28 Mai Die etwas andere Liebesgeschichte
Gabi, 47 Jahre und Lars, 45 Jahre, kündigten sich Anfang des Jahres bei Vitos Kalmenhof an. Ihre Hochzeitsreise sollte nach Idstein gehen. Denn sie haben sich bei uns im Kalmenhof kennengelernt.
Nach einigen Telefonaten waren sie im Mai dann wirklich da. Wie sich gleich herausstellte allerdings nicht auf Hochzeitsreise: „Das mit dem Heiraten hat doch nicht geklappt“, ist Lars´ Kommentar. Aber sie sind Feuer und Flamme für die Besichtigung des Kalmenhofs. Beide waren als Kinder für mehrere Jahre hier untergebracht. Nun stehen sie in den alten Wohngruppen und staunen, wie anders die Zimmer nun sind.
Als wäre es gestern gewesen
„Hier hat mein Bett gestanden, in dem Zimmer war Horst, dort Bernd. Abends bin ich manchmal hoch geschlichen zu Gabi und hab Ärger bekommen. An diesen Mülltonnen habe ich mich versteckt, wenn ich weggelaufen bin. Die bunten Glassteine sind noch da, die habe ich als Kind so geliebt!“ Lars kommt aus dem Reden gar nicht raus, so viele Erinnerungen, so viel Vergangenheit. Gabi, die „erst“ vor 15 Jahren den Kalmenhof verlassen hat, kennt dagegen noch einzelne Leute. Sie wird von Horst aus der Küche und von Nadja aus der Wäscherei begrüßt. Die Damen und Herren aus dem Ehlers Haus sind zum Teil auch noch bekannt, aber „so alt geworden“.
Schwelgen in Erinnerungen
Unser alter Sternensaal bringt sie zum Träumen: „Hier hat sich nichts verändert. Hier haben wir zur Weihnachtsfeier auf der Bühne gestanden. Hier habe ich dir meinen ersten Heiratsantrag gemacht.“ Irgendwie wollte Lars wohl immer schon heiraten. Gabi offensichtlich nicht wirklich so sehr. Immerhin, sie ist ihm nach Berlin gefolgt und das Jahre nachdem er aus Idstein wegzog. Sie sind seit 15 Jahren ein Paar. Lars betont, dass er als Kind „ein Drecksack“ war und das absolut Beste an Idstein gewesen ist, dass er seine Gabi gefunden hat. Gabi ist weniger romantisch, sie sagt sie hätte hier eine gute Kindheit gehabt. Besonders das Schlitten- und Kettcar fahren, sei schön gewesen.
Der Schatz der Erinnerung
Wir gehen gemeinsam in den Keller, indem die Kettcars immer gestanden haben. Zum Erstaunen beider stehen nicht mehr die gleichen, grünen Fahrzeuge dort. Fast philosophisch fragt Lars, ob jetzt seine Erinnerungen falsch wären, wenn es doch alles gar nicht mehr so sei, wie er es vor Augen hat. Er fände es besser, wenn sich weniger verändern würde, damit die Kinder heute verstehen könnten, wie sie damals gelebt hätten. Doch Gabi hat gelernt loszulassen: „Das Leben geht weiter.“
Lebendige Kalmenhof-Geschichte
Beim gemeinsamen Kaffee fragen beide viel nach früher. Sie sind ein bisschen enttäuscht, dass nicht noch mehr Menschen, die in ihrer Erinnerung so deutlich vorhanden sind, jetzt und hier zu finden sind.
Für mich war dies ein besonderer, ein anderer Nachmittag. Anderthalb Stunden Kalmenhof-Geschichte. Zu hören, wie es früher einmal war, durchaus mit Selbstkritik, durchaus nicht abwertend, obwohl die Zeiten vor 30 Jahren sicher nicht vorrangig nur positiv waren. So hat unser Kalmenhof ein Paar hervorgebracht, das eine Bindung eingehen konnte, die nun schon 15 Jahre hält und mehrere Heiratsanträge überstanden hat. Zwei beeinträchtigte Menschen, die einfach glücklich sind. – Wie schön.
Hintergrund
Vitos Kalmenhof ist das Zuhause von 46 Kindern und Jugendlichen mit unterschiedlichsten Behinderungen. Die jungen Menschen kommen zu uns, weil die Erziehungspersonen überfordert sind. Sie werden mit dem unerwarteten Verhalten, der massiven emotionalen Bedürftigkeit oder den sich daraus ergebenden Schwierigkeiten nicht fertig. So war es wohl auch schon damals, als Gabi und Lars bei uns wohnten von 1980 bis 2000.