Tiere als Co-Therapeuten

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Tiere als Co-Therapeuten

Tiergestützte Therapie nach fünf Jahren erfolgreich etabliert

Ein Lama im Aufzug? Esel inmitten der Stationsflure? Ein Labrador als Gesprächspartner? Seit nunmehr fünf Jahren hat das Projekt „tiergestützte Therapie“ bei Vitos Haina Einzug gehalten: Und wir können alle miteinander mit Stolz sagen: Die Projektphase haben wir erfolgreich abgeschlossen. Die Tiertherapie ist mittlerweile ein fester Bestandteil unserer regelmäßigen Therapieangebote.

So kommen bei uns in Haina seit mehr als fünf Jahren auch unkonventionelle Therapeuten zum Einsatz. Im Rahmen der tiergestützten Therapie vermitteln Lamas, Esel, aber auch Schweine und Schafe den chronisch psychisch kranken Bewohnern und Patienten das Gefühl, gebraucht zu werden und wertvoller Teil der Gesellschaft zu sein.

Was bedeutet tiergestützte Therapie?

Definition: Tiergestützte Therapieverfahren sind alternativmedizinische Behandlungsverfahren zur Heilung oder zumindest Linderung der Symptome bei psychiatrischen und neurologischen Erkrankungen und Behinderungen, bei denen Tiere eingesetzt werden. Je nach Tierart wird die Therapie in verschiedenen Einsatzgebieten praktiziert.

Die Idee

Die Idee einer tiergestützten Therapie entstand bei Vitos Haina schon zu Zeiten, als wir im Hainaer Pfarrhaus noch eine Tagesstätte eingerichtet hatten. Hier kümmerten sich die Klienten bereits um Zwerghasen, später kamen Ziegen hinzu – allerdings, ohne bis dato fester Bestandteil einer Therapie zu sein.

Bei der Neuordnung der Arbeits- und Beschäftigungstherapie innerhalb der begleitenden psychiatrischen Dienste (BPD) unterstützten mich Geschäftsführer Ralf Schulz und Prokurist Mathias Müller, eine eigenständige Tiertherapie am Standort als Projekt zu etablieren. Die finanzielle Grundlage war geschaffen. Und als ich das schwarze Lama-Mädchen Valerie an der Uni Gießen entdeckte, war klar: Die muss ich haben.

Valerie ist genau die Richtige für uns. Sie ist die Erste, die ich für das Projekt Tiertherapie und den Aufbau der Tiertherapie am Standort Haina einsetzte –bis heute mit Erfolg.

Das Angebot der begleitenden psychiatrischen Dienste
Besuch am Krankenbett

Besuch am Krankenbett

Die Vitos begleitenden psychiatrischen Dienste Haina bieten chronisch kranken Menschen ganz unterschiedliche Unterstützungsangebote, damit sie in weitgehender Normalität leben können. Das Angebot richtet sich an alle Menschen mit einer fachärztlich bestätigten und andauernden psychischen Erkrankung. Dazu gehören Psychose und Sucht, Alkohol- und Drogenfolgeerkrankungen sowie Demenzen, für die keine anderen Versorgungsmöglichkeiten bestehen. Das Angebot umfasst die Lebensfelder Wohnen, Arbeit und Freizeit. Dabei liegt das Hauptaugenmerk des therapeutischen Ansatzes der BPD auf den Ideen eines ressourcenorientierten Ansatzes: Förderung der individuellen Kenntnisse, Fähigkeiten und Möglichkeiten der Klienten. Insbesondere in der Tiertherapie können diese Ziele erreicht werden:

  • Kontaktaufnahme und Beobachtung der Tiere
  • Kontaktaufnahme durch Berühren und Kümmern
    Zeit für Streicheleinheiten

    Zeit für Streicheleinheiten

Beim Start des Tiertherapie-Projektes vor fünf Jahren legte ich großen Wert auf die Qualifikation unserer Mitarbeiter. Ein Mitarbeiter, der seither die Tiertherapie verantwortet, wurde am Institut für soziales Lernen in Wedemark nahe Hannover mit Tieren ausgebildet. Neben der Psychologie der Mensch-Tier-Beziehung standen dort Hygiene, Haftungs- und Versicherungsfragen sowie Tierschutz und Ethik auf dem Lehrplan. Der Kollege hat bereits neben seinem privaten Hobby der Tierhaltung, auch viele Jahre Erfahrung im Umgang mit psychisch kranken oder verhaltensauffälligen Menschen. Deshalb war er der richtige Mann für diese Aufgabe- und machte so noch sein Hobby zum Beruf. Bei den verschiedenen Baumaßnahmen eines eigenen Stallgeländes mit umliegenden Wiesen unterstützte uns zudem die örtliche Bauabteilung maßgeblich.

Tiere als Co-Therapeuten

Wir versuchen, mithilfe der tiergestützen Therapie, Fähigkeiten unserer Klienten zu erhalten und soziale Fähigkeiten wieder neu zu entdecken. Dabei gilt es, sich der eigenen Bedürfnisse, insbesondere aber auch der Bedürfnisse anderer bewusst zu werden. Die anderen sind in diesem Fall unsere Co-Therapeuten – die Tiere, für die sie:

  • Verantwortung übernehmen
  • Pflichtbewusstsein haben
  • Das Gefühl bekommen, gebraucht zu werden

Angst und Stress werden gelindert, unsere Klienten bauen Belastbarkeiten aus und stärken ihr Selbstvertrauen.

Sie tauschen mit ihnen Erinnerungen und Erfahrungen aus und lassen neue Erfahrungen und Gefühle zu.

Lamas – Delfine der Weide

In Haina ist es im Kocomo-Wohnheim der begleitenden psychiatrischen Dienste und auf den verschiedenen Stationen der Vitos Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie Normalität, dass wöchentlich Lama Valerie aus dem Fahrstuhl steigt und sich mit auf den Weg zu ihren Klienten und Patienten macht.

Delfine der Weide

Delfine der Weide

Die Lamatherapie ist eine Form der tiergestützten Therapie. Dabei werden Lamas als Begleittiere in einen entwicklungsfördernden, pädagogischen oder therapeutischen Prozess eingebunden. Lamas gelten als Delfine der Weide. Das liegt insbesondere an ihren artenspezifischen Eigenschaften: ihr zurückhaltendes, gleichzeitig freundlich-neugieriges Wesen sowie ihre langsamen und gut zu beobachtenden Bewegungen und ihre stolze Körperhaltung.

Feste wöchentliche Termine in den Betriebsstätten

Für die beiden Lamas, Esel oder die Meerschweinchen und Labradorhündin Afra gibt es feste Termine auf den verschiedenen Stationen der Betriebsstätten. So ist unser Tiertherapie-Mitarbeiter von Montag bis Freitag in unterschiedlichen Abteilungen in der Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie unterwegs. Hier warten die jeweiligen Gruppen mit je sechs bis acht Patienten auf ihn und die Tiere. An drei Tagen kommen Patienten der Stationen zu uns an den Stall und nehmen nach der Kontaktaufnahme und Pflege des selbst gewählten Tieres an der Außenaktivgruppe teil. Für Fälle der Krisenintervention in der geschlossenen Allgemeinpsychiatrie fordern die Stationen den Kollegen mit Lama, Hund, Meerschweinchen oder Esel direkt an. Außerdem kümmern sich aus dem Wohnheim der begleitenden psychiatrischen Dienste vier Klienten fest (auch in Verbindung mit Betriebsintegrierten Beschäftigungsplätzen) um die Versorgung der Tiere. Sie sind täglich vor Ort im Stall, bereiten das Futter vor, misten, füttern und verteilen die nötigen Portionen Streicheleinheiten. Neben den Lamas und Eseln müssen die drei Bentheimer Schweine, die beiden Schafe und ihr Lämmchen sowie die Hühner und Meerschweinchen versorgt werden.

Auch Esel brauchen regelmäßige Pflege

Auch Esel brauchen regelmäßige Pflege

Im Rahmen von Inklusion und Teilhabe suchen sie einmal in der Woche den Hainaer Kindergarten auf. Die Kinder kommen aber auch sehr gerne direkt zum Stall. Der Kindergarten hat hier für einen unserer Esel eine Tierpatenschaft übernommen.

Projekt erfolgreich

Unser Vorteil der tiergestützten Therapie liegt vor allem darin, dass es Klienten – die bisher zu Menschen keine Beziehung aufbauen konnten – so gelingt, auch nonverbal zu kommunizieren, Beziehungen aufzubauen und emotionale Grundbedürfnisse zu stillen. Um ihr Vertrauen zu gewinnen oder sie zu verstehen, müssen die Menschen sich in das Tier hineinversetzen. Und das gelingt psychisch kranken Menschen offensichtlich sehr gut.

Dabei darf nie vergessen werden, dass Gesundheit von Mensch und Tier im Vordergrund stehen. Manchmal kann und darf man ein Tier nicht einsetzen – insbesondere dann, wenn sich das Verhalten der Klienten auf das Befinden des Tieres negativ auswirken könnte oder es dem Klienten dabei nicht gut geht. Die Therapieansätze können auch hier nur erfolgreich sein, wenn die Arbeit allen Freude macht und als Bereicherung wahrgenommen wird.

Kuscheln mit dem haarigen kleinen Therapeuten

Kuscheln mit dem haarigen kleinen Therapeuten

Dr. Rolf Speier, Ärztlicher Direktor der Vitos Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie Haina betont: „Bei einigen unserer Patienten ist mein Eindruck, dass die tiergestützte Therapie mehr Positives bewirkt hat als Medikamente und Psychotherapie.“

Roland Freese, Ärztlicher Direktor der Vitos forensisch-psychiatrischen Ambulanz Hessen, ist sich sicher: „Gerade bei den von uns betreuten, oft früh und schwer gestörten Probanden mit erheblichen Problemen im Werte- und Normensystem, in Fragen von Empathie und angemessener Nähe-Distanz-Regulierung bietet die Tiertherapie alternative Zugangswege, die wir bisher so nicht beschritten haben.“

Der Erfolg gibt dem Therapieansatz recht, leider ist dieser bisher jedoch bei den Kostenträgern nicht anerkannt. Personalkosten und Tierhaltekosten müssen wir somit in die Gesamtfinanzierung mit einfließen lassen.

Wir freuen uns natürlich sehr über finanzielle Unterstützung von außen – sei es bei der Übernahme einer Tierpatenschaft oder auch einer Spende.

Wir in der therapeutischen Leitung der begleitenden psychiatrischen Dienste haben jedenfalls schon (sofern wir irgendwie dafür das Geld auftreiben können) das nächste Projekt vor Augen: Die Anschaffung von Falabellas – die kleinsten Pferde der Welt mit 98 Zentimeter Stockmaß– das insbesondere als Kutschpferd oder auch als Begleitpferd zum Führen gut ausgebildet und genutzt werden kann.

Autor/-in
Erwin Gruber