Therapiebegleithund Alice im Einsatz bei Vitos Herborn
Vor dem Ausbruch der Corona-Pandemie war es kein Zufall, dass ein schwarz-weißer Border Collie im Garten der Vitos Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie Herborn herumläuft. Normalerweise begleitet Alice Krankenschwester Melanie Wolf-Stemmler zur Arbeit und gehört selbst zum Team der Klinik. In Zeiten von Corona bleibt sie aber vorsorglich zu Hause. Welchen Mehrwert Alice sonst in der Therapie bietet, merkt man erst so richtig, wenn sie nicht da ist.
Seit zwei Jahren nehme ich Alice zu meinen Tagschichten mit in die Klinik. Mittlerweile kennt sie das Gelände in und auswendig, bleibt aber meistens an meiner Seite. Sie ist immer dabei: im Aufenthaltsraum, im Garten oder bei meinem Rundgang durch die Patientenzimmer. Natürlich spreche ich das vorher mit den Patientinnen und Patienten ab. Wenn jemand eine Hundeallergie hat oder ängstlich ist, bleibt Alice so lange draußen. Die meisten freuen sich aber sie zu sehen. Aufgrund ihrer zurückhaltenden und vorsichtigen Art, ist es einfach, eine Verbindung zu ihr aufzubauen. Ich nehme Alice aber nicht etwa mit, weil ich keine Betreuung für sie hätte, sondern weil wir beide in der Klinik arbeiten. Seit zwei Jahren sind wir ein zertifiziertes Therapiebegleithund-Team.
Alice im Einsatz
Momentan unterstützen Alice und ich eine Achtsamkeitsgruppe. Alice hilft uns zum Beispiel, eine Achtsamkeitsübung auszuwählen. Hierfür schreibe ich verschiedene Übungen auf Zettel und verstecke diese in Apportiersäckchen, die ich auf einen Haufen lege. Alice darf dann ein Säckchen auswählen und es zu mir bringen. Eine Achtsamkeitsübung besteht darin, in verschiedenen Schritten von 100 herunterzuzählen. Gemeinsam zu zählen, hilft den Fokus auf das Hier und Jetzt zu lenken und somit achtsam zu sein. Auch hierbei hilft uns Alice. Ich habe einen großen Würfel, den sie herumschubsen kann. Die Zahl, die oben liegen bleibt, entscheidet, in welchen Schritten wir gemeinsam zählen. Aber auch wenn ich sie nicht aktiv in die Gruppe einbinde, hat allein ihre Anwesenheit eine positive Wirkung. Ein ehemaliger Patient hat mir anvertraut, dass Alice ihm hilft, Ruhe zu bewahren – besonders, wenn Emotionen in ihm hochgekocht sind.
Für die letzte Sitzung jeder Gruppe habe ich mir etwas ganz Besonderes einfallen lassen. Bevor die Sitzung beginnt, verstecke ich einen Korb mit Süßigkeiten und Leckerlies, den Alice am Ende suchen darf. Mittlerweile hat sie ein sehr gutes Zeitgespür entwickelt und sucht den Korb manchmal schon, obwohl ich noch gar kein Zeichen gegeben habe. Das sorgt natürlich für einige Lacher.
Auch außerhalb der Gruppensitzungen ist Alice eine echte Bereicherung. Sie lockt die Patienten nach draußen, um mit ihr spazieren zu gehen oder mit dem Ball zu spielen. Der Fokus ist dann ganz bei ihr. Alle passen auf, dass sie nicht zu weit wegläuft oder auf die Straße springt, wenn ein Auto kommt. Alice kann Stimmungen sehr gut erspüren. Wenn sie merkt, dass sie gebraucht wird, geht sie vorsichtig auf die Menschen zu. Das ist einer der Gründe, warum die meisten Patienten sehr schnell Vertrauen zu ihr aufbauen. „Ein Hund bedarf keiner Erklärung. Ein Hund spürt, weiß und reagiert – ohne Worte“, so hat es eine ehemalige Patientin einmal treffend formuliert.
Stresstest als Aufnahmeprüfung
Schon vor unserer Ausbildung zum Therapiebegleithund-Team wurden bei Vitos Herborn positive Erfahrungen mit Therapiehunden gemacht. In der Kinder- und Jugendpsychiatrie zum Beispiel ist der Labrador-Pointer-Mix Paul Teil des Klinikteams. Und auch von externen Dienstleistern werden immer mal wieder Hunde für die Therapie hinzugenommen. Ich selber habe drei Hunde und wurde auch schon im privaten Umfeld gefragt, ob ich nicht einen von ihnen mit in die Klinik nehmen wolle. Natürlich kann nicht jeder Hund für die Begleitung einer Therapie eingesetzt werden. Die Idee fand ich allerdings spannend und konnte mir gut vorstellen, dass Alice sich dafür eignen würde. Also tauschte ich mich mit der Kollegin der Kinder- und Jugendpsychiatrie aus. Schnell fand ich heraus, dass nicht nur Therapeuten, sondern eben auch andere Fachkräfte, wie ich, eine solche Ausbildung machen können. Die Ausbildung zum Therapiebegleithund-Team ist zwar nicht staatlich anerkannt, basiert aber auf wissenschaftlichen Standards. Um uns dafür anzumelden, mussten Alice und ich zunächst eine Aufnahmeprüfung bestehen. Hierbei wurde analysiert, wie Alice sich von mir führen lässt und in unterschiedlichen Situationen reagiert. Auch ein Stresstest war dabei. Die Trainerin konnte sich so ein gutes Bild von uns als Team machen und herausfinden, welche Charaktereigenschaften Alice hat. Nach bestandenem Aufnahmetest sagte die Geschäfts- und Klinikleitung von Vitos Herborn zu, die Kosten für die Ausbildung zu übernehmen. Und schon konnte es losgehen.
Ein starkes Team
Die Ausbildung gliederte sich in ein Einführungswochenende, drei Wochenend-Seminare und die abschließende Zertifizierung. Während dem Einführungswochenende erläuterte die Trainerin uns unter anderem, wie Hunde lernen und was sie motiviert. Auch die Themen Erziehung, Kommunikation und Erste-Hilfe-am-Hund wurden noch einmal aufgefrischt. Nach der Theorie folgte dann die Praxis. Gemeinsam mit den anderen aus dem Kurs nahmen wir an unterschiedlichen Hospitationen teil. Wir besuchten zum Beispiel ein Altenheim und eine Wohnstätte für Menschen mit Behinderung. So lernten wir die verschiedenen Einsatzmöglichkeiten von Therapiebegleithunden aus nächster Nähe kennen. Für mich war es wichtig zu sehen, wie Alice sich im Kontakt mit fremden Menschen verhält. Ich kann ihre Körpersprache jetzt noch besser verstehen und erkenne, wann sie unter Stress steht und wann sie eine Ruhepause braucht. Und Alice weiß, dass sie sich in jeder Situation auf mich verlassen kann. Das ist in der Therapie besonders wichtig, da Alice häufig Kontakt zu Menschen hat, die ihr fremd sind. Ich bin dafür verantwortlich, Alice Sicherheit zu geben und sie anzuleiten. Nur so kann ich Alice zielgerichtet in der Therapie einsetzen.
Für die Zertifizierung wurde mein theoretisches Wissen in einem schriftlichen Test abgefragt. Außerdem fanden zwei praktische Prüfungen statt. Zum einen musste ich ein Video von Alice und mir aufnehmen und dieses dann analysieren. Zum anderen wurden wir in eine Einrichtung eingeladen, die wir vorher nicht kannten und mussten unter Beweise stellen, was wir gelernt hatten.
2020 steht unsere Rezertifizierung als Therapiebegleithund-Team an. Den Antrag habe ich bereits gestellt und Alice und ich freuen uns schon. Mein Wunsch für die Zukunft ist es, eine eigene Gruppe einzurichten, in der ich Alice noch gezielter einsetzen kann. Im Bereich der Depressionen kann ich mir das gut vorstellen. Aber auch für die Therapie von Persönlichkeitsstörungen, wo wir aktuell eingesetzt sind. Ich bin überzeugt von dem Mehrwert, den Alice in der Therapie bietet. Das bestätigen mir auch die Patientinnen und Patienten. Eine ehemalige Patientin hat sogar ein Gedicht über ihre Erfahrung mit Alice verfasst. Es handelt davon, dass Hunde nicht urteilen, keine Vorurteile haben und nicht in Schubladen denken. Sie erreichen Menschen, die für andere vielleicht sogar schon verloren scheinen.
Bildquelle: Melanie Wolf-Stemmler
5 Kommentare Kommentieren