Allergie: Psychische Belastungen können die Symptome verstärken

Allergie: Psychische Belastungen können die Symptome verstärken

Prof. Dr. Uwe Gieler, Klinikdirektor der Vitos Klinik für Psychosomatik Gießen, im Interview

Es wächst und sprießt und grünt in der Natur – gleichzeitig ist der Pollenflug in vollem Gange. Das ist eine besonders schwere Zeit für Heuschnupfen-Geplagte. Wie stark Allergiker/-innen leiden, hängt aber nicht nur von der Menge der Allergene ab. Auch die Psyche spielt eine Rolle.

Prof. Dr. Uwe Gieler ist Klinikdirektor der Vitos Klinik für Psychosomatik Gießen. Als Hautarzt, Allergologe und Facharzt für Psychosomatik und Psychotherapie weiß er um das enge Zusammenspiel zwischen Körper und Psyche. Und das gibt es auch bei Allergien aller Art.

Herr Prof. Gieler, schätzungsweise jeder fünfte Deutsche gilt als Pollenallergiker. Leiden diejenigen, die psychisch stark unter Druck sind, mehr?

Prof. Gieler: Ganz sicher, da die Allergiereaktion nicht nur von der Menge der Pollen, die einwirken, abhängt, sondern auch von weiteren Faktoren wie Luftfeuchtigkeit und Immunstatus des Menschen. Letzterer ist bei Menschen in psychischen Belastungen bekanntlich eher beeinträchtigt als bei Gesunden. Außerdem entsteht bei vermehrten Ängsten auch eine intensivere Wahrnehmung, was den Effekt noch einmal verstärkt.

Warum hat die Psyche bei Allergien einen Einfluss auf den Körper?

Prof. Gieler: Allergien sind grundsätzlich immunologische Reaktionen, also Abläufe des menschlichen Abwehrsystems. Die Forschung der sogenannten Psychoimmunologie konnte in verschiedensten Stressreaktionen sowohl in Tierexperimenten, wie auch bei Menschen (z. B. in Prüfungssituationen oder standardisierten Stressbedingungen wie Vorstellungsgesprächen) sehr klar die Einflüsse von Stress auf das Immunsystem zeigen.

Manche Menschen spüren den Zusammenhang weniger stark oder gar nicht. Woran liegt das?

Prof. Gieler: Hier spielt die Resilienz eine Rolle. Damit ist der persönliche Erfahrungshintergrund gemeint – also, ob ein Mensch eine positive Grundeinstellung und gute Bewältigungsstrategien im Umgang mit Belastungen hat oder diese vielleicht sogar als Herausforderung ansehen kann, oder ob eher eine negative, pessimistische Grundeinstellung vorherrscht. Das sind immanente Persönlichkeitseigenschaften, die nicht durch einfache Umentscheidungen veränderbar sind. Sie lassen sich erst durch längere Arbeit am Verständnis der Ursachen dieser Grundhaltung verändern.

Könnte eine Allergie sogar erst durch eine psychische Extrembelastung entstehen?

Prof. Gieler: Ja, selbst das ist bekannt, wenn auch eher seltener. In psychischen Extremsituationen reagiert das Immunsystem völlig anders als im Normalzustand und kann daher auch eine Allergie auslösen.

Und anders herum: Könnte man durch eine psychologische Begleitung oder Psychotherapie die Allergie wieder loswerden?
Prof. Dr. Uwe Gieler im Gespräch

Prof. Dr. Uwe Gieler im Gespräch

Prof. Gieler: Dies eher nicht. Durch Psychotherapie können aber Verbesserungen erzielt oder zumindest bessere Strategien der Krankheitsverarbeitung gelernt werden. Einzelne Studien zur Hypnose konnten durchaus zeigen, dass Allergien manchmal dadurch beeinflussbar sind.

Wenn starke allergische Reaktionen auftreten, fühlt man sich sehr unwohl. Das belastet automatisch die Psyche. Die wirkt sich wiederum auf die Symptome aus. Das klingt ganz nach einem Teufelskreis. Was können Betroffene aus psychologischer Sicht selbst tun, um ihn zu durchbrechen?

Prof. Gieler: Zunächst können sie sich diesen Ablauf klar vor Augen führen und sich selbst präventive Strategien zulegen. So kann man bei allergischen Reaktionen zum Beispiel neben der medikamentösen antiallergischen Therapie auch gezielt Entspannungsverfahren einsetzen. Es ist wichtig, eigene Belastungsreaktionen zu erkennen, um sie so zu verändern, dass sie nicht allzu stark Einfluss nehmen. Dazu kann z. B. auch gehören, sich nicht im Internet ständig nach möglichen Auswirkungen oder neuen Therapien umzusehen, da sie die Wahrnehmung und damit die Symptome eher verstärken. Besser ist es, sich mit Ablenkungen zu beschäftigen, die einem erfahrungsgemäß guttun: Zum Beispiel schwimmen gehen, da im Wasser weniger Pollen vorhanden sind auf die allergisch reagiert wird. Oder einen kurzen Urlaub planen, um aus der Blütezone zu entfliehen oder Ähnliches.

Hintergrund

Prof. Dr. Uwe Gieler ist ein erfahrener Psychosomatiker und Dermatologe. Mit ihm setzt die Vitos Klinik für Psychosomatik Gießen auf einen besonderen klinischen Behandlungsschwerpunkt: die Psychodermatologie. Sie beschäftigt sich mit dem Zusammenhang zwischen Haut und Psyche. Menschen mit chronischen Hauterkrankungen und/oder Allergien sind oft auch besonderen psychischen Belastungen ausgesetzt. Für sie gibt es an der Klinik ein spezielles Behandlungskonzept. Weitere Infos: https://www.vitos.de/gesellschaften/vitos-giessen-marburg/einrichtungen/vitos-klinik-fuer-psychosomatik-giessen/behandlungsschwerpunkte/psychodermatologie/

 

Autor/-in
Susanne Richter-Polig