Mit tierischer Unterstützung Brücken bauen

Mit tierischer Unterstützung Brücken bauen

Vitos Haina bietet die Tiergestützte Intervention auch in Altenheimen und in der Kinder- und Jugendpsychiatrie an

Seit mehr als zehn Jahren ist sie ein unterstützendes Element in der Therapie psychisch kranker Menschen bei Vitos Haina: die Tiergestützte Intervention. Mittlerweile sind die „unkonventionellen Therapeut/-innen“ der Vitos begleitenden psychiatrischen Dienste Haina immer häufiger in externen Einrichtungen im Einsatz: Sowohl mit mehreren Altenpflegeheimen in der Umgebung als auch seit neuestem mit der Vitos Kinder- und Jugendklinik für psychische Gesundheit Marburg bestehen Kooperationen. Wie das Angebot zustande kam und welche Pläne es für die Zukunft gibt, erläutert Hans-Willi Bornscheuer im Interview.

Seit der Gründung im Jahr 2013 leitet der Krankenpfleger mit Weiterbildung im Bereich Tiertherapie die Tiergestützte Intervention bei Vitos Haina. Im Interview kommen ergänzend Erwin Gruber, Therapeutischer Leiter der Vitos begleitenden psychiatrischen Dienste Haina, und Prof. Dr. Florian Metzger, Ärztlicher Direktor der Vitos Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie Haina, zu Wort.

Wie sieht Ihr Angebot für Altenpflegeheime als externe Kooperationspartner aus?

Hans-Willi Bornscheuer: Ich besuche in der Umgebung zurzeit vier Altenpflegeheime, von Gemünden bis nach Kirchhain. Dorthin fahre ich ungefähr alle 14 Tage mit einigen unserer Tiere. Bei meinen Besuchen steht im Gegensatz zur Arbeit mit unseren Patient/-innen und Klient/-innen weniger die Therapie, sondern vielmehr die Alltagsgestaltung im Vordergrund. Für die Bewohner/-innen ist es eine schöne Abwechslung, mit den Tieren zu interagieren. Die Lamas, Esel und Schafe bleiben allerdings zuhause und ich bringe nur Kleintiere mit.

Diese haben sich aber ohnehin als großer Hit erwiesen. Denn besonders ältere Menschen hatten zu früheren Zeiten – viele von ihnen lebten auf dem Land- schon viele Berührungspunkte mit Küken und Kaninchen. So habe ich es schon erlebt, wie eine an Demenz erkrankte Frau, die seit Monaten nicht gesprochen hatte, plötzlich mit dem Küken auf ihrem Schoß zu sprechen begann. Es hatte Erinnerungen an ihre Kindheit hervorgerufen. Das sind Momente, in denen man selbst nach so vielen Jahren in der therapeutischen Arbeit sehr gerührt ist und auch mal eine Träne verdrücken muss.

Die Besuche finden meist im Gruppenraum statt und dauern bis zu eineinhalb Stunden. Zu einigen der bettlägerigen Bewohner/-innen bringe ich die Tiere auf Wunsch auch ins Zimmer. Hier haben sich über die Zeit bereits Mensch-Tier-Freundschaften und ein echtes Vertrauensverhältnis entwickelt.

Wie gestaltet sich die Kooperation mit der Vitos Kinder- und Jugendklinik für psychische Gesundheit Marburg?

Hans-Willi Bornscheuer: Die Kooperation ist noch relativ frisch; im September 2023 sind wir nach der Anfrage der Klinik und der Ausarbeitung des Kooperationsvertrags damit gestartet. Seitdem stehe ich im Austausch mit den psychotherapeutischen und pädagogischen Kolleg/-innen der Kinder- und Jugendpsychiatrie. Gemeinsam planen wir die Termine und besprechen, wie sich die Jugendlichen in der Interaktion mit den Tieren entwickeln.

Alle zwei Wochen belade ich den Anhänger mit meinen kleinen und großen Therapietieren und mache mich auf den Weg nach Marburg. In den Ferien kommen die Jugendlichen auch zu Besuch nach Haina, um zu sehen, wie die Tiere hier leben. Denn so können die jungen Patient/-innen noch viel mehr mitnehmen: Zum Programm gehört hier vor Ort nämlich auch, die Tiere von der Weide zu holen und sie vor der Wanderung zu putzen. Jede/-r kann sich sein Tier aussuchen: Ob Lama, Esel, Ziege, Pony oder Hund. Genau wie unsere erwachsenen Patient/-innen lernen die Jugendlichen im Umgang mit Tieren ihre Ängste zu überwinden und sich aus ihrem gewohnten Umfeld herauszutrauen. Empathie, Fürsorge und das Erlernen neuer Fähigkeiten – etwa in der Pflege oder im Führen von Tieren – gehören auch dazu. In den Sommerferien planen wir in diesem Jahr hier am Standort außerdem erstmals ein Zeltlager mit den Patient/-innen der Kinder- und Jugendklinik – ein richtiges kleines Abenteuer, auf das sich alle schon sehr freuen.

Wanderung mit den Tieren

Welche Rückmeldungen bekommen Sie von den Kooperationspartnern?

Hans-Willi Bornscheuer: Das Feedback, das wir für unsere Arbeit bekommen, hat unsere Erwartungen weit übertroffen. Das spiegelt sich auch darin wider, dass es mittlerweile Wartelisten von mehreren Einrichtungen gibt, die ebenfalls eine Kooperation mit uns eingehen wollen. Jedoch sind unsere Ressourcen begrenzt.

Erwin Gruber: Uns ist es wichtig, externe Kooperationen zu pflegen. Denn dadurch können wir unsere therapeutische Arbeit und die positive Wirkung der Tiergestützten Intervention in verschiedenen Kontexten bekannter machen. Wir hoffen ebenso, dass wir dadurch ein Stück weit zur Entstigmatisierung der Psychiatrie beitragen – wir zeigen einen Teil unserer therapeutischen Arbeit und sind in der Gemeinde präsent. Wir wollen zeigen, dass es vielseitige Therapieangebote für psychisch kranke und seelisch behinderte Menschen gibt und wir neue Wege beschreiten, um ein Miteinander statt nur ein Nebeneinander zu leben.

In welchem Umfang bieten Sie am Standort in Haina momentan die Tiertherapie an und wie soll sich diese künftig entwickeln?

Hans-Willi Bornscheuer: Das Angebot steht zurzeit sowohl den Klient/-innen der begleitenden psychiatrischen Dienste als auch den Patient/-innen der Erwachsenenpsychiatrie zur Verfügung.

Täglich kommen Klient/-innengruppen zum Spazierengehen mit den Tieren vorbei. Zweimal pro Woche besuchen uns die Außenaktivgruppen der Stationen zur Behandlung von Sucht- und Abhängigkeitserkrankungen sowie der Psychotherapiestationen mit den Schwerpunkten Depression, Angststörungen und seelische Krisen. Bei den Klient/-innen des Wohnpflegeheims und den Patient/-innen der Akutstation und den Schwerpunktstationen für Sucht- und Demenzerkrankte sowie für psychisch Erkrankte mit Intelligenzminderung komme ich mit den Ponys, Hunden und Lamas jeweils einmal die Woche bis ans Bett. So wollen wir auch körperlich eingeschränkten Menschen und Demenzkranken die Interaktion mit den Tieren ermöglichen. Wir möchten noch häufiger Angebote zur Verfügung stellen, insbesondere für die Patient/-innen der Erwachsenenpsychiatrie.

Prof. Dr. Florian Metzger: Die Tiergestützte Intervention erfreut sich hoher Beliebtheit. Besonders auf unsere dementen Patient/-innen haben die Tiere positive Effekte. Deshalb möchten wir das Therapieangebot gerne intensivieren. Auch schwer depressive Menschen können mit Hilfe der Tiere einen sehr guten Zugang zu sich selbst und zu ihrer Erkrankung finden. Hier möchten wir zum Beispiel Angebote zur Einzeltherapie schaffen, für Menschen, die sich gerade in schwersten Phasen befinden.

Erwin Gruber: Wir werden demnächst eine weitere Mitarbeiterin in Teilzeit einstellen, die Herrn Bornscheuer unterstützt, zum Beispiel indem sie zukünftig eigene Patient/-innen- und Klient/-innengruppen leitet oder Stationsbesuche macht. Was unsere Tiere betrifft, so sind wir schon gut aufgestellt. Neuen Zuwachs haben wir vor kurzem durch drei Ziegen bekommen. Die meisten der Tiere sind bereits gut ausgebildet und echte Profis im Umgang mit psychisch kranken Menschen.

Hans-Willi Bornscheuer: Ein Wunsch ist auch, eines Tages die Tiergestützte Intervention um das Angebot zum therapeutischen Reiten zu erweitern. Mit meinem eigenen Pferd biete ich das bereits privat über den Reitverein an. Innerhalb der Tiertherapie ist es momentan noch nicht umsetzbar, dazu fehlen die zeitlichen Ressourcen. Aber ich bin gespannt, was die Zukunft bringt, und freue mich auf die nächsten Schritte.

Die Tiergestützte Intervention und ihre therapeutische Wirkung

Mit dem Hund einen ausgedehnten Spaziergang machen, dem Esel die Ohren kraulen, Fellpflege bei den Lamas oder den Kaninchen beim Mümmeln zuschauen: wir interagieren auf viele verschiedene Arten mit Tieren – und das tut uns nachweislich gut. Bedingt durch die Ausschüttung von Oxytocin (auch Bindungshormon genannt) steigert der Kontaktmit Tieren unser Wohlbefinden und baut Stress ab. Sogar auf unser Herz- Kreislauf-System hat das eine positive Wirkung. Für psychisch kranke und seelisch behinderte Menschen birgt die Therapie mit Tieren darüber hinaus weitere Möglichkeiten: Sie soll Klient/-innen und Patient/-innen dabei helfen, ihre sozialen Fähigkeiten neu zu entdecken oder weiterzuentwickeln. Zudem hilft die Begegnung mit den Tieren, sich der eigenen Bedürfnisse und der Bedürfnisse anderer bewusst zu werden. Ein Tier akzeptiert einen so, wie man ist. Es wertet nicht. Deshalb fällt es vielen Menschen auch leichter, sich in Gegenwart eines Tieres zu öffnen. Wer sich um ein Tier kümmert, erfährt außerdem wie es ist, Verantwortung zu übernehmen und erhält dafür Wertschätzung und Anerkennung. Das steigert das eigene Selbstwertgefühl. Mehr zum Konzept der Tiergestützten Intervention bei Vitos Haina lesen Sie hier: Sind Tiere die besseren Therapeuten?

Autor/-in
Marie Friedewald