Postnatale Depression – Ursachen und Behandlungsmöglichkeiten
Ein Baby wird geboren – Die Großeltern strahlen, der Papa ist stolz wie Oskar und die Freunde gratulieren zum freudigen Ereignis. Doch der frischgebackenen Mutter ist nicht nach Strahlen zu Mute. Das Kind ist ihr fremd. Obwohl sie es sich gewünscht hat, kann sie nun keine Bindung zu ihm aufbauen. Sie sieht es als Bedrohung für sich und ihre Zukunft. Wäre das nicht schon schlimm genug, befallen sie im nächsten Moment die Schuldgefühle. Sie wollte doch schließlich ein Baby und eine perfekte Mutter sein. Warum läuft es nun ganz anders, als sie es sich immer vorgestellt hat?
Die Geburt ist ein Wendepunkt im Leben
Wird eine Frau zur Mutter, ist das ein Wendepunkt in ihrem Leben. Nach der Geburt muss sie eine enorme Anpassungsleistung erbringen und sich in einer ganz neuen und ungewohnten Rolle zurechtfinden. Nun kann sie ihre Zeit nicht mehr frei einteilen. Da gibt es ein kleines Wesen, das ihre ungeteilte Aufmerksamkeit fordert. Das kann das bisherige Leben und die Gefühlswelt aus dem Gleichgewicht bringen.
Die meisten Frauen sind vom Babyblues betroffen
Rund 70 Prozent aller Frauen befällt nach der Geburt der sogenannte „Babyblues“. Dafür sind unter Umständen die großen Schwankungen des Hormonspiegels während der Geburt verantwortlich.
Normalerweise hält diese Phase nur wenige Stunden bis Tage an. Manche Mütter fühlen sich jedoch über einen längeren Zeitraum niedergeschlagen, antriebslos und können sich nicht an ihrem Neugeborenen erfreuen. Nicht verwechselt werden darf dies mit der allgemeinen Überforderung, die sich fast zwangsläufig, zumindest beim ersten Kind, bei vielen Eltern einstellt. Schlafmangel und das häufige Schreien des Säuglings zerren an den Nerven, das ist ganz klar.
Von einer postpartalen Depression (auch Postnatale Depressionen oder PND), sprechen wir, wenn die Frau über mehrere Wochen in verstärktem Maße ängstlich und unglücklich wird. Unter diesen Umständen fällt es ihr schwer, eine Bindung zu ihrem Kind aufzubauen und mütterliche Gefühle zu entwickeln. Ein erstes Warnzeichen ist es, wenn sich 14 Tage nach der Geburt immer noch keine Freude über das Kind einstellen will, sich die Mutter niedergeschlagen fühlt und unter geringem Selbstwertgefühl leidet. Kritisch wird es, wenn sich der Zustand auch nach sechs Wochen nicht legt. Dann sollte sich die Mutter professionelle Hilfe suchen.
Der Mythos der perfekten Mutterschaft
Rund neun bis 18 Prozent aller Frauen erkranken in den ersten Wochen nach der Geburt an einer postnatalen Depression. Häufig sind es junge Mütter, fast selbst noch Kinder, die ungeplant schwanger wurden und mit der Situation überfordert sind. Es trifft aber auch gut strukturierte Frauen, die Mitten im Leben stehen und sich das Kind sehnlichst wünschen. Ihnen können ihre idealisierten Vorstellungen der perfekten Mutterschaft zum Verhängnis werden. Genauso fällt es vielen schwer, die Tatsache zu akzeptieren, dass sich ein Neugeborenes nicht nach dem durchstrukturierten Tagesablauf der Eltern richtet. Diese Mütter machen sich oft zu viel Druck, da sie ihren eigenen überhöhten Ansprüchen genügen wollen. Merken sie, dass sie, wie viele frischgebackene Eltern, erst mal im Chaos versinken, kommen Schuldgefühle und Selbstzweifel auf. Und immer dieser Gedanke: „Die anderen kriegen es doch auch irgendwie hin“ und „Bei denen sieht das so leicht aus“. Dass auch die scheinbar perfekte Vorzeigemutter von nebenan ihre Phasen hat, in denen sie heulend auf dem Sofa sitzt, in Selbstzweifeln versinkt und ihr Kind am liebsten im Wald aussetzen würde, vergessen sie dabei.
Weitere Risikofaktoren, die die Entstehung einer postnatalen Depression begünstigen können, sind eine Depression oder eine biopolare Störung, die bereits vor der Geburt bestand. Genauso ein bereits bestehendes prämenstruelles Syndrom (komplexe Beschwerden vor dem Eintreten der Regelblutung). Stress und andere psychosoziale Faktoren, wie fehlende Unterstützung vom Partner, können genauso eine Rolle spielen.
Wer Prävention betreiben will, sollte an seiner Partnerschaft arbeiten und für sich selbst Methoden der Entspannung finden. Ob es sich dabei um Progressive Muskelentspannung nach Jacobson oder eine Joggingrunde durch den Wald handelt, bleibt natürlich jedem selbst überlassen. Ganz wichtig ist zudem ein intaktes soziales Netzwerk.
Mutter-Kind-Therapie in der Vitos Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie Weilmünster
In unserer Vitos Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie Weilmünster behandeln wir Mütter, die an einer postnatalen Depression erkrankt sind. Unser Behandlungskonzept sieht unter anderem vor, dass die Behandlung in Anwesenheit der Kinder erfolgt. Seit den 1980er Jahren bieten wir diese spezielle Mutter-Kind-Therapie an. Damals war es das erste Therapieangebot dieser Art in ganz Deutschland. Betroffene Frauen trauen sich oft aus Scham nicht, ihren Kummer anzusprechen. Sie fürchten sich vor einer Stigmatisierung. Dabei leiden sie sehr unter ihrer Erkrankung. In der Therapie lernen die Mütter zum Beispiel, mehr Selbstvertrauen zu entwickeln, Stress und Überforderung besser zu bewältigen und mit ihren Ängsten umzugehen. Wird die PND nicht behandelt, leidet auf Dauer nicht nur die Mutter, sondern auch das Kind. Betroffene Säuglinge entwickeln sich langsamer, wiegen weniger und haben oft Lernstörungen. Im Erwachsenenalter steigt das Risiko, dass sie selbst eine psychische Störung entwickeln.
Bei einer Mutter-Kind-Therapie in unserer Klinik sind die Erfolgsaussichten sehr gut. Wir nehmen betroffene Mütter und ihre Kinder für sechs bis zu zwölf Wochen stationär auf. Die Behandlung besteht aus psychotherapeutischen Einzel- und Gruppengesprächen. Während diese stattfinden, wird der Nachwuchs von Pflegern, einer Erzieherin oder in der Kita betreut. Zudem sieht die Behandlung regelmäßige Ergo-, Musik- und Bewegungstherapien vor, an denen teilweise auch die Kinder teilnehmen können. Für viele Mütter ist es außerdem sehr heilsam, sich mit anderen Betroffenen auszutauschen. Sie merken, dass sie nicht allein sind, dass es auch anderen so geht.
Eine Mutter-Kind-Therapie wird auch an anderen Vitos Standorten angeboten, nämlich in der Vitos Klinik Bamberger Hof, der Vitos Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie Heppenheim sowie in der Vitos Klinik Eichberg.
Wer glaubt, von einer postnatalen Depression betroffen zu sein, sollte sich zuerst an seinen Hausarzt wenden. Dieser wird dann eine Überweisung zum Psychiater, Psychotherapeuten oder für eine stationäre Aufnahme in einer Klinik ausstellen. Da die Wartezeiten für einen Therapieplatz mitunter sehr lang sein können, rate ich, im Fall einer postnatalen Depression auf Dringlichkeit zu pochen.
Zusätzliche Informationen rund um dieses Thema finden sich zudem auf der Website der Selbsthilfeorganisation „Licht und Schatten“ und der Marce-Gesellschaft (http://marce-gesellschaft.de/).
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