die Patient/-innen in der forensischen Klinik unterliegen einem besonders hohen Risiko für schwere COVID-19-Erkrankungsverläufe. Einmal mehr galt es, die Risiken der verschiedenen Erkrankungen, Medikamente in Zusammenhang mit den Impfungen einzuschätzen und eine hohe Bereitschaft zur Impfung zu erreichen.

Jochen B. ist inzwischen aus der Klinik entlassen. Er hat sich in einer Wohngruppe und bei seinem Arbeitgeber sehr gut eingelebt. Seine Medikamente nimmt er verlässlich. Er ist in eine gute Nachsorge und ein Netzwerk eingebunden. Es war ein langer Weg für Jochen B. und das Team.

Mit der Einbindung der Apothekerinnen im Klinikalltag kann die Therapiebegleitung der Patienten und Patientinnen mit schweren psychiatrischen Erkrankungen deutlich verbessert werden. Im optimalen Fall führt dies auch zu kürzeren Verweildauern.

Wenn Sie mehr über die Arbeit der Vitos Klinik für forensische Psychiatrie Riedstadt wissen möchten:

Vitos Klinik für forensische Psychiatrie Riedstadt – Vitos [1]

Und hier geht´s zur Pressemitteilung: Pharmakologinnen in Klinikalltag des Maßregelvollzugs integriert [2]