Geht das bunter?

Michael Grunz

Geht das bunter?

Entwicklung einer intuitiv bedienbaren Webseite für Hilfesuchende:

 „Der Psychosoziale Wegweiser Limburg-Weilburg“

„Wer im Netz surft, gibt uns nur einen Moment um Lösungen anzubieten“. Michael Grunz, Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie bei Vitos Weil-Lahn hat zusammen mit dem Gemeindepsychiatrischen Verbund den „Psychosozialen Wegweiser Limburg-Weilburg“ entwickelt.

Die Webseite richtet sich sowohl an Patienten, Angehörige und Interessierte, als auch an alle, die sich professionell mit psychischen Störungen beschäftigen.

Anna Pfläging: Was macht den „Psychosozialen Wegweiser“ besonders?

Michael Grunz: Wir verabschiedeten uns bewusst von Begriffen wie Vollständigkeit, Exaktheit und Perfektion. Wir wollten ein „Textmonster“ verhindern und Scrollen auf den Seiten, soweit wie möglich, minimieren. Die leitende Idee ist ein intuitiver unkomplizierter Zugang.

Anna Pfläging: Können Sie die Struktur der Internetseite skizzieren?

Michael Grunz: Die Startseite enthält im Wesentlichen drei Kategorien zum Anklicken.

Die erste Kategorie ist der „Notfall“. Hier findet man die 24 Stunden erreichbaren Telefonnummern.

Dann folgt als Zweites „Häufige psychische Erkrankungen von A – Z“. Es ist eine Liste häufiger Krankheitsbilder und ihrer Synonyme. Nicht mehr als auf eine Seite gepasst haben. Kein Scrollen. Die Begriffe können direkt angeklickt werden und man kommt zum Beispiel bei dem Wort „Depression“ auf eine Seite, die eine depressive Störung kurz erklärt.

Anna Pfläging: Der Wegweiser enthält Erklärungen zu Krankheitsbildern. Was war die Vorlage für die Erklärungen der Diagnosen?

Michael Grunz: Die Verbindlichste. Das ist derzeit das ICD 10 der WHO. Aber es galt, diese Texte in etwas Allgemeinverständliches zu verwandeln. Deshalb ist es realistischer, von einer Orientierung am ICD 10 zu sprechen. Wissenschaftliche Exaktheit hätte die Textmenge explodieren lassen und wäre inhaltlich zu unverständlich geworden. Wer im Netz surft, gibt uns meist nur einen Moment um Lösungen anzubieten, bevor er weiterklickt.

Eine unserer wichtigen therapeutischen Aufgaben ist, wieder begründete Hoffnung im Hilfesuchenden zu wecken. Deshalb steht auf fast jeder Seite der Satz: „Diese psychische Störung ist meist gut behandelbar“. Fragen zum Copyright wurden mit dem Verlag geklärt.

Anna Pfläging: Wie geht es von den Texten zu den Krankheitsbildern weiter?

Michael Grunz: Am Ende des Textes kommt fett gedruckt die Zeile „Angebote zum entsprechenden Krankheitsbild im Kreis Limburg-Weilburg“. „Klick“ und das Herzstück des Wegweisers geht auf: Die Liste der Institutionen, die für dieses Krankheitsbild zuständig sind, meist mit E-Mail-Adresse und funktionierender Telefonnummer. Wer sich nicht für die Texte interessiert, ist in Sekundenschnelle hier.

Anna Pfläging: Und die dritte Kategorie?

Michael Grunz: Die dritte Kategorie ist „Psychisch krank – Wohnen und Arbeiten“. Hier sind Erklärungstexte zum Thema zu finden, die wir selbst geschrieben haben. Von dort geht es auch mit einem Klick weiter zu den zuständigen Institutionen.

Anna Pfläging: Funktioniert das auch mobil für das Handy?

Michael Grunz: Ja, die Schrift ist etwas klein, lässt sich aber auf dem Handy gut vergrößern. Manchmal wünsche ich mir den Wegweiser als App für Klinikmitarbeiter.

Anna Pfläging: Was waren Ihre Beweggründe, sich mit der Konzeption einer Internetseite für Patienten zu beschäftigen?

Michael Grunz: Über das „Bündnis gegen Depression“ wurde mir klar, dass nicht einzig die Beratung und die Behandlung entscheidend sind, sondern auch der Zugang zu den Hilfsangeboten.

Hartmut Rosas Buch „Beschleunigung und Entfremdung“ hat mich sehr beeindruckt. Der Druck auf die Psychiatrien, schneller und trotzdem qualitativ hochwertig zu behandeln, ist in den letzten Jahren deutlich angewachsen. Zudem glaube ich, dass die „digitale Revolution“ jetzt schon und in naher Zukunft unser Gesundheitssystem grundlegend verändern wird.

Um schneller zu werden, bedarf es einfacher und guter Konzepte. Informationen müssen leicht erhältlich und gut verständlich sein. Wenn wir einen Patienten stationär aufnehmen, brauchen wir sofort konkrete Ideen, in was für ein ambulantes Betreuungs- und Behandlungsnetz wir ihn später entlassen werden.

Das kann die Klinik, trotz ihrer Ambulanz, nicht alleine leisten. Hierfür sind unsere Kooperationspartner im Kreis sehr wichtig. Ich denke an die sozialpsychiatrischen Vereine mit dem betreuten Einzelwohnen, die Tagesstätten, die Jugend- und Drogenberatung, die Beratungsstellen, zum Beispiel der Caritas und Diakonie, die Wohnheime und betreuten Arbeitsmöglichkeiten für psychisch Kranke. Erweitert denke ich natürlich an die Hausärzte, die niedergelassenen Psychiater und die Psychotherapeuten.

Gerade als neuer Assistenzarzt in einer Klinik hätte ich mir eine Art Liste gewünscht, die schnell zeigt, welche Institution in der Nähe, für welches Krankheitsbild mit welchem Betreuungsangebot zuständig ist, natürlich mit funktionierender Adresse und Telefonnummer. Ein weiterer Wunsch war eine integrierte kurze Erklärung zu den Krankheitsbildern. Das wäre damals ein langer und unübersichtlicher Text geworden.

Wenn wir uns das aber heute, als „Internet-Tool“, auf einer Webseite, mit mehreren Ebenen vorstellen, kann daraus etwas sehr Übersichtliches werden.

Anna Pfläging: In welchem Rahmen konnte diese Idee eine Form annehmen?

Michael Grunz: Wir hatten gerade den „gemeindepsychiatrischen Verbund“ (GPV) mit dem Rückenwind des ersten Kreisbeigeordneten Helmut Jung gegründet und Vitos hat mir Raum für Kreativität gegeben.

Der GPV ist definiert als ein Gremium von Entscheidungsträgern der Institutionen, die sich um das Wohl der psychisch Kranken im Landkreis sorgen. Der „psychosoziale Wegweiser“ war das erste vom GPV initiierte Projekt.

Bodo Slokker von der „Stephanus Werkstatt“ in Weilburg, ein erfahrener und kreativer IT‘ler, war für die Programmierung im Verlauf unverzichtbar. Die Basis haben aber alle im GPV durch ihre Ideen, Textkorrekturen, viel Geduld und Großzügigkeit gebildet. Nebenbei lernten wir alle durch die Beschäftigung mit dem Psychosozialen Wegweiser die Schwerpunkte in den einzelnen Institutionen viel besser kennen.

Anna Pfläging: Wer ist die Zielgruppe des Psychosozialen Wegweisers?

Michael Grunz: Der Psychosoziale Wegweiser ist für Patienten, Angehörige, alle die sich professionell mit psychischen Störungen beschäftigen und Interessierte gemacht. Ich hatte, als wichtigste Zielgruppe, einen Menschen im Kopf, der nicht mehr weiter weiß und nachts um drei Uhr im Netz nach Hilfe, Beratung, Behandlung und damit Hoffnung sucht.

Anna Pfläging: Wie lange hat die Entwicklung gedauert?

Michael Grunz: Schnell ging das nicht. Die Ideen mussten reifen. Wir haben auch immer wieder Freiräume in unserer normalen Arbeit finden müssen, um uns zu treffen und die nächsten Schritte zu programmieren, Inhalte zu ändern oder einfach Korrekturen durchzuführen. Der Psychosoziale Wegweiser war für mich auch immer wieder ein fachfremder Lernprozess. Ohne extra Arbeit ging das nicht.

Anna Pfläging: Wo ist die Seite im Netz zu finden?

Michael Grunz: Wir hatten im Verlauf über einen Juristen festgestellt, dass sich der GPV eine eigene Geschäftsform geben müsste, um die Seite selbst zu betreiben. Das war für uns letztlich zu aufwendig. Im Netz stellte ich fest, dass solche Seiten meist PDF Dateien waren und beim Gesundheitsamt angesiedelt wurden. Wir sind, um es kurz zu machen, unserem Gesundheitsamt sehr dankbar, dass unsere Seite schließlich auf deren Webseite und damit auf Kreisebene integriert wurde. Ein vom GPV anteilig finanziertes externes Unternehmen übernimmt die Wartung und steht für Änderungen zur Verfügung.

Anna Pfläging: Ein paar Worte zum Design?

Michael Grunz: Kurz: „Bonbonfarben“. Wenn man es schwarz umrandet ist man bei der Ästhetik des niederländischen Künstlers „Mondrian“ angelangt. Das haben wir aber lächelnd wieder rückgängig gemacht. Als wir uns bei der Farbwahl etwas unsicher wurden, ernteten wir von jemandem der im Vorbeigehen einen Blick auf unseren Computer warf, den Kommentar „Geht das bunter“. „Alles klar. Es bleibt so“.

Anna Pfläging: Was macht der GPV jetzt mit dem Psychosozialen Wegweiser?

Michael Grunz: Diese Seite funktioniert, wenn sie benutzt wird. Wir machen sie bekannt, zum Beispiel durch diesen Blogbeitrag. Es gab auch auf lokaler Ebene Zeitungsartikel und ich habe bisher zwei Vorträge gehalten. Der Psychosoziale Wegweiser soll dazu dienen, Hilfesuchende schneller in eine Beratung, Betreuung oder Behandlung zu bringen. Wir werden sehen.

Anna Pfläging: Gibt es Pläne für eine Weiterentwicklung?

Michael Grunz: Es ist einer der Grundsätze, dass der Psychosoziale Wegweiser sich ständig weiterentwickeln soll, nicht fertig werden kann, Ideen aufnimmt und sich den veränderten Gegebenheiten im Kreis anpasst. Wir überlegen derzeit, ob er gleichermaßen eine Webseite für die aktuellen Veranstaltungen der Institutionen des GPV werden kann.

Hier geht es zum Psychosozialen Wegweiser.

Michael Grunz ist seit 2004 Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie, war bis 2016 Oberarzt der Vitos Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie Weilmünster, ist Dozent der Vitos Akademie und arbeitet in eigener psychotherapeutischer Praxis und in der Vitos psychiatrischen Ambulanz Weilburg.

Autor/-in
Anna Pfläging, Social Media Managerin