11 Sep „Home Treatment stärkt die Patienten“
Akut psychisch kranke Menschen müssen nicht immer stationär behandelt werden. Es gibt alternative Behandlungsformen. Eine davon ist das Home Treatment, das die Vitos Klinik Bamberger Hof in Frankfurt bereits seit 19 Jahren anbietet. Die leitende Klinikärztin Dr. Barbara Bornheimer schildert im Interview ihre Erfahrungen mit der ambulanten psychiatrischen Akutbehandlung, kurz APAH.
Wo liegen für Sie die größten Unterschiede zwischen stationärer und ambulanter Behandlung zu Hause?
Dr. Barbara Bornheimer: In der Klinik haben wir als Behandler die Schlüsselgewalt. Wir haben das Hausrecht, machen die Termine und gestalten die Umgebung. Die ambulante Behandlung des Patienten findet hingegen bei ihm zu Hause oder an einem von ihm gewählten Ort statt. Es ist eine völlig andere Situation. Als Behandler sind wir dort zu Gast: Der Patient öffnet uns die Tür, er entscheidet, wann er uns empfangen will. Das stärkt die Patienten, sie haben sozusagen Heimspiel. Es gibt allerdings auch einige Patienten, die unsere Besuche als Eindringen in ihren Lebensbereich empfinden. Es liegt dann an uns, das Vertrauen des Patienten zu gewinnen.
Für welche Patienten ist die ambulante Behandlung zu Hause besonders geeignet?
Bornheimer: Zum Beispiel für Patienten mit einer Angststörung. Es gibt Patienten, die Angst haben vor einer fremden Umgebung oder der Begegnung mit Menschen. Sie fühlen sich in ihrem häuslichen Umfeld geschützter. Es gibt auch Patienten, die sich in einer Klinik eingeschränkt fühlen und einen großen Wunsch nach Selbstbestimmung haben. Für sie bietet die ambulante Behandlung viele Vorteile.
Gibt es auch Patienten, für die sich das Home Treatment gar nicht eignet?
Bornheimer: Wenn bei einem Patienten eine akute Suchterkrankung im Vordergrund steht, ist das für uns ein Ausschlusskriterium. Wir begleiten allerdings Patienten mit einer sekundären Suchterkrankung unter der Voraussetzung, dass sie während der Therapie nicht unter dem Einfluss von Alkohol oder Drogen stehen. Auch Patienten, die akut manisch sind, können wir nicht gut behandeln. Es ist dann einfach zu schwierig, verbindliche Absprachen zu treffen und Termine zu vereinbaren.
Welche Voraussetzungen muss die häusliche Umgebung bieten?
Bornheimer: Im Grunde keine. Das einzige Ausschlusskriterium wäre tatsächlich, dass uns jemand die Tür nicht öffnet.
Nicht alle Ihre Patienten leben alleine. Wie gehen Sie mit der Familie um?
Bornheimer: Zunächst muss die Familie bereit sein zuzulassen, dass die Therapie zu Hause stattfindet. Wir erleben häufig, dass die Angehörigen die ambulante Behandlung zu Hause begrüßen, weil sie sich stärker einbezogen fühlen. Sie müssen nicht erst den behandelnden Arzt in der Klinik abpassen oder einen Termin vereinbaren. Oft ergibt es sich ganz selbstverständlich, dass die Familie einbezogen werden kann oder ein therapeutisches Gespräch zusammen mit Angehörigen, zum Beispiel dem Partner, stattfindet – immer vorausgesetzt, der Patient stimmt dem zu. Auch wir als Behandler bekommen bei unseren Hausbesuchen viel mit, erfahren aus erster Hand viel über das familiäre Miteinander und die persönlichen Lebensumstände. Das kann für die Behandlung hilfreich sein. Manchmal ist es aber auch so, dass ein Patient eher mehr Freiraum für seine Therapie braucht. Das kann zum Beispiel bei jungen Erwachsenen der Fall sein, die bei ihren Eltern leben. Dann besteht für uns die Aufgabe darin, die Vertraulichkeit der Therapie zu gewährleisten.
Kann das Home Treatment einen stationären Aufenthalt ersetzen?
Bornheimer: Ja, darauf ist unser Behandlungsangebot ausgelegt. In anderen Fällen kann die ambulante Behandlung zu Hause dazu beitragen, den Aufenthalt in der Klinik zu verkürzen. Wir haben immer wieder Patienten, die ihren stationären Aufenthalt in einer Klinik vorzeitig beenden möchten und uns dann von der Klinik zugewiesen werden.
Wie sieht für Sie und Ihr Team der Arbeitsalltag aus im Vergleich zum Klinikalltag?
Bornheimer: Für die Behandlung werden Tandems gebildet, die jeweils aus einem Arzt und einer Pflegekraft bestehen. Beide arbeiten sehr eng zusammen, enger als auf einer Station, wo die Arbeitsbereiche doch stärker voneinander getrennt sind und es vielleicht auch mehr Hierarchien gibt. Der organisatorische Aufwand ist sicherlich auch etwas höher: Es gibt immer wieder kurzfristige Absagen der Patienten, die ein Umplanen erforderlich machen. Das macht viele Absprachen nötig und erfordert Flexibilität. Viele Kollegen finden es allerdings vorteilhaft, keine festen Wochenpläne zu haben, wie es in der Klinik üblich ist. Das Fachpersonal kann bei uns sehr eigenständig arbeiten.
Was schätzen Sie persönlich an dieser Behandlungsform?
Bornheimer: Es macht sehr viel Spaß so zu arbeiten und zu sehen, wie die Patienten gestärkt werden. Für mich und das ganze Team ist das sehr befriedigend. Ich finde es großartig, dass die gesetzlichen Grundlagen geschaffen wurden, um das Home Treatment flächendeckend einzuführen. Ich bin von dieser Form der Behandlung sehr überzeugt: Es ist die Behandlungsform der Zukunft.
Hintergrund:
Die Vitos Klinik Bamberger Hof hat sich als „Klinik ohne Betten“ auf die ambulante Behandlung von Menschen mit einer psychischen Erkrankung spezialisiert. Seit 2000 wird dort die „Ambulante Psychiatrische Akutbehandlung zu Hause (APAH)“ angeboten. Die Behandlungsdauer beträgt maximal 30 Tage. In dieser Zeit werden die Patienten täglich oder mehrmals wöchentlich von einem mobilen, multiprofessionellen Team zu Hause behandelt. Ergänzend finden Gruppenangebote und Bewegungstherapie in der Klinik statt. Etwa 220 Patienten behandelt die Vitos Klinik Bamberger Hof jährlich ambulant zu Hause.
Dr. med. Barbara Bornheimer ist leitende Klinikärztin an der Vitos Klinik Bamberger Hof. Die Fachärztin für Psychiatrie und Psychotherapie arbeitet seit 19 Jahren an der „Klinik ohne Betten“. 2010 hat sie dort die Leitung übernommen.