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Entstigmatisierung psychisch kranker Menschen

„Wir müssen raus gehen in die reale Welt“

Menschen mit psychischen Erkrankungen fühlen sich häufig stigmatisiert. Sie haben Angst vor Ablehnung oder Vorbehalten, die ihnen begegnen. Sicherlich zu recht. Aber: Wir als psychiatrische Behandler haben viel zu oft das Bedürfnis, unsere Patienten und Rehabilitanden zu schützen und sie mehr als nötig abzuschirmen. Ich bin davon überzeugt: Wir können der Stigmatisierung von psychisch kranken Menschen nur begegnen, in dem wir uns mit den Patienten raus wagen in deren realen Lebensbezug. Nur so gelingt Normalität für ein Leben mit psychischer Erkrankung.

Unsere Arbeit bei Vitos Reha ist darauf ausgerichtet, psychisch kranken Menschen ein möglichst eigenständiges Leben zu ermöglichen. Dazu gehört die Teilhabe am Arbeitsprozess und am Leben in der Gesellschaft. Unsere Rehabilitanden sind schwer erkrankt. Die meisten sind schon lange aus dem Arbeitsprozess raus, haben nicht selten mehrere Jahre nicht mehr gearbeitet. Entsprechend groß sind ihre Ängste und ihre Unsicherheit, wenn sie die ersten Schritte zurück in einen beruflichen Alltag machen. Das geschieht in der Regel über ein oder mehrere Praktika. Wir nennen das dann „Externe Belastungserprobung“.

Vor allem in kleinen und mittleren Betrieben erleben wir eine hohe Bereitschaft, psychisch kranke Menschen probeweise zu beschäftigen. Und von diesen Betrieben sind wiederum viele bereit, sich längerfristig auf eine Zusammenarbeit mit uns einzulassen. Bei großen Unternehmen ist es schwieriger. Dort gibt es selbst bei Praktikumsplätzen hohe formale Hürden, an denen die Umsetzung von Praxiserprobungen scheitert.

Es gibt eine hohe Bereitschaft zu helfen

Wenn man über die Stigmatisierung von Menschen mit einer psychischen Erkrankung spricht, sollte man nicht vergessen, wie verbreitet psychische Erkrankungen sind. Es gibt eine hohe Betroffenheit in der Bevölkerung – und auch eine hohe Bereitschaft zu helfen. Natürlich ist die Arbeitswelt mit hohen Anforderungen und auch Stress verbunden. Bei Vitos Reha erleben wir aber auch, dass in vielen Bereichen der Arbeitswelt trotzdem Platz für Menschlichkeit bleibt. Niemand kann immer zu einhundert Prozent funktionieren. Das erwarten viele Arbeitgeber und Kollegen auch nicht.

Praktikumsplätze für unsere Rehabilitanden zu akquirieren, ist nicht immer einfach, aber doch leichter als noch vor zehn Jahren. Wir erleben bei den Unternehmen eine steigende Bereitschaft, Menschen mit psychischen Erkrankungen zu beschäftigen. Dazu trägt auch die allgemeine Arbeitsmarktsituation bei. Fachkräfte sind gesucht und es gibt zunehmend Betriebe, für die eine Erkrankung bei vorhandener fachlicher Qualifikation kein Ausschlusskriterium für eine Einstellung ist.

Ein Praktikum ist eine große Chance

Wir bereiten die Betriebe gut auf die Zusammenarbeit mit unseren Rehabilitanden vor, ohne auf deren Erkrankung einzugehen. Wir fokussieren uns stattdessen darauf, was die künftigen Praktikanten an beruflichen Qualifikationen mitbringen und was sie leisten können. Wir begleiten den Bewerbungsprozess und halten während des Praktikums regelmäßig Kontakt zum Betrieb und auch zu den Rehabilitanden.

Unsere Rehabilitanden begreifen ein Praktikum als große Chance und starten mit sehr hohem Engagement. Wir begleiten sie in dieser Zeit, damit sie für sich eine Balance finden können. Das bedeutet, ausreichend Selbstfürsorge zu betreiben, genug zu essen und zu schlafen, sich um die Wohnung, Familie und Freunde zu kümmern. Nur so können sie das Praktikum dauerhaft durchhalten.

Dass aus einem Praktikum ein festes Arbeitsverhältnis wird, kommt immer wieder vor, ist aber nicht das Ziel. Für unsere Rehabilitanden ist es vielmehr ein erster Schritt, um zu prüfen, wie sie sich längerfristig, also über mehrere Wochen oder Monate, an einem Arbeitsplatz bewähren. Und wie sie dabei ihre anderen Lebensfelder – Wohnen, Familie, Finanzen – im Blick behalten können. Für die meisten geht es erst im Anschluss an das Praktikum darum, eine konkrete berufliche Perspektive zu entwickeln. Sie sind dann auf einem guten Weg zu einem weitgehend selbstbestimmten Leben in der Mitte der Gesellschaft.

Hintergrund: Vitos Reha betreibt in Frankfurt am Main und Kassel zwei Rehabilitationseinrichtungen für Menschen mit schweren psychischen Erkrankungen (RPK). Die Rehabilitation findet ganztags-ambulant statt. In Frankfurt stehen dafür 25 Plätze und in Kassel 50 Plätze zur Verfügung. Dr. Sabine Kreß ist die medizinische Geschäftsführerin von Vitos Reha.

Bildquelle: Vitos