Die Studiengruppe des Bachelor-Studienganges Psychiatric Nursing auf Bildungsreise
Unsere Studiengruppe des Bachelor-Studienganges Psychiatric Nursing reiste dieses Jahr gemeinsam in die Niederlande. Ziel war es, Einblick in die Arbeitsweise von niederländischen Psychiatrien zu erhalten. Wir besuchten die Vincent-van-Gogh-Klinik in Venray, die Universität in Nimwegen und die Forensik Woenselse Poort in Eindhoven. Wir waren sehr gespannt auf die neuen Impulse, die uns diese Reise bieten würde.
Was machen die Niederländer anders als wir? In welche Richtung entwickelt sich dort die psychiatrische Versorgung? Was können wir von unseren Nachbarn lernen?
Die psychiatrische Klinik in Venray – Ambulante Versorgungsstrukturen im Fokus
In der Vincent-van-Gogh-Klinik in Venray durften wir einem Vortrag über den Strukturwandel in der psychiatrischen Versorgung in den vergangenen Jahren beiwohnen. Der Plan war, stationäre Betten abzubauen und die psychiatrische Behandlung im „offenen“ Bereich konsequent ambulant zu gestalten. Dieser Plan konnte erfolgreich umgesetzt werden.
Die Versorgungsstrukturen sind regional geregelt. Es gibt drei ambulante Versorgungskonzepte im Umgang mit chronischen Patienten, akuten Not- sowie Krisenfällen. Das Ziel ist, die stationäre, geschlossene Behandlung zur letzten Wahl zu machen, also die Aufnahme in die Klinik zu verzögern oder gar zu verhindern. Besondere Verantwortung bei diesen Versorgungskonzepten kommt den akademisierten Pflegekräften zu. Durch die Organisation und Strukturierung des Behandlungsverlaufes bilden sie die zentrale Koordinationseinheit. Bei Bedarf fordern sie die Unterstützung der Mediziner, Psychiater oder Psychologen an. Die Kompetenzen sowie das Aufgabenprofil dieser „Nurce Practioner“ (Pflegekräfte mit Masterabschluss) sind gesetzlich definiert und geschützt. Ihre Verantwortung ist zwar höher, aber durch einen entsprechenden Stellenschlüssel wird diese durch mehrere kompetente Nurse Practitioner getragen.
Am Ende des Tages erhielten wir noch einen Einblick in innovative und kreative Entwicklungen der Klinik. Ein Beispiel dafür ist „Zora“ – ein kleiner Roboter, welcher extra konstruiert wurde, um demenzkranke Menschen im Alltag zu begleiten und zu unterstützen. Die Klinik hat Strukturen geschaffen, um neue und kreative Lösungswege zu generieren. Jeder Mitarbeiter wird motiviert, Ideen umzusetzen.
Universität in Nimwegen – Direkter Transfer von der Theorie in die Praxis
Die Universität und der Campus sind modern gestaltet und wirklich beeindruckend anzusehen. Es wurden viele Möglichkeiten geschaffen, sich zum Beispiel zum Lernen zurückzuziehen oder sich mit Kommilitonen auszutauschen. Die Universität bietet Studiengänge für Pflegeberufe an. Das wollten wir uns genauer anschauen.
Die Niederlande wechselten bereits in den 90er Jahren erfolgreich von der ursprünglichen Krankenpflegeausbildung zu einem Bachelorstudiengang für Pflegende. Zugangsvoraussetzung für diesen Studiengang ist die allgemeine Hochschulreife. Die Studiengebühren werden durch die Studenten selbst getragen. 1.300 Vollzeitstudenten sowie 400 Teilzeitstudenten (nebenberuflich) absolvieren derzeit diesen Studiengang. Der Studiengang ist eine generalisierte Ausbildung mit der späteren Möglichkeit, einen Masterstudiengang zu absolvieren und sich so zu spezialisieren. Methodisch geht der Studiengang dabei wie folgt vor: Die Studenten reflektieren das zu Hause Erlernte und es findet ein direkter Theorie-Praxis-Transfer in dafür speziell eingerichteten Übungsräumen statt. In diesen Räumen gibt es Pflegebetten und entsprechende praxisnahe Ausstattung. Das angeeignete Wissen wird schließlich in die Alltagspraxis überführt.
Forensik Woenselse Poort in Eindhoven – Das Peer-In-Konzept
Am letzten Tag besuchten wir die forensische Klinik in Eindhoven. Sie befindet sich in einem weitläufigen Parkgelände. Großzügige Grünanlagen und die Modernisierungsmaßnahmen der letzten zehn Jahre sorgen für einen sehr freundlichen Gesamteindruck. Institutionell bestehen Ähnlichkeiten zur deutschen Forensik. Sie spiegeln sich auch in den baulichen Sicherungsmaßnahmen wider. Deutlich wird dies bereits am Zugang zur Einrichtung, der EDV- und Überwachungseinrichtung. Nachdem wir den Sicherheitsbereich passiert und unsere Besucherausweise erhalten haben, begrüßten uns die Mitarbeiter freundlich. Vorrangig erhielten wir durch ehemalige Patienten, welche nun als Mitarbeiter in der Klinik angestellt sind, Informationen über Konzepte und Methoden der forensischen Arbeit.
Der Perspektivenwechsel ist Teil des Behandlungskonzeptes. Die Ehemaligen werden auch als „Experienced Workers“ oder „Peer-Mitarbeiter“ bezeichnet. Nach erfolgreicher Therapie entschlossen sie sich, ein Praktikum, eine Ausbildung sowie ein Studium zu absolvieren. helfen sie mit ihrem großen Fundus an (Selbst-)Erfahrung bei der Behandlung der psychisch kranken Rechtsbrecher.
Toon Walravens, als Peer-Mitarbeiter an der Klinik tätig, schilderte seinen Werdegang, der uns alle sehr berührte. Er selbst war zehn Jahre Patient in der Forensik bis er lernte, mit seiner Erkrankung umzugehen und sie als Teil seiner selbst zu akzeptieren. Er schilderte anhand eigener Erfahrungen, wo das Peer-In-Konzept ansetzt. Es geht darum, dass der Mensch im Mittelpunkt steht, nicht die therapeutische oder medikamentöse Behandlung. Der Behandlung liegt die These zugrunde, dass die Therapie erfolgreicher ist, wenn soziale Beziehungen zum persönlichen Umfeld und den professionellen Helfern bestehen. Familie, Freunde und andere Bezugspersonen sollen mehr in die Behandlung einbezogen werden. Schließlich gibt das soziale Umfeld wichtigen Halt.
Zudem wurde uns die therapeutisch eingesetzte Anwendungssoftware „Spider-App“ vorgestellt. Jeder Patient hat ein Tablet, auf dem die App installiert ist. Psychometrische Maße, wie beispielsweise soziale Fertigkeiten, der emotionale Zustand oder auch die Impulskontrolle dienen der aktuellen Einschätzung. Sie werden alle zwei Monate zwischen Patient und Behandler ausgewertet. Fort- und Rückschritte sind somit für den Patienten zu jederzeit einsehbar und nachzuvollziehen. Die Selbsteinschätzung ist dabei maßgeblich. Persönliche Probleme und Ressourcen sind dem Patienten stets bekannt. Die Nutzung der App ist freiwillig, denn Empowerment (Kontrollgefühl/Selbstbefähigung) steht beim Behandlungsprozess im Vordergrund.
Ein weiterer Schwerpunkt der Behandlung ist das Deeskalationsmanagement. Es wird vor allem in der Gesprächsführung umgesetzt. Das Konzept zu „Veilig in Contact“ (Sicher im Kontakt) VIC, schult die Mitarbeiter für einen respektvollen, humanen und sicheren Umgang mit den Patienten, selbst in schwierigen Situationen. Der Schwerpunkt liegt auf der Gesprächsführung. Die Schulung besteht aus einem neuntägigen Training mit monatlichen Auffrischungen. Sie ist in die aufeinander aufbauenden Level „Basic“, „Kompetent“ und „Expert“ unterteilt.
GASTFREUNDSCHAFT wird in den Niederlanden „groß“ geschrieben
Beeindruckend war nicht nur der viele Input, sondern auch die enorme Gastfreundschaft der Niederländer. Egal, ob in der psychiatrischen Klinik, in der Universität oder in der Forensik, wir wurden mit Kaffee, Tee und leckerem Essen verwöhnt. Die Menschen, denen wir begegneten, waren stets freundlich und zugewandt. Sie freuten sich über unser Interesse an ihren Versorgungsstrukturen, Konzepten und Methoden. Wir waren sehr dankbar für dieses Entgegenkommen und für die Zeit, die sich diese Menschen extra für uns genommen haben. Sie waren sehr gut auf unseren Besuch vorbereitet, nahmen jede Frage an und versuchten, uns die Inhalte sogar meist auf Deutsch zu vermitteln. Für uns war das beeindruckend und wir haben es keinesfalls als Selbstverständlichkeit angesehen. Die Studienreise war mehr als bereichernd. Nicht nur wegen des erhaltenen Wissens über die Umsetzung der psychiatrischen Arbeit im Ausland, sondern auch wegen der zwischenmenschlichen Erfahrungen sowohl mit den Menschen, denen wir begegnen durften, als auch innerhalb der Studiengruppe selbst.
Meinen Kommilitonen möchten ich an dieser Stelle noch für den Input danken, der mir das Schreiben dieses Beitrags erleichtert hat. Ganz besonderer Dank gilt meinem Studienkollegen Nico Hormel, der so nett war, mich bei der Texterstellung zu unterstützen.
Bildquelle: Natascha Brand
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