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Einsamkeit zur Weihnachtszeit

Wie man trotzdem gut durch die Feiertage kommen kann

Besonders an freien Tagen macht sich Einsamkeit bei manchen Menschen bemerkbar. In Deutschland gibt es bis zu 14 Feiertage im Jahr. Doch nur wenige werden hierzulande so zelebriert wie Weihnachten und Silvester. Spätestens Mitte Dezember werden die ersten Fragen gestellt: Kommt Deine Familie an Weihnachten? Was gibt es bei Dir zu essen? Und was machst Du eigentlich Silvester?

Wir haben Dr. Thorsten Bracher, Klinikdirektor der Vitos Klinik für Psychosomatik Eltville, interviewt und wollten wissen, was Menschen tun können, die sich gerade jetzt einsam fühlen.

Können sich Menschen bei der Vitos Klinik für Psychosomatik Eltville über die Feiertage melden, wenn sie gerade besonders unter ihrer Einsamkeit leiden?

Thorsten Bracher: Wenn sich jemand in einer schweren psychischen Krise befindet, sind wir für ihn da. Betroffenen können anrufen oder auch direkt zu uns kommen. Die Klinik ist 24 Stunden 7 Tage die Woche geöffnet und die ärztliche Präsenz ist garantiert. Menschen, denen es schlecht geht, können jederzeit ohne Terminankündigung zu uns kommen, ohne Einweisung oder Überweisung – die Versichertenkarte reicht.

Dr. Thorsten Bracher, Klinikdirektor der Vitos Klinik für Psychosomatik Eltville

Der diensthabende Arzt kümmert sich um die Hilfesuchenden und prüft, ob eine stationäre Aufnahme notwendig ist. Eine Aufnahme findet nur statt, wenn wir einen Handlungsbedarf sehen und die Betroffenen diese wünschen. Wenn es medizinisch notwendig ist und der Patient dies möchte, kann der Arzt ihm auch ein Rezept ausstellen. Je nach Problematik zum Beispiel für ein beruhigendes oder angstlösendes Medikament oder ein Schlafmittel. Er wird ihm sicher auch eine Empfehlung mit auf den Weg geben, sich psychotherapeutische Hilfe zu suchen oder einen Klinikaufenthalt in Betracht zu ziehen – stationär oder tagesklinisch.

Würden Sie empfehlen, die Feiertage zu nutzen, um sich in Ruhe um die eigene seelische Gesundheit zu kümmern?

Bracher: Weihnachten und Silvester sind emotional hochbesetzte Zeiten. Für Menschen, die einsam sind, noch viel mehr. Ihrer Einsamkeit sind sie sich gerade an diesen Tagen besonders bewusst. Die sonst halt- und strukturgebenden Alltagspflichten fallen weg. Geschäfte und Arztpraxen beispielsweise sind geschlossen und machen den Gang in die Stadt überflüssig. Die Möglichkeiten, sich zu beschäftigen, sind stark reduziert.

In solchen Momenten ist es sinnvoller den Blick nach außen zu richten und sich möglichst vorher Gedanken zu machen, welche regionalen Angebote es während der freien Tage und zum Jahreswechsel gibt.

In der lokalen Zeitung, im Internet, auf Plakatwänden oder in den sozialen Medien lassen sich Anregungen finden. Sinnvoll ist es auch, die eigenen sozialen Kontakte durchzugehen, Verabredungen zu treffen oder selbst einzuladen – zu einem festlichen Weihnachtsmenü beispielsweise. Verbringen Sie Zeit mit anderen. Gemeinsam einkaufen, kochen und essen kann eine gute Idee sein.

Menschen, die sich einsam fühlen, haben oft nur wenige soziale Kontakte. Was dann?

Bracher: Zunächst einmal müssen wir uns vergegenwärtigen, dass jeder Mensch in eine Situation geraten kann, in der er einsam ist. Dafür gibt es verschiedene Gründe. Einsamkeit kann beruflich bedingt sein, vielleicht ist der Partner gerade gestorben oder eine Beziehung vor Kurzem zerbrochen und man muss sich erst einmal neu sortieren. Niemand ist vor Einsamkeit gefeit und jeder ist dann froh, Anschluss zu finden. Vielleicht sind Sie einsam und kennen jemandem dem es ähnlich gehen könnte. Mein Rat: Einfach ansprechen!

Gute Anknüpfungspunkte: Ehrenamtliche Organisationen, kirchliche Gemeinden oder Selbsthilfegruppen

Ehrenamtliche Tätigkeiten während der Feiertage sind eine gute Möglichkeit, Kontakte zu knüpfen. Wer sich selbst einsam fühlt, kann anderen etwas Gutes tun. Sie könnten bei der Tafel aushelfen, sich um Obdachlose kümmern oder Bewohnern im Altenheim eine Weihnachtsgeschichte vorlesen. Sich einem Verein oder einer Selbsthilfegruppe anzuschließen, kann ebenso eine gute Möglichkeit sein. Selbsthilfegruppen zu seelischen Erkrankungen gibt es viele. Die Begegnung mit anderen Betroffenen hilft zu erkennen, dass man mit seinen Problemen nicht alleine ist und andere bereits Lösungswege gefunden haben. Hieraus können wertvolle Verbindungen unter Menschen entstehen, die unter Umständen aus unterschiedlichen sozialen Umfeldern kommen. Kirchliche Gemeinden sind ebenfalls gute Anlaufstellen. Sie bieten neben Gottesdiensten, häufig auch offene Treffen, wie Kaffee-Nachmittage, Konzerte und seelsorgerischen Beistand.

Wer tierlieb ist, kann sich in Tierheimen erkundigen, ob gerade jemand gebraucht wird, um zum Beispiel Hunde auszuführen. Auch ein eigenes Tier kann eine gute Idee sein, denn die Fürsorge für ein anderes Lebewesen gibt dem Tag Struktur. Voraussetzung ist natürlich, dass man in der Lage ist, ein Haustier zuverlässig zu versorgen.

Ein weiterer Rat: Selbst aktiv werden und etwas Eigenes ins Leben rufen. Zum Beispiel einen Stammtisch für den einmal in der Woche stattfindenden Literaturkreis oder das gemeinsame Spanischlernen für den Urlaub.

Was halten Sie von dem oft geäußerten Tipp, einfach mal die Seele baumeln zu lassen?

Bracher: Das ist gar nicht so schlecht. Vorausgesetzt man weiß, was das heißt. Viele Menschen wissen nicht, wie Entspannung funktioniert und können sich nicht auf sich selbst besinnen. Sich zur Ruhe zu zwingen und wissen zu wollen, was man braucht, kann auch das Gegenteil verursachen. Findet man keine direkte Antwort, kann das Unruhe und Unzufriedenheit auslösen. Manche Menschen können sich überflüssig, nicht gebraucht und sogar ungewollt fühlen.

Was halten Sie von sportlichen Aktivitäten? Bekanntlich kann Sport, sowohl für das körperliche als auch das seelische Wohlbefinden, zuträglich sein.

Bracher: Das ist richtig, sportliche Aktivitäten sind wichtig. Am effektivsten ist Ausdauersport: Laufen, Radfahren, Schwimmen. Im Winter ist es am besten, sich bei Tageslicht im Freien aufzuhalten.

Über Nacht bildet der Körper das Schlafhormon Melatonin. Melatonin hilft uns also zur Ruhe zu kommen. Um den Spiegel dieses Hormons wieder zu senken, benötigen wir Tageslicht. Menschen, die im Winter selten rausgehen, sind wegen des Lichtmangels häufig erschöpft und müde. Die Aufnahme von UV-Licht über die Haut führt außerdem zur Bildung von Vitamin D. Die Bewegung tagsüber im Freien wirkt daher stimmungsstabilisierend.

Man sollte es mit dem Sport allerdings auch nicht übertreiben und immer im mittleren Belastungsbereich bleiben. Dieser fällt je nach Trainingsgrad und gesundheitlicher Verfassung unterschiedlich aus. Für den einen ist ein flotter Spaziergang genug, der andere joggt locker eine Zehn-Kilometer-Runde. Wirksam ist die sportliche Aktivität vor allem dann, wenn sie regelmäßig betrieben wird. Optimal sind 3 bis 4 Mal die Woche für 45 Minuten. Sportlich weniger Trainierte können zur Sicherheit einen Pulsmesser tragen, um die Belastungsintensität nicht zu hoch werden zu lassen. Von weiteren Messungen halte ich dagegen nichts. Zu viel Selbstbeobachtung tut nicht gut. Man sollte auch lernen, auf die Signale seines Körpers zu hören.

Ist es richtig, dass die Patienten in Ihrer Klinik auch Weihnachten feiern?

Bracher: Ja, sie bleiben hier bei uns. Die Patienten können zwar im Rahmen der sogenannten Belastungserprobung nach Hause – dann aber nur eine über die andere Nacht. Sie können so ausprobieren, wie es sich anfühlt, wenn sie nach einem längeren Klinikaufenthalt wieder in ihrer gewohnten Umgebung sind.

In der Klinik gibt es über Weihnachten ein kleines Programm. Die Pflegekräfte lassen sich immer etwas einfallen und es wird gemeinsam Kaffee getrunken und Plätzchen gebacken. Meistens organisieren die Patienten die Aktivitäten selbst. So entstehen oft Verbindungen zwischen Menschen, die sich unter anderen Umständen nicht begegnet wären. Hier bei uns entwickeln sie sich zu einer Gemeinschaft, deren Mitglieder füreinander da sind. Es tut gut zu wissen, dass es andere Betroffene gibt, die Gleiches oder Ähnliches durchmachen. Man kann sich ohne Scham austauschen und auch voneinander lernen – ohne Vorbehalte. Bei der Entlassung fragen wir die Patienten häufig, wovon sie während der stationären Behandlung am meisten profitiert haben. Dass der Kontakt mit den anderen Patienten gutgetan hat, ist häufig die Antwort. Deshalb lautet unser Rat immer: Überlegen Sie, was Sie von Ihrem Aufenthalt in Ihren Alltag übernehmen können.

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